In den Umlaufbahnen, in denen ich mich bewege, hier im Netz und „draußen in der Welt“, gilt das Bekenntnis zur lebenslangen Ehe mit Kindern als mindestens sonderbar: So jemand kann doch eigentlich nur ein die Wirklichkeit leugnender, bestenfalls naiver, im Regelfall aber heuchlerischer Moralapostel sein.
Klar, es gibt immer noch Bilderbücher, in denen Papa, Mama, Bub und Mädel brav vorm Häuschen stehen, wo Papa mit der Aktentasche morgens ins Auto klettert und Mama einen leckeren Kuchen backt. Wer schwul ist, lesbisch, asexuell, in Regenbogen- oder Patchworkfamilien-Konstellationen lebt, wird nicht nur im ländlichen Raum immer noch mit dem „Normalo“-Modell konfrontiert, das als Maßstab gilt, an dem alle anderen Lebensentwürfe sich abzuarbeiten haben. Steuersystem und Krankenversicherung sind auf die „Allein-„ oder „Zuverdiener-Ehe“ ausgelegt und auch was die Gleichstellung von Männern und Frauen in Haushalt und Beruf angeht, sind wir gesellschaftlich längst nicht soweit, wie wir gerne wären und sein sollten. Die faktisch andauernde Herrschaft des bürgerlichen Familienmodells befindet sich ideologisch jedoch in der Defensive. Die Versorger-Ehe hat angesichts des Ausbildungsstands und der beruflichen Chancen junger Frauen im Grunde keine Berechtigung mehr. Dass Kinder sich nur unter der RundumdieUhr-Obhut ihrer leiblichen Mutter gedeihlich entwickeln, ist durch vielerlei Studien und den Augenschein in der nächsten Umgebung nachdrücklich widerlegt. Jeder kennt schwer gestörte Müttersöhnchen.
Es gibt in der Tat nichts zu verteidigen am traditionellen Familienmodell, insofern es um die ökonomische Basis und die damit verbundenen Machtstrukturen (vor allem zwischen den Geschlechtern) geht. Weder den autoritären, abwesenden Vater noch die kluckende, deutsche Übermutter vermisste ich. Mir geht es um etwas anderes: Gerade weil wir (oder einige Privilegierte unter uns) keinen ökonomischen Zwängen und kulturellen Konventionen mehr unterworfen sind, könnte das Versprechen einander ein Leben lang beizustehen „in Freud und Leid“, von Wert sein. Denn jetzt erst wäre es ein Versprechen aus freiem Willen, an das uns nichts bände, als wir selbst. Es hieße, dass wir aus freien Stücken fähig wären, uns unbedingt zu binden, wie wir auch unbedingt frei wären, ungebunden zu bleiben.Wir trauten uns das zu und trauten einander, solche Versprechen zu halten.
Michel Foucault hat gezeigt, wie eine Täuschung in der Idee einer „sexuellen Befreiung“ liegt, weil diese zugleich den Zwang zur Sexualisierung hervorbringt. Mir scheint auch die Lösung aus der lebenslangen Bindung, eine bloße Scheinfreiheit der Befreiten zu begründen. Denn es wird nun umgekehrt der Zwang erzeugt, sich jederzeit für ein anderes Leben, eine andere Liebe „bereit“ zu halten. Wer sich freiwillig bindet unter Bedingungen, in denen er oder sie das nicht „nötig hat“, macht von seiner Freiheit Gebrauch. Es ist nicht sicher, ob alle das von sich sagen können, die ein libertinäres Lebensmodell bevorzugen. Oder ob sie getrieben werden von der Notwendigkeit, sich auf dem jetzt deregulierten freien Markt der Beziehungen den eigenen Marktwert zu bestätigen? Diese Überlegung jedoch bewegt sich schon wieder auf eine Setzung zu, die alle mögliche Freiheit untergräbt: Nämlich ein Lebensmodell gegen das andere auszuspielen. Genau darum aber darf es nicht gehen.
Ich zögerte lang, hierüber zu schreiben. Auch das zeigt, wie vermint das Gelände ist und wie groß die Gefahr, sich in der abscheulichen Gesellschaft derjenigen wiederzufinden, die Herdprämien verlangen und sich nach KinderKücheKirche-Zeiten zurücksehnen. Doch ist es Zeit, glaube ich, auch einmal um Verständnis zu werben für die Entscheidung, die eben gerade nicht mehr der Normalfall ist: für eine verbindliche Bindung, die nicht zur Disposition steht. Eine (Selbst-)Verpflichtung, selbstverständlich, an der man auch – unbedingt! – scheitern kann.
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Und jetzt gehe ich zum Slutwalk – ohne männliche Begleitung. Denn der Mann, mit dem ich verbunden bin, sagt: „Damit identifiziere ich mich nicht.“ (Außerdem kann er auf Highheels nicht laufen.)
Liebe Melusine,
AntwortenLöschenBRAVO! Ich danke Dir, dass Du den Mut zu diesem Blogartikel aufgebracht hast und über die Lebens-Bindung schreibst, die eigentlich genauso selbstverständlich sein sollte wie andere Lebensentwürfe, die heute möglich sind. Zugleich erschreckt es mich, dass die „Langzeit-Normalo-Ehe-Bindung“ beinahe schon in eine Ecke gerät, aus der sie heraus zu verteidigen ist, denn Deine Wahrnehmung entspricht über weite Strecken meiner eigenen. Dieser Tage hörte ich im Radio, dass jede dritte Ehe, die 25 Jahre und länger dauert, geschieden wird. Und ich fragte mich, sind dann die anderen, diejenigen, die alle lange Jahr[zehnt]e [oder immer noch] mit ein und der-mselben zusammen sind, und das sogar „glücklich“, dann irgendwie nicht mehr normal, vielleicht sogar gestört!?
Andererseits stelle ich bei den jüngeren Frauen, also diejenigen, die eigentlich Töchter im Twen-Alter oder Teenager-Enkelinnen sein könnten, eine Entwicklung fest, die mich nachdenklich stimmt: Beide sagen [uns, ihren Müttern], „so viel wie DU [Ihr] wollen wir mal nicht arbeiten oder unter einen Hut bringen müssen [um uns verwirklichen zu können]“ und die für sich infolge dessen, gerade wieder das alte Familienmodell - Frau [mit Mikrowellen-Thermoschnellkochtopf-Garküche] mit gut verdienendem Mann – wählen. Es sind jene jungen Twen-Frauen, die nach [sehr gutem] Abschluss ihrer [guten] Ausbildung sich bewusst für den gut verdienenden Mann [den sie in der Regel während der Ausbildungszeit kennenlernten und der bei einem hiesigen Global Player arbeitet] entscheiden, um dann rasch – ein, zwei, drei, vier Kinder zu kriegen – und als sog. „Cappuccino-Mütter“ [wie sie hier in der Region S – von manchen - genannt werden] auf High-Heels und mit Buggy derzeit in den Straßencafés zuhauf zu finden sind. Einerseits beneidenswert, andererseits beängstigend.
Beneidenswert, weil sie sich, vom [enorm aufbauenden gesellschaftlichen] Druck, der alles-unter-einen-Hut-bringenden-Mummy-Karriere-Frau frei machen und bewusst zur Kindererziehung stehen. Andererseits beängstigend, was die Konsequenzen anbelangt [für den Fall, dass Ehe, Familie, Karriere des Mannes schief geht, v.a. eines angesichts aktuell ergangenen Scheidungsurteils, wonach auch Frauen mit Kleinkindern eine Vollzeittätigkeit wieder zugemutet wird]…
Dies alles sehr gerafft hierzu ergänzend.
Mag auch sein, dass dieser Trend ein rein regionaler ist, da wir eben hier in der Wohlstandsregion Stuttgart so gut wie keine Arbeitslosigkeit [kennen und haben] und damit die eben geschilderte Entwicklung vielleicht auch absolut eine Ausnahme ist [??]...
In der Abwägung, ob dies nun – regional betrachtet – mehr beneidenswert als beängstigend ist, glaube ich dennoch mehr an den Mut, gerade auch dieser jungen Frauen, weil dies vielleicht auch sehr gut die [Wahl]Freiheit ist, die sie leben und die sich in Deinem folgenden Satz widerspiegelt, der mir der schönste Deines Artikels ist: „Wer sich freiwillig bindet unter Bedingungen, in denen er oder sie das nicht „nötig hat“, macht von seiner Freiheit Gebrauch.“
Ein Satz, der es wert ist, mit roter Lippenstift-Farbe in großen Lettern an die Wand gemalt zu werden ;-)
In diesem Sinne viel Spaß beim Slutwalk,und vielen Dank für den Gedankenanstoß,
herzlich
Teresa
Danke, Teresa.
AntwortenLöschenAllerdings fürchte ich doch, dass diese jungen Frauen in eine Sackgasse geraten. Ökonomische Unabhängigkeit ist Voraussetzung für freie Entscheidungen. Davon abzusehen, ist gefährlich. Es ist eben doch eher ein Rückschritt, wenn junge Frauen sich so entscheiden (müssen?), weil viele Männer (nicht alle natürlich) sich nicht ändern und dies auch keineswegs als Mangel an Wahlfreiheit erleben.
Ich merke auch, dass sich hier zwei Ebenen überschneiden: die Beziehung zwischen den Geschlechtern und die Art und Weise, wie man Vater und Mutter ist. (Wer Kinder hat, kann das ja auch gar nicht trennen.) Es ist sehr schwierig herauszufinden, welche Anteile wir hier (frei?) gestalten können und wo wir aus unseren Determinationen nicht herauskommen.
"Wer sich freiwillig bindet unter Bedingungen, in denen er oder sie das nicht „nötig hat“, macht von seiner Freiheit Gebrauch."
AntwortenLöschenDanke für diesen perfekten Satz. Ich bin jedenfalls sehr froh und glücklich damit, diese Freiheit zu haben.