Als ich ihr erzählte, ich schriebe eine Serie über (Un-)Perfekte Paare, in der ich auch einmal über sie beide schreiben wolle, lächelte sie: „Da passen wir doch gar nicht rein. Wir sind perfekt.“
Sie tanzten in den Mai 1958. „Ich sah sie“, sagt er „und es war um mich geschehen.“ Da lacht sie dazu. Ihr sei es nicht so gegangen. Der habe schon um sie werben müssen. Doch gleich habe ihr gefallen, dass er „etwas aus sich machen wollte.“ Damals war er Werkzeugmacher. Mit 14 aus der Schule heraus, die Lehre, das reiche ihm nicht, erzählte er ihr. Das beeindruckte sie, die nur welche kannte, die blieben, wo sie waren. Mit dem Roller kam er über die Dörfer gefahren, sie abzuholen an den Samstagen. Die Stiefmutter schrie ins Treppenhaus: „Erst a mol putzt es die Trepp´ fertich, bevor es fort gitt.“ Sie maulte und schimpfte, tat´s aber doch, sagt er. Sie sagt: „So schlimm war´s nicht.“ Bald sei klar gewesen, dass es ernst war mit ihnen beiden. Eine Weile ging er fort, hatte ein Zimmer in der Großstadt, da besuchte sie ihn, blieb auch über Nacht: „Dabei galt das damals noch als Kuppelei.“
Er war, sagt sie, der erste Mensch, von dem sie sich so geliebt fühlte, bedingungslos. Das waren Kriegsundführerkinder, beide 1938 geboren. Sie hatte mit fünf Jahren an der Hand ihrer Schwester eine Nacht lang am Bahnhof gestanden und gewartet auf die Mutter, die nicht wieder kam. Bei einem Bombenangriff in der Kreisstadt verschüttet. Der Onkel, der hinfuhr, die Vermisste zu suchen, konnte die Leiche nur am Ehering identifizieren. Als der Vater fünf Jahre später aus Kriegsgefangenschaft heimkam, war er ein Fremder. Er, aufgewachsen in der Großstadt, verlor in einer Bombennacht das Dach überm Kopf. Seine Mutter, die Städterin mit dem ondulierten Haar, umringt von fünf Kindern, die aufs Land verschickt und einquartiert wurden, galt den Bauern dort als faul und arrogant. Erst als er schon über sechzig war, erinnerte er sich wieder, wie er mit den Brüdern aus den Kellern herausgeklettert war in jener Nacht auf die Straße, die keine mehr war, ein Trümmerfeld, in dem sie die Überreste des Hauses, in dem sie gelebt hatten, nicht mehr erkannten. „Und mitten drin stand“, erzählt er, „ein Klavier zwischen den Leichen, da rannten wir hin, das weiß ich noch, keiner mehr da, uns´s zu verbieten, da klimperten wir wild drauf herum.“ Sie sagt: „Das glaube ich nicht.“
Er schrieb rührende Briefe an sein Röschen. Sie beschworen eine Zukunft, in der alles anders war, die hieß: Alles geht, wenn wir uns lieben. Das war voller Kitsch und vollkommen ernst gemeint. Sie machten es wahr. Im Mai 1962 heirateten sie. Es war, sagt sie, nicht der schönste Tag ihres Lebens. Sie putzte bis kurz vor der Trauung. Aber dann fuhren sie zum ersten Mal im Leben in Urlaub: Flitterwochen in Berchtesgarden. „Ich dachte“, erzählt sie, „das müssen wir genießen. Wir wollen Kinder. Da werden wir uns Urlaub niemals mehr leisten können.“ Kinder kamen. Und später wurden auch Urlaube möglich. Sie beharrten über „gute und schlechte Zeiten“ darauf: Alles geht, wenn wir uns lieben. Die Wahrheit ist: Sie streiten sich viel. Immer noch. Die gewöhnen sich nicht dran, nicht mal nach fünfzig Jahren, dass der eine Autorennen mag und die andere Liebesschnulzen, dass der mal laut auftrumpft, was ihr peinlich ist, dass die immer alles penibel organisieren muss, was den nervt. Und das sind nur die harmlosen Gründe. Sie leben keine Idylle. Sie lieben sich bloß. Und ihre Kinder. Einmal im Jahr schenken die ihnen ein paar Tage im Luxushotel. Das sind die Tage, an denen die Combo in der Hotelbar nicht ins Bett kommt, denn Ernst und Röschen tanzen bis ins Morgengrauen, wenn alle anderen Gäste längst verschwunden sind.
ein starkes bild: "„Und mitten drin stand“, erzählt er, „ein Klavier zwischen den Leichen, da rannten wir hin, das weiß ich noch, keiner mehr da, uns´s zu verbieten, da klimperten wir wild drauf herum.“"
AntwortenLöschenund so schraeg und surreal ist das leben mancheinmal... (reimt sich sogar)
deine protagonisten kommen mir unheimlich bekannt vor...
"Unheimlich bekannt" - das gefällt mir. Obwohl Röschen und Ernst nichts Unheimliches an sich haben sollen, vielmehr Träger der Vision sein, dass Leben gelingen kann (und: dass auch so sein scheinbar "kleiner Entwurf" etwas ganz Großes ist.)
AntwortenLöschenDaher verstehe ich dein "unheimlich" so: Es gibt das wirklich und öfter, dass aus dem surrealen Schrecken ein Glück entsteht. Das ist auf seine Weise auch verstörend.