Donnerstag, 3. März 2011

(VER-)KLEIDUNG. Die Innenseite der Maske

Die Teilnehmenden tanzen auf der Straße und haben die Stadt in eine riesige Maske verwandelt. Die kritischen Beobachter sitzen auf den Tribünen und werden die Preise für die besten Masken an die Tänzer verteilen. Die Maskenwender haben Ferien...“

Auf dem Anrufbeantworter ist eine Nachricht: „Ich weiß, du magst kein Fasching. Aber Verkleiden vielleicht. Eine Verkleidungsparty für Faschingsmuffel? Ruf mich an.“ Die Freundin, ergibt der Rückruf, hat sich bereits eingekleidet; die Beschreibung ist diffus: ein Waldfee-Waldschrat-Kostüm, viel Grün, Efeu, Rinde, Rüsche. Oweia.  „Nee“, sage ich, „Ich mag nicht.“ „Schade“, lacht sie, „Ich sitze im Kostüm vorm Computer, weißt du, und denke: Hier sitzt der Schrat im Wald und schreibt von Quantenpyhsik.“

Was den Kritiker betrifft, der auf der Tribüne zusieht, so wird er der Versuchung widerstehen müssen, vom Tanzrhythmus mitgerissen zu werden, auf die Straße hinunterzusteigen und sich am Karneval im Kostüm des Kritikers zu beteiligen.“

„Ihr sollt euch nicht verkleiden.“, sagte Tante Grete. „Gott sieht euch, wie ihr seid.“ Ich dachte: Dann ist´s ja gut. Aber ich sagte nichts. Widersprechen führte nur zu weiteren Belehrungen. Fasching, sagte auch der Pfarrer, will Gott nicht. „Wir feiern keinen Karneval. Das ist katholisch.“ Die Katholiken beten auch Götzenbilder an. Davor muss sich der wahre Christ hüten. Mein Vater sagte: „Gott interessiert sich nicht für so einen Mist.“ Meine Mutter kaufte uns Indianer- und Cowboykostüme. „Aber ihr geht zum Hintereingang raus, damit euch niemand sieht.“ Mein Auftrag war es dafür zu sorgen, dass mein Bruder nicht auffiel. Der Depp hatte eine Zündplättchenpistole und schoss wie ein Wilder im Gasthof "Zur Linde" herum, wo die große Kinderparty stattfand. Die ganze Zeit saß ich wie auf heißen Kohlen, weil ich Angst hatte, dass uns jemand enttarnt und bei Tante Grete verpetzt.

Du kannst nicht nicht repräsentieren, hatte ich geschrieben. Wie immer du dich zeigst, gekleidet, bekleidet, entkleidet, verkleidet, du re-präsentierst etwas, eventuell dich. Mich. Ich kann nicht nicht repräsentieren, weiß ich. Ich wollte (k)eine Squaw sein. Ich liebte Karl Mays Winnetou-Bücher. Wenn wir Cowboy und Indiander spielten, sagte mein Cousin: „Die Squaw bleibt daheim und kocht.“ Dann überfielen die Cowboys das Lager und die Squaw wurde an den Marterpfahl gebunden, bis sie ihr heldenhafter Stamm befreite. Nein, ich wollte keine Squaw sein, aber eine Indianer-Frau. Die mit auf die Jagd geht, Cowboys totschießt und durchs Gras robbt, um die Geiseln zu befreien. „Warum verkleidest du dich nicht als Indianermann oder als Cowboy?“, fragte meine Mutter, als ich ihr mein Leid klagte. „Ich will nicht immer an den Pfahl gebunden werden.“ Ich bin kein Mann. Warum muss ich das sagen? Sie weiß es doch. Ich will auch keiner sein. Ich will eine Frau sein, die mit der Faust zuschlägt.

„Hat man eine einzige Maske umgewandt, dann sind sie alle, wie immer ihre Hierarchie aussieht, als Nicht-mehr-Masken verfügbar geworden.“

Freikörperkultur, auch das habe ich geschrieben, ist unerotisch. Nackt sein. Sich nicht verkleiden. Die bin ich. Ich mag meinen Körper. Der Satz ist falsch. Denn: Mein Körper - das bin ich. Mit ihm bin ich identisch. Nicht mit meinen Gedanken, meinen Gefühlen, meinen Handlungen. Ich bin meine Schultern, meine Arme, meine Brüste, meine Taille, meine Hüften, meine Schenkel, meine Knie, meine Füße. Ein entspannter Körper, der für niemanden da ist, nur ist. Das ist schön und macht mich glücklich. Aber man sieht sich doch nur im Spiegel. Man kann nicht nicht repräsentieren. Mein Körper : der Körper einer Frau. Ich und mich. Kein Zurück ins Sein jenseits des Spiegelstadiums. Gefesselt ans Selbstbild, ein Knoten, den nur die Liebe lösen kann. Ich ist eine Andere. Ja,ja. Und Lacan war ein Mann. Verdammt.

„Das Umwenden der Maske verändert ihren Ort: Sie ist nicht mehr vor dem Gesicht, sondern unter den Händen.“

Sie kleidet sich. Als sie jung war, trug sie meist Hosen. Jeans, Cordhosen, sogar Latzhosen (aber nicht lila!). Schlabberpullover. Man kann nicht nicht repräsentieren. Ich bin kein Mädchen (mehr).  Keine Puppe. Ich bin, die etwas macht. Ich bin, was ich mache. Seht her, was ich kann. Ich kann was. Machen. Als sie Mutter wurde, verschlampte sie. Kotze auf der Bluse. Alles pflegeleicht. Gummizughosen. Scheußlich. Ich funktioniere. Ich halte durch. Ich - nicht. Heutzutage trifft man sie außer Haus fast nur in Röcken an. Oft Kostüme, manchmal damenhaft. Aber die Fingernägel sind immer noch abgekaut. Die Schuhe mit stabilem, nicht flachem Absatz. Zweckmäßig und ein bisschen chic. Unauffällig. Ich bin eine Frau. Die was kann. Und was weiß. Und was macht. Zweifelt und fordert und nachgibt und lacht. Man kann nicht nicht repräsentieren.

„Mit der Geste des Maskenwendens geht aller Sinn der Geschichte verloren; jedoch nicht notwendigerweise der Sinn des Lebens. Im Gegenteil kann das Spielen mit der Geschichte selbst zur Sinngebung werden. Zwar ist in den Ministerien, welche den Karneval programmieren, von dieser Sinngebung häufig nicht viel zu merken. Aber die Geste des Maskenwendens erlaubt, genau betrachtet, dahinter die Geste der Sinngebung zu erkennen.“

Ich tanze. Als Squaw. Auf dem Scheiterhaufen. Ich schreite. Voran. Hinüber. Hinauf. Ich falle. Hinab. Hinein. Als Mutter. Als deine Frau. In Liebe. Vergeblich. Als Freundin. In allen Rollen. Gestikuliere ich wild. Logik. Lüge. Libido. Auto.  


Alle Zitate aus
Vilém Flusser: Gesten. Versuch einer Phänomenologie, Fischer Taschenbuch 1997 (Hier: Die Geste des Maskenwendens)


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