Montag, 23. März 2020

CoronaPost (Tag 7): Der böse Zwerg und die dumme Ferda

Langsam, ganz langsam lässt die Hektik nach, der Versuch, alles noch oder gerade jetzt online zu erledigen, was geplant war. Langsam stelle ich mich darauf ein, dass jetzt nicht die Zeit für Pläne ist. Dieses Zurückfahren ist positiv, einerseits, weil ich aufhöre, mich ständig unter Druck zu setzen. Andererseits wird so Raum geschaffen für die Angst, die ich in der ersten Woche noch beinahe vollständig unterdrücken konnte. Jetzt kommt sie hoch, gelegentlich, unvermutet, vorhin in einem Telefongespräch mit dem Mastermind, was mir besonders leid tut und verwerflich erscheint, denn ich will ihn nicht mit diesen, zumindest teilweise auch sehr irrationalen Ängsten belasten. Wegen einer überstandenen Herzmuskelentzündung nehme ich Tabletten gegen Folgeerscheinungen wie einen stets zu hohen Blutdruck. Seit der Erkrankung kenne ich auch Symptome wie Atemnot, die mir früher unbekannt waren. Und jetzt bemerke ich, wie sehr ich mich davor fürchte, angesteckt zu werden. Jede/r hat ja seine/ihre eigenen Panik-Trigger. Dieses ist meiner. Schon von jeher fürchte ich mich besonders stark davor, keine Luft mehr zu bekommen. Dieses dämliche Virus erfüllt alle meine Alptraum-Visionen: ertrinken oder ersticken, die Abschnürung der Atemwege, wie das Herz verzweifelt pumpt und der Kopf panisch anschwillt und das Gehirn dann weiß, erkennt: es wird nicht reichen, es reicht nicht...

Ich muss versuchen, das zu verdrängen. 

***

Heute Nacht hatte ich einen seltsamen Traum von einem Zwerg, etwa 30cm hoch, einem sehr bösartigen Zwerg mit roter Zipfelmütze und gelber Joppe, der mich packen wollte und der keine Ruh gab, egal wie ich ihn auszusperren versuchte, immer fand er ein Schlupfloch, sich zu nähern, schließlich rollte ich ihn, verzweifelt zeternd dabei, in Verbandsrollen ein, er wehrte sich heftig, aber ich war stärker und geschickter, obwohl er mir einige Blessuren beifügte, schließlich gipste ich ihn zu und ein (weiß nicht, wo der Gips herkam, auf einmal), bis er sich nicht mehr rühren konnte. Dann fragte ich mich, was ich tun sollte mit dem bösen Gipszwerg und ich packte ihn  in ein handelsübliches Paket, das ich fest verschnürte. Das schleppte ich in der Nacht (denn es war ja Nacht, wie mir im Schlaf noch einfiel, es war ja, beruhigte ich mich im Traum, alles nur ein Traum) hinunter zum Teich und versenkte es. Danach wurde ich doch unruhig. Was wenn jemand den Zwerg vermissen würde? Ich spürte mein Gewissen. Ich hatte den Zwerg ermordet. So war das. Und ich wollte doch nicht dafür büßen. Ich wollte davon kommen mit dem Mord. Es tat mir nicht leid, dass er tot war. Es tat mir leid, dass ich seinetwegen zur Mörderin geworden war. Ich wurde unruhig und schlug um mich. Und da wachte ich auf.

***

Manche teilen jetzt so ein Zitat von Helmut Schmidt, sinngemäß sagte er (angeblich), dass sich in der Krise der Charakter zeige, was ja vielleicht sogar stimmt, obwohl es von Helmut Schmidt kommt (falls das zutrifft) und obwohl es so gern geteilt wird. Ich beobachte genau, was so in meine Timeline gespült wird und mein Elefantengedächtnis wird nicht vergessen. Heute z.B. Ferda Ataman (u.a. "Kartoffel-Expertin"),  deren Kolumnen im SPIEGEL ich ja schon länger nicht mehr lese, weil mich deren passiv-aggressiver Tonfall eh stört. Die entbödete sich nicht auf Twitter zu posten: "Ich habe irgendwie eine Ahnung, welche Bevölkerungsgruppen in Krankenhäusern zuerst behandelt werden, wenn die Beatmungsgeräte knapp werden." Im Kontext meinte sie offensichtlich jene Gruppe, die ihresgleichen PoC oder "Nichtweiße" nennt, obwohl 80% der Menschen, die sie damit bezeichnen will, den ersten Begriff nicht kennen und sich selbst auch eher als Weiße (was die Hautfarbe angeht) definieren würden (aber das nur nebenbei). Als ihr der Tweet nicht den erwarteten Beifall einbrachte, behauptete sie, dass es keine Unterstellung gegenüber dem medizinischen Personal sei, die sie da vorgetragen habe, sondern es lediglich um ihre "Rassismus-Bedenken" gehe und im schon gewohnten passiv-aggressiven Tone fuhr sie fort, sie verspreche "diese in Bezug auf die Coronakrise nicht mehr zu äußern". 

Es zeigt sich jetzt ziemlich gut, wer in einer Krisensituation in der Lage ist, seine eigenen Agenda zurückzustellen, eventuell auch (temporär) auszusetzen, um Lösungen für alle zu finden, für wen es, egal was kommt, egal was Not tut, darum geht, sich (weiterhin) ausschließlich für "identitäre" Gruppeninteressen einzusetzen (Keineswegs, bin ich überzeugt, damit sprechend für diejenigen, als deren Sprachrohr sich z.B. Ataman wähnt.) 

Es zeigt sich auch in der Krise, dass es nicht funktioniert, das Maß der Verletzlichkeit und Verletzungen allein durch die sogenannten "Betroffenen" definieren zu lassen. Auch in der Krise gibt es Unterschiede, manche sind weniger belastet als andere. Das gilt es zu berücksichtigen. Aber die Befindlichkeit (sei sie auch noch so gestört) von Eltern mit kleinen Kindern, die sich überfordert fühlen, ist jetzt eben weniger bedeutsam als die Befindlichkeit von Krankenpfleger_innen und Ärzten_innen. Die Belastung von Menschen, die in Kraftwerken in 14tägigen Schichten isoliert arbeiten müssen, ist höher als die von Home-Worker_innen, deren Putzhilfe nicht mehr kommen mag. Die Schwierigkeiten von alleinstehenden, alten, autochthon deutschstämmigen Menschen sind oftmals größer als die von gut familiär eingebundenen alten Menschen mit Migrationsgeschichte. Es geht nicht dem/derjenigen am Schlechtesten oder hat diejenige/derjenige am meisten zu tragen, die/der am meisten und nachdrücklichsten von sich reden macht. Oft ist es eher andersrum.

Man kann sich Mühe geben, genau hinzuschauen. Oder es lassen. Weil man eben immer schon weiß, wie alles ist. Weil man die eigenen Vorurteile in jeder neuen Situation immer nur bestätigt sehen kann. Weil man sich ohnehin nicht interessiert für das, was ist. Weil man ohnehin keine Lösungen will, sondern bloß die Perpetuiierung von Problemen, über die man sich recht jämmerlich definiert.


Zum Glück gibt es ja nicht nur die Ferdas. Sondern auch viele, die jetzt hinschauen, wer Hilfe tatsächlich braucht. Und wie sie organisiert werden kann.


1 Kommentar:

  1. Das mit den Ängsten kommt bei mir in Wellen. Heute morgen auf dem Weg zur Arbeit hatte ich plötzlich Angst vor den Menschen, die mir begegnet sind.

    Ich laufe seit fünf Jahrzehnten alleine durch den öffentlichen Raum oder fahre ÖPNV zu jeder Tages-und Nachtzeit und bisher immer ohne Angst.
    Aber heute morgen war sie da. Diffus, aber aus dem tiefsten Inneren wachsend.

    Es ist seltsam, was dieses Virus mit mir macht.

    AntwortenLöschen