Mittwoch, 23. Juni 2010

Baader, Meinhof und die Zwergwerfer. 2. Lieferung:

Den ersten Teil der Erzählung finden Sie hier: 




2. Teil : Unter Zwergwerfern
Die Verhandlungen mit den Zwergwerfern ziehen sich in die Länge. Es bebt am Rande des Universums. Entgegen der erklärten Absicht wird Geschichte nicht gemacht. Außerdem: Über lineare und zyklische Geschichtsverläufe. Zum Schluss endlich der erste Auftritt Baaders, Paris 1969. Special guest: Gudrun Ensslin. (sex sells.)

Manolete ignorierte den unpassenden Dialog. Stattdessen hob er ihr Kinn leicht an. SIE kicherte unkontrolliert unter dieser Berührung. Von den Zwergwerfern noch unbemerkt kündigte sich ein Beben vom Rand des Universums an. „Fass sie bitte nicht an, Manolete. Sie hat das nicht gern.“ ER zog sie eng an sich heran, weg von dem Giganten. SIE spürte seine Hand schwer auf ihrer Schulter, das raue Leder seiner lächerlichen Jacke an ihrer Wange. Fast hätte SIE dem Impuls nachgegeben, sich daran zu reiben. Sie spürten beide wie das All in der Ferne erzitterte. SIE flüsterte: „Danke.“ ER antwortete nicht, verstärkte aber den Druck seiner Hand auf ihrer Schulter. Fast unmerklich lehnte SIE sich noch ein wenig dichter an ihn. Manolete trat zurück. „Kein Problem, Bruder. Ich erwäge die Möglichkeiten. Ich bestehe nicht auf ihnen.“ Ein anderer Zwergwerfer, der schon die ganze Zeit über ungeduldig die Augen gerollt hatte, unterbrach ihn: „Mein Name ist Celtigar. Ihr seht, dass ich ein Trollschurke bin. Man erkennt es an meiner offensichtlichen Verwandtschaft mit der immergrünen Kröte.“ Indem er dies sagte, rieb er sich über die Nase und tatsächlich erschien es den Beobachtern jetzt, als schimmere seine Haut unter der dichten Behaarung grünlich. „Hier drüben steht Eufemia, unsere Hexenmeisterin, die lilafarbene Flöhe hat.“ SIE löste sich empört von ihm. „Dass du immer noch einen drauf setzen musst.“ Das Beben verebbte. „Bitte, es ist deine Geschichte so gut wie meine. Wer weiß, ob die Flöhe mein Werk sind.“ Eufemia lächelte die beiden freundlich an.„Ich sehe ein wenig gefährlich aus, aber das täuscht. Ich kuschele gerne mit Blutelfen.“ Dabei schob sie trotzig die Unterlippe vor und sah zu Manolete hinüber. Dieser rang die Hände: „Eufemia, du weißt, dass du wegen deiner Techtelmechtel mit den Blutelfen für uns kaum mehr tragbar bist.“ „Ach ja“, erwiderte Eufemia sarkastisch, „aber dass die Geheimen Drei über Ruut lästern, er habe das Zeug zum Fernsehkoch, das lässt dich kalt.“ Ruut riss den Mund auf, um etwas zu entgegnen, doch Manolete hielt ihn am Arm zurück: „Lass sie doch reden, was sie wollen, die Versager. Wir wissen alle, dass sie sich mit der Herstellung von Eichhörnchen beschäftigen.“ Ruut spuckte angewidert auf den Boden. „Du aber, Eufemia, wirst so was nie mehr sagen, verstehst du mich?“ Alle Freundlichkeit war aus Manoletes Augen verschwunden. Sie erkannten im Grunde erst jetzt, dass er tatsächlich der Boss war. Celtigar bemühte sich, die Gereizheit, die in das Gespräch eingezogen war, zu besänftigen: „Eufemia, komm mit mir, Disteltee und Spinnenwurst holen. Nun ja, wir müssen unsere Besucher doch anständig bewirten.“ Manolete griff den Faden auf: „Darf ich euch bitten, Platz zu nehmen?“, sagte er und wies mit der Hand auf eine gigantische Sitzgruppe am Rande des Platzes, die sie bisher übersehen hatten. Sie bestand aus sieben klobigen Holzsitzen, die jeweils aus dem Stamm einer uralten Eiche gehauen und im Kreis aufgestellt waren. „Eufemia ist eine Meisterin der Distelteezubereitung und Celtigars Spinnenwurst...“, er schnalzte genießerisch mit der Zunge. SIE starrte ihn mit unverhohlener Wut an: „Das ist eklig.“ ER lachte: „Die Zwergwerfer gehen auf dein Konto, da bin ich sicher. Disteltee und Spinnenwurst passen da ausgezeichnet.“ Als sie schließlich im Kreis saßen: ERSIE, Manolete, Ruut, Celtigar und Eufemia blieb nur ein Platz frei. Großzügig schenkte Eufemia Tee ein. Celtigar schnitt mit einem scharfen Dolch dicke Scheiben von einer schwarzen Wurst, die er den Gästen aufgespießt hinhielt. Mit spitzen Fingern nahm sie von der Wurst und probierte ein winziges Stück. Doch SIE wurde überrascht: Sie schmeckte wie das beste schwedische Lakritz, das SIE je gegessen hatte, ewig war es her. ER lachte in sich hinein. „Du solltest mir vertrauen, meine Liebe, immer.“ SIE berührte ganz leicht mit ihren Fingern seinen Handrücken. „Ja.“

Wieso dauere es so lange, bis Baader in der Geschichte auftauchte? Wir hatten das nicht geplant. Die Zwergwerfer sollten uns lediglich ins Jahr 1969 katapultieren, wo wir Baader zu treffen gedachten. Wir wollten beobachten, was die Kämpfenden antrieb und wie sie einander betrafen. Doch nun saßen wir fest in der pannonischen Tiefebene bei den Giganten jenseits der Zeit. Noch nicht einmal unser Anliegen hatten wir bisher vorbringen können. Denn es zeigte sich, dass – entgegen unseren Erwartungen – die mythischen Gestalten nicht wortkarg waren. Stattdessen bestanden sie auf der Einhaltung von Ritualen, waren sie kleinlich darauf fixiert, die Formen zu wahren. Wir verstanden allmählich, dass sie nicht auf Abenteuer aus waren. Sie waren bereit und in der Lage, sich in jede Situation einzupassen .Die Vorstellung, eine Geschichte anzufangen, war ihnen unbegreiflich. Sie lebten Geschichten, doch keine, die je linear von einem Anfang zum Ende fortschritt. Nichts drängte sie voranzukommen, denn sie kamen immer wieder an, wo sie schon waren. Und grämten sich nicht darum, wie wir...

„Wir sollen euch also ins Menschenjahr 1969 werfen...“, fasste Manolete die Verhandlungen zusammen. „Nun ja, nach christlicher Zeitrechnung.“, warf Ruut ein. „Ja, gut, dass du mich erinnerst. Dort wollt ihr Andreas Baader treffen, der auch so eine Lederjacke trägt wie du.“ ER grinste selbstgefällig. „Genau.“ „Ich will nach Paris.“, sagte SIE. „Baader und Ensslin flohen im Winter 69 nach Paris, weißt du.“ „Jedes Mal willst du nach Paris.“, stöhnte er. „Ich bin dort immer glücklich gewesen.“ SIE sah ihn herausfordernd an. Um seinen Mund zuckte es. Nur mühsam gelang es beiden das neuerliche Beben, das sich vom Rand des Universums ankündigte, ausgleiten zu lassen. Die Zwergwerfer indessen bemerkten davon nichts. „Also gut, nach Paris.“ Manolete zuckte die Achseln. „Uns ist das völlig gleich. Nun ja. Eines aber muss euch klar sein: Wir können euch nicht einfach dort hinwerfen, ganz ohne Begleitung, versteht ihr?“ „Wie meinst du das?“, fragte SIE. „Wir waren schon 1789 dort und früher...“ „Erinnere mich nicht.“, rief ER und verzog angewidert das Gesicht. „Die Bartholomäusnacht...“ „Vergiss es.“ „Es geht nicht darum, was ihr dort anstellen könntet. Das ist uns völlig gleichgültig. Es läuft sowieso immer auf dasselbe hinaus. Ihr glaubt nur, dass es anfängt und endet.“ „Also dann...“ „Für euch, meine Süße, nur für euch ist es von Bedeutung. Nun ja. Jemand muss mitkommen, um euch wieder herauszukatapultieren. Oder anders wohin.“ „Und wie soll das gehen...“, sie dachte schon weiter. „Der Werfer bleibt doch jeweils zurück und...“ „Sie ist schlau.“, sagte Ruut, „aber eben nur schlau, nicht weise. Wir sind immer hier. Versteht ihr? Es scheint nur, als wären wir woanders, an einem anderen Ort, in einer anderen Zeit. Nun ja. Wir Werfer werden immer hier sein.“ Eufemia konnte sich nicht zurückhalten: „Das glauben wir. Dessen waren wir sicher. Doch es sollen Zeiten kommen, in denen die Mythen nicht mehr...“ „Eufemia, solche Zeiten kommen und gehen. Wir sind vor der Zeit. Wir sind die Zeit.“ Ruut seufzte. „Sie nimmt immer alles persönlich. Fast wie die...“, er deutete auf die Besucher. „Das kommt von ihrem engen Umgang mit den Blutelfen.“ „Jetzt fang nicht schon wieder damit an.“, wies ihn Celtigar zurecht. „Ich hätte gerne einen VW-Bus, der mit Blumen bemalt ist und an dem hinten ein Schild angebracht wird, auf dem steht: Lach nicht, Papa, deine Tochter könnte hier drin liegen.“, verlangte er kindisch. „Oh mannomann.“, stöhnte sie. „Ein bisschen Spaß muss sein...“, sang er. „Gleich schlag ich dich.“ „Komm schon.“ ER hielt ihren Arm fest. SIE funkelten sich an. Diesmal war kein Beben zu spüren. „Das mit dem Bus ist kein Problem.“, beruhigte Manolete. „Obgleich ich glaube, dass er ein bisschen zu früh kommt; diese Busse fuhren erst ein paar Jahre später über die bundesdeutschen Autobahnen. Aber macht nichts.“ „War´s das jetzt, geht´s jetzt endlich los?“ ER hüpfte ungeduldig von seinem gigantischen Sitz hinunter, was wirklich albern aussah. „Hast du nicht auch noch was von Models gesagt?“, fragte Celtigar. „Doch ja, Andreas gefällt das bestimmt. Der steht auf langbeinige Frauen.“ „Wie du.“, SIE schüttelte tadelnd den Kopf. „Och, ich mag auch die Kleinen, Kleine.“ „Komm jetzt wirst du albern.“ Wie zuvor ignorierten die Zwergwerfer diesen Blödsinn. Manolete hielt fest: „Ihr wollt also, dass wir auch Baader werfen?“ „Schaun wir mal“, rief ER. „Los jetzt. Das Gequassel nervt. Geschichte wird gemacht.“ „Oho.“

„Ruut, du begleitest mich und die beiden Süßen.“, forderte Manolete. Ruut stand auf. Manolete hob SIE hoch. „Geht es, wenn er dich anfasst?“, fragte ER leise. „Für den Moment halte ich es aus.“ Nun hielt Manolete SIE mit beiden Händen wie einen Ball über den Kopf und Ruut nahm die gleiche Stellung mit ihm ein. Sie wuchsen ins Unvermessliche. „Ich werfe euch, alle, und mich...Jetzt.“ Sie stürzten durch Raum und Zeit, ein Wirbel umschlang sie mit silbernen Fäden, ein Sog spülte sie hinab in gleißendes Gold, sie zerstoben in aschgraue Krümel und bildeten kristallene weiße Sterne. „Scottie, beam me up.“, rauschte es aus den Tiefen des Alls.

Dann saßen sie schon in einem Straßencafé in Paris Montparnasse. Vor jedem von ihnen stand ein Glas Pastis. Am Straßenrand parkte der VW-Bus mit eben jenem Schild, das ER bestellt hatte. Jedoch war alles schwarzweiß. „Mir gefällt es.“, strahlte Manolete, „ich bin sowieso ein Freund der Schwarzweiß-Fotographie.“ Sie betrachteten ihn näher. Manolete hatte sich, ebenso wie Ruut, verwandelt. Immer noch waren sie außergewöhnlich groß und kräftig, jedoch keine Giganten mehr, auch konnte, wer darauf achtete, unter ihren struppigen Haarschöpfen noch die spitzen Ohren erkennen. Doch waren ihre Haare nun ein wenig gestutzt, sahen aus, als habe ein Friseur ihnen vor Wochen einen ordentlichen Schnitt verpasst, der jetzt zipfelig ausgewachsen war. Sie trugen Lederjacken wie ER, dazu dunkle Stoffhosen, darüber weiße Hemden. Ein wenig erinnerten sie an Variationen des jungen Jean-Paul Belmondo. Ruut drehte sich eine Zigarette und lehnte sich  zurück, die Szenerie zu betrachten. Passanten blieben stehen, um den eigentümlichen Bus aus Deutschland zu bestaunen.“ „Wie schick die Pariserinnen sind...“, bewunderte SIE.  „Kann ich bei Chanel vorbei gehen?“ „Deshalb sind wir nicht hier. Alberne Puppe.“, schimpfte ER. „Aha, der Herr hat schon den Baader-Ton angenommen.“ „Halt jetzt mal die Klappe. Schau lieber unauffällig da rüber. Das sitzen sie.“ „Wer? Baader und Meinhof?“ „Quatsch, Meinhof ist doch noch Journalistin, ist doch noch gar nicht im Untergrund, hat bloß Ensslin in der Haft interviewt und...“ „Wie sie ihn anhimmelt.“ „O ja, sexy Gudrun. Könntest du dir ein Beispiel dran nehmen.“ „Fuck you.“ „He, das passt jetzt gar nicht in den Kontext.“ „Stimmt.“

Baader und Ensslin saßen zwei Tische weiter. Baader hatte sich leicht vom Tisch weggedreht, die Beine breit auf den Gehsteig hinausgeschoben, doch den Oberkörper Ensslin zugeneigt. Sie, die Haare dunkel gefärbt und zu einem schulterlangen Pagenkopf geschnitten, war weit über den Tisch gebeugt, zu ihm hin. Sie unterhielten sich lebhaft, lachten laut auf. Ensslins Hände flatterten in der Luft, um ihre Aussagen zu unterstreichen und immer wieder zu Baader hin, ihn hauchzart an der Wange berührend. Schließlich stellte er den rechten Fuß so aus, dass seine Spitze die ihres Fußes links unter dem Tisch erreichte.

Wir hatten selten ein Paar beobachtet, das so offensichtlich verliebt war wie diese beiden. Sie wirkten inmitten des Pariser Treibens so ganz und gar aufeinander bezogen. Wer immer sie betrachtete, spürte das Kraftfeld, das ihr Beisammensein erzeugte, die Energien, die sich verbanden und verstärkten, wenn sie einander berührten. Ein Beben vom Rande des Universums...


1 Kommentar:

  1. http://www.youtube.com/watch?v=cyfSAhRKUUA&p=7B7E250ABE8B4E64&playnext=1&index=6

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