Donnerstag, 9. Dezember 2010

31 Fragen an Bücherleser:Innen (Folge 5): ERINNERN

Fortsetzung der Reihe: 31 Fragen an Bücherleser:innen

auf die in loser Folge Morel, BenHuRum und Melusine Antworten geben

(Wir waren übrigens letzthin ein wenig enttäuscht, dass niemand sich für das wunderbare Buch über die langen Märsche, Ärsche und Reiskörner interessierte, das BenHuRum so liebt.)

Der nächste Punkt auf der Liste:

7. Ein Buch, das dich an jemanden erinnert

Morel sagt: „Krieg und Frieden“. „Und an wen?“, frage ich. Er lächelt. Mich an. (Draußen schneit es heftig, während ich dies - Mittwochabend - schreibe. Mit dem Rad werde ich es  nicht in meinen Yoga-Kurs schaffen. Doch wenn ich nach Hause komme und den Schnee von meiner Mütze schüttele, erinnere ich Morel vielleicht wieder an jemanden.)

Ich denke bei „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ an Morel.  Keine bestimmte Figur in diesem monumentalen Werk erinnert mich an ihn; wir waren auch noch nie zusammen in der Normandie oder in der Bretagne (wohl aber in Paris), sondern die Bücher selbst, die rotrosa marmorierte Ausgabe, die immer schon da war, solange ich Morel kenne (ein Vierteljahrhundert).

BenHuRum erinnert sich bei der Lektüre Kafkas an sich selbst. (Kein Kommentar.)


8. Ein Buch, das dich an einen Ort erinnert

Morel müht sich nicht um Variation und Vielfalt; er antwortet: „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. 

Paris.Paris.Paris.

Morels Antwort erinnert mich an das Café auf dem Dach des Kaufhaus Lafayette, wo ich 1988 im Zugwind saß und „Kontrolliert“ von Rainald Goetz las. „Fight for your right“. Ich mochte den Roman nicht. Die Figur Raspe, die mich in „Moskau“ so beeindruckt hatte, schien mir hier erstarrt, gewollt, konstruiert. Den Kontrollfreak fand ich zu angestrengt anstrengend: „Man muss den Staat ja nicht als dicken toten Haufen Fleisch im Kofferraum ablegen.“ Genau. Muss man nicht. Vielleicht müsste ich das doch noch mal lesen. Aber jetzt nicht. Mir geht´s zu gut. Grade. Oder: Ich bin zu traurig. (Das ist übrigens kein Widerspruch, nebenbei.)

BenHuRum muss zu der Frage lange überlegen. Ich schlage den „Werther“ vor: „Vom Bismarckturm runter auf Garbenheim gucken...“ „Den Werther habe ich nicht gelesen.“ „Ach so.“ Der Hinweis hilft ihm trotzdem weiter, denn der Hügel, der Acker am Bismarckturm, wo wir Drachen steigen ließen, der Blick von dort ins dorfhügelige Grün weckt die Erinnerung an sein Lieblingsbuch „Nachsommer“ in ihm. „Jetzt, wo du´s sagst...“




4 Kommentare:

  1. Ich habe mir gerade das Foto etwas näher angeschaut. Die gleiche Ausgabe von Suhrkamp steht auch bei mir im Regal. Durch die adelige Welt des vierten Bandes, "Die Welt der Guermantes Teil I" scheint ein Riss zu verlaufen, was an der Faszination, die diese Gesellschaftsschicht auch noch in ihrem Verfall auf Proust ausübte, nichts änderte. Den englischen Band daneben gab es auch auf Deutsch:"Prousts Figuren und ihre Vorbilder". Mit der abgebildeten Prinzessin Soutzo und ihrem späteren Ehemann Paul Morand dinierte Proust 1917 im Ritz. Die adligen Frauenfiguren wurden bei Proust aufgrund ihrer Aura beinahe vergöttert. Die Prinzessin starb 94jährig 1975 in Paris.

    AntwortenLöschen
  2. Ja, lieber Buecherblogger, ich bevorzuge diese Ausgabe mit der leicht verstaubten Uebersetzung von Frau Rechel-Martens gegenueber der Neuuebersetzung aus den 90ern mit ihrem unmaessigen Anmerkungsapparat und der klinisch-desinfizierten Sprache. Da fehlen die Risse, so zumindest mein durch die sentimentale Erinnerung an die Erstlektuere eher unzuverlaessiger Eindruck.

    AntwortenLöschen
  3. Altersbedingt las ich natürlich auch die erste vollständige Übersetzung von Eva Rechel-Mertens aus den fünfziger Jahren. Damit geht es mir wie Ihnen. Immer wenn ich in eine andere Übersetzung hineinlesen will, stört mich quasi schon die Veränderung. Einmal Rechel-Mertens, immer Rechel-Mertens könnte man sagen, aber mir gefällt daran nicht, dass der Abdruck den eine Erstlektüre hinterlässt, vielleicht auch ungerecht gegenüber anderen Versionen macht. Die angeblich ja nur revidierte Übersetzung von Luzius Keller kenne ich noch gar nicht, habe aber mal in die beiden Neuübersetzungen von Michael Kleeberg "Combray" und "Swann" in schönen Ausgaben der Büchergilde hineingelesen. Damit bin ich auch nicht warm geworden, zu sachlich, wo Rechel-Mertens vielleicht eher blumig wirkt. Nun habe ich mir vorgenommen, einmal in Walter Benjamins alte Übersetzung "Im Schatten junger Mädchen" hineinzulesen. Allein der Unterschied im Titel, der bei Frau Rechel-Mertens ungleich romantischer klingt, macht mich auf den Ton der zwanziger Jahre neugierig. Wo sie über Benjamin promoviert haben, kennen Sie diese Übersetzung? Ich bin kein Proustexperte, sondern nur einer von den Millionen Bewunderern. Die "Recherche" wäre mein Buch für die einsame Insel. Noch eine neugierige, aufdringliche Frage: Hat das Pseudonym Morel etwas mit der Figur bei Proust zu tun?
    Herzlichen Gruß
    Der Buecherblogger

    AntwortenLöschen
  4. Proustexperte bin ich auch nicht und Benjaminexperte nun schon länger nicht mehr. Seine Proustübersetzung ist sicher gut (Benjamins kühle Romantik passt da ganz gut), aber er hat nur einen oder zwei Bände zusammen mit Franz Hessel übersetzt. Dass die zuerst gelesene Übersetzung einen am stärksten prägt, kann Proustleser allerdings nicht wirklich überraschen: auch der Erzähler wird noch Delikateres zu sich genommen haben als die in Tee getunkten Kekse. Motel ist natürlich ein übler Wicht, ich werde mal Morels Erfindung lesen müssen, aber ich wollte schnell etwas finden, was klanglich zu Melusine passt.

    Herzliche Grüße, Morel

    Viele Grüße, Morel

    AntwortenLöschen