Samstag, 19. September 2020

"Einem Dreck sein Dreck" (Wort-Schatz 23) (Wut-Rede)

"ich schlüg dich schier zwischen die orn 
das du furpas dein maul hieltst uber ein dreck mit dem gesicht auf den dreck fielst."
Fastnachtssp. 


Dreck macht böse. Mich mindestens macht der Dreck immer böser. Der Dreck befördert in mir die Gewaltphantasien. Ein Gang durch die dreckige Stadt entfesselt in mir die Menschenhasserin. Wie der Dreck auf der Straße liegt und der Wind den Dreck um die Gassen fegt und die Füße über den Dreck stolpern alle Schritt lang, breitet sich in mir von unten aufsteigend über die Knie und den Rumpf bis zur Schädeldecke hin eine düstere rote, dreckige Wutwolke aus, einem Feuersturm gleich, mit dem die Nachbarschaft, das Viertel, die Stadt, die Region im wilden Brand verschlungen werden könnte samt dieser Brut dreckiger Drecksäcke, die ihre Kippen aus den Autofenstern schnalzen und ihre Pizzakartons in die Vorgärten werfen und ihre vollgerotzten Masken in die Ecken pfeffern. 

"Sie kommen nicht mehr nach mit dem Reinigen.", sagt der Morel und verschärft mit dieser vernunftbetonten Einlassung noch meinen Hass. Denn "sie", damit meint er die von meinen Steuergeldern mitbezahlten Straßenreinigungskräfte und die Verwaltung, die ihre Einsätze lenkt und steuert. "Sie" also, unterstelle ich flugs dem Morel, hält er für die Schuldigen, während ich in Grund und Boden, also in den Dreck, stampfen möchte die Dreckschweine, die ihren verdammten Dreck in den öffentlichen Raum entsorgen. "Nein", sage ich, "sie sollen keineswegs mehr reinigen oder öfter. Stattdessen", sage ich, "soll es Strafen geben, so hart, dass das Drecksvolk sich vor Schiss die Hosen voll macht." Oder, denke ich, sie sollen im Dreck versinken, die Dreckbatze. 

Das ist alles nicht gut. Dieser tiefe Groll, den ich empfinde. Wie der mich verdirbt. Und selber dreckig macht. Dem Dreck, der sich in den Städten ausbreitet, und mir unter die Haut geht, kann ich nur noch entkommen, indem ich mich zurückziehe. Indem ich also drinnen bleibe. Wenn das so weitergeht, werde ich mich a-sozialisieren. Um keine Menschenverächterin zu werden. Das ist auch nicht gut. 

Ich muss mir das mal aus dem System schreiben. Es macht was mit Menschen wie mir, wenn der öffentliche Raum zunehmend verdreckt. Es sorgt dafür, dass ich mich weniger und weniger um "die anderen" sorge. Denn obwohl ich weiß, dass "die anderen" nicht "alle" sind und wahrscheinlich nicht einmal die meisten, nimmt mein Körper, während er durch den Dreck watet, es anders wahr. Mein Körper empfindet Ekel. Und dieser Ekel überträgt sich auf diejenigen, die den Dreck produzieren. 

Um Missverständnissen vorzubeugen: Der Dreck wird meiner Erfahrung nach keineswegs überwiegend von denen produziert, die als unterprivilegiert gelten. Da bietet fast jede beliebige Autobahnraststätte hinreichend Anschauungsmaterial, um diese These zu widerlegen. Der Dreck ist ein Produkt von Narzissmus und Rücksichtslosigkeit in einer sogenannten Wohlstandsgesellschaft.

Ich verachte jene, die darüber sinnieren, dass man "ein Bewusstsein für die Müllsituation" schaffen solle durch erzieherische Appelle oder die lustig bedruckte Mülltonnen im Abstand von 2m aufstellen, damit die Dreckmacher ihren Drecksarsch bloß nicht zu weit bewegen müssen, fast noch mehr als die Drecksäue. Deren Hybris, dass der Bosheit und Gedankenlosigkeit des Abschaums bloß mehr "Aufmerksamkeit" ihrerseits zuteil werden müsse, damit sich seine Einstellung ändere, ist nicht nur naiv, sondern auch widerlich selbstbezüglich und überheblich. 

Die Dreckmacher machen soviel Dreck, weil es bequem ist. Man muss es unbequem machen. Und dreckig. 

Wahrscheinlich muss es erst noch ein bisschen schlimmer werden, bevor es besser wird. 

Wie bei so vielem. 

Bis dann:

"und acht sie für ein dreck."




Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen