Freitag, 1. Juli 2011

WEITER: ZURÜCK NACH CHICAGO

Listening to „Chicago“ von Frank Sinatra: 


 „Chicago – my home town, Chicago... the town that Billy Sunday couldn´t  shut down.“ Jemand hat es auf Facebook gepostet. Es erinnert mich daran, wie dringend ich weiter will, weiter zurück in meinem Roman „MelusinefeaturingArmgard“, zurück in die 90er, an die Großen Seen, in die Windy City, wo Anne glücklich war, Mutter wurde und ihre große Liebe sie verriet. Oder mindestens glaubte sie das. Glaubt es. Bis zum Schluss. Oder nicht? Was ist Liebesverrat? Überall werden Dreiecksgeschichten erzählt. Dass eine einen andern liebt, sich dem hingibt, dass einer einer Anderen die Lippen aufdrückt - das gilt als Verrat an der Liebe. Ich werde nicht so eine Geschichte erzählen. Es wird Dritte geben: Männer und Frauen, von denen Anne und ihr Mann sich angezogen fühlen. Doch den eigentlichen Liebesverrat begehen sie nicht, indem sie sich auf andere einlassen, sondern indem sie einander sein lassen, sich wechselseitig freistellen, indem sie das Vertrauen des andern enttäuschen. Das Vertrauen darein, dass der Andere uns versteht, ist immer illusionär. Aber es ist die Illusion, um deren Bewahrung die Liebe ringt, so lange sie besteht. Erschöpft sie sich in diesem Kampf, kann es geschehen, dass einer den andern verrät. Der Verrat besteht im Aufgeben, in der Erschlaffung, einem Mangel an Aufmerksamkeit und Sehnsucht, in Mäßigung und Gewöhnung. Das tarnt sich als Alltag und unabänderlich. Es muss nicht zum Scheitern der Liebe führen. Es öffnet dem Dritten die Tür, dessen Erscheinen ansonsten ganz ungefährdet genossen werden könnte. Erst so vermag zum romantischen Abenteuer zu werden, was sonst nur eine Attraktion gewesen wäre.

Anne glaubt. An die LIEBE. Nur Gläubige können verraten werden. Denn der Glaube setzt Vertrauen in das Unbeweisbare. Als der Glaube erschüttert ist, beginnt sie das Beben vom See her zu spüren: Die Schwester, die sich anrühren lässt, vom Manne, nicht einem, sondern dem Wesen. Die Schädlichkeit des Begehrens, das sich keine Grenze mehr setzt und auf keinen konkreten Menschen mehr richtet: eine todbringende Hingabe. Alle Fähigkeiten des Weibes besitzen, aber sich nicht mehr binden lassen. Eine Unmenschlichkeit, die nur als entstellend erscheinen kann. Der Dämon, den die Mutter in sich birgt, um ihre Söhne zu erhalten. Als er an die Oberfläche kommt, muss Blut fließen. Aber es gibt keine poetische Gerechtigkeit. Nicht die Verräter und Sünder fallen, sondern der Unschuldige stirbt.

Doch dies ist nur die eine Seite der Geschichte: Annes. Von ihr weiß ich viel. Auch von dem Mann, den sie liebt, Bert, dem Limnologen, der die Gewässer durchleuchtet. Doch jener, der die gefährliche Wasserfrau hervorlockt, der die Melusine klingen lässt, der Dunkle Ritter, TomTom, er gibt mir Rätsel auf, entzieht sich meinem Zugriff in drogengeschwängerte Halluzinationen. Ein Kindmann, dem nie zu trauen war. Er ist meiner Erzählung so gefährlich geworden wie er es für Annes Familienleben in der Mark ist.

2 Kommentare:

  1. Ich hatte schon vor einiger Zeit am See gelesen. Und fand darunter eine meiner Lieblingsvorstellungen wieder: was für ein mächtiger Köder Sprache sein kann - eben nicht nur eine Lokomotive, um Inhalte von einem Ort zu anderen zu befördern, sondern pures Jetzt, in das man mutwillig die Zähne schlägt. Das gelingt ja nicht oft, gerade wenn man so reich an Gleisen ist - die führen halt immer ; ) Deswegen mag ich Ihren See und die ihm innewohnende Schwester auch so. Als den Anderen Ort.

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  2. Danke! (Tut mir gut, der Zuspruch, den ich komme grade nicht recht weiter - besser: tiefer - dort am See....) Herzliche Grüße M.

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