Freitag, 10. Juli 2020

Auf der Höhe des Diskurses?: Yagoobifarah, PoC, ´Kopftuchmädchen´

Frage ich mal, dachte ich, die "Betroffenen". Das ist ja ein Privileg, wenn man "Betroffene" kennt und fragen kann, statt über ihre Betroffenheit bloß zu räsonieren. Es passte auch ganz gut, weil wir schon in anderen Zusammenhängen über die literarische Form der Satire uns auseinandergesetzt hatten und andererseits das Thema "Alltagsrassismus" den jungen Leuten, um eigener Erfahrungen willen und noch einmal heftiger wegen der Attentate in Hanau, auf der Seele brannte (Zur Erinnerung: Ich unterrichte an einer beruflichen Schule in Hanau.) Dabei war auch schon zur Sprache gekommen, wie oft Polizeigewalt als rassistisch wahrgenommen wird und wie wenig der Polizei (in Hessen) aus Gründen zu trauen ist. 

"Es ist einfach schon zuviel passiert", sagt R., "soviel, dass es eben dann mal zur Explosion kommt." Und A. berichtet, wie es auf Snapshot und Instagram in bestimmten Gruppen einen Überbietungswettbewerb gibt für Videos, in denen Polizist_innen angegriffen oder beleidigt werden. "Nicht, dass ich das gut finde." B. wirft ein, dass man aber unterscheiden müsse, zwischen rassistischer Polizeigewalt und "gerechtfertigter Polizeigewalt", die es ja auch gebe. Und nicht jede/r, den/die Polizeigewalt treffe, sei unschuldig daran. Polizist_innen würden bespuckt und beleidigt und angegriffen, das habe er selbst schon erlebt. Das sei auch schwer für die, dann immer ruhig zu bleiben. D. bekennt, dass sie sich bei der Polizei bewerben möchte. Die anderen finden das toll. Das halten sie nicht für einen Widerspruch zu dem, was sie vorher gesagt haben.

Ich zeige ihnen den Text von Hengameh Yagoobifarah in der taz mit dem Titel "All cops are berufsunfähig". Sie finden den unisono "krass". "Voll beleidigend". "Nicht in Ordnung". "Geht gar nicht." "Es sind nicht alle Polizisten Nazis." Es gibt keine unterschiedlichen Meinungen dazu im Raum. Keine/r verteidigt den Text. Obwohl sie vorher so ausführlich über Rassismuserfahrungen, auch durch die Polizei, gesprochen hatten. Ich berichte, dass der Bundesinnenminister erwägt, Strafanzeige gegen Hengameh Yagoobifarah (Hier gibt es einen kleinen Seitendiskurs zu Gendern, weil ich zunächst "die Autorin" sage, mich dann korrigiere, wir einigen uns darauf, von "der Person" zu sprechen) zu erstatten. Mein Deutschkurs (Altersmittel: 17) ist rechtssicherer als der Bundesinnenminister: "Das wird nix. Darf man sagen, sowas." "Ist Satire." "Beleidigend, aber erlaubt." "Blöd, aber nicht verboten."

Jemand hat Hengameh Yagoobifarah gegoogelt (Handynutzung ist erlaubt in diesen Corona-Zeiten :-)).  Wir kommen auf den Begriff "PoC". "Was ist das?" "People of Color". Niemand kennt den Begriff. Ich sage ihnen, dass die meisten von ihnen mit diesem Begriff gemeint sind. 
Wikipedia definiert: "beschreib(t) jene Individuen und Gruppen, die vielfältigen Formen von Rassismus ausgesetzt sind und die die „gemeinsame, in vielen Variationen auftretende und ungleich erlebte Erfahrung [teilen], aufgrund körperlicher und kultureller Fremdzuschreibungen der weißen Dominanzgesellschaft als ‚anders‘ und ‚unzugehörig‘ definiert [zu] werden.“ 

R. findet den Begriff nicht passend. Sie will nicht PoC sein, sagt sie. "Warum nicht?", frage ich. "Weil ich mich nicht durch meine angebliche Nichtzugehörigkeit definieren lassen will." "Alle, die Nicht-Weiß sind?", fragt S. "Meine Eltern sind ja aus Russland." "Dann gehörst du dazu", sagt R. "Aber ich bin doch weiß." M. ist auch verunsichert. "Und wir Albaner?" "Gehören alle dazu." "Nur die Deutschen nicht." "Gibt's hier ´echte´ Deutsche?" Man schaut sich um. "Du." B. grinst. "Das ist ja der Mist", sagt R. "Ich bin hier geboren." "Echte Deutsche gibt's nicht." "Wir sind ja alle anders." 

Von hier bewegt sich der Diskurs zum Thema "Deutschland". Dass "Deutschland" eigentlich ganz ok. ist. "Vor allem das Grundgesetz." "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Ich will noch mal auf Alltagsrassismus zurückkommen. Das kommt mir jetzt zu idyllisch vor. Aber die sind schon weiter: Dass doch vieles so mühsam ist. Nicht nur der Alltagsrassismus. "Mein Vater", sagt R. "fand ja, dass ´Kopftuchmädchen´ nichts auf K-Pop-Konzerten zu suchen haben. Als ich gehen wollte. Und ich hab´ das akzeptiert. Aber meine Schwester, die lässt er jetzt gehen." Eigentlich will ich nochmal bei ´Kopftuchmädchen´ einhaken, aber jetzt dreht sich die Diskussion um die Privilegien der jüngeren Geschwister. Wird aus allen möglichen Kontexten bestätigt, wie viel leichter die es haben, nicht nur im Hinblick auf K-Pop. 

Ich fasse zusammen: Schon vorher wusste ich, dass mein Deutsch-Kurs durchschnittlich und insgesamt klüger und verfassungstreuer ist als der gegenwärtige Bundesinnenminister. Satire darf alles, kann aber blöd sein. K-Pop ist in und politisiert (siehe hier:), auch selbstbezeichnende ´Kopftuchmädchen´, woran sich nicht nur deren Väter gewöhnen müssen. 

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