Montag, 29. August 2011

STREIT UND LEID

Das Telefonat fiel Elke schwer. Aber eine musste es tun.
„Ich rufe an, um dir zu sagen, dass es Judith schlechter geht.“
„Judith...?“
„Unserer gemeinsamen Freundin Judith, genau. Du hast dich lange nicht mehr gemeldet, sagte sie.“
„Sagte sie?“
„Manuela, ich habe keine Ahnung, was mit dir los ist. Ich glaube, Judith hat auch keine. Aber sie möchte dich noch mal sehen.“
„Mich noch mal sehen? Zieht sie nach London?“
Das ging zu weit.
„Hast du sie noch alle? Sie stirbt, du blöde Kuh.“
Elke unterbrach das Gespräch wütend und ließ den Hörer aufs Sofa fallen. Wenn Manuela zurückrief,  würde sie nicht drangehen, schwor sie sich. Sie würde sie zappeln lassen. Sie würde überhaupt nicht mehr mit der reden. Die kann mich mal. Die soll sich nie mehr blicken lassen. Diese Stimme. Als könnte sie sich kaum erinnern, wer Judith war. Eine deiner besten Freundinnen, doofe Nuss! Hast du das vergessen? Sie hatte Manuela zum letzten Mal gesehen, als die ihnen erzählt hatte, sie lasse sich nie von ihrem Mann penetrieren. Genau. Manuela und Judith haben irgendwie auf Gabi und mich herabgeschaut, hatte ich das Gefühl. Weil wir ab und zu beim Sex die Vorlieben der Kerle bedienen. Aber dann habe ich mich wieder mit Judith versöhnt. Direkt danach erfuhr Judith, dass sie Krebs hat und schickte den Abschiedsbrief nach London. Ich dachte, das sei ein Fehler. Doch es ging ihr besser. Sie schien sich gut zu fühlen. Elke stiegen die Tränen in die Augen. Scheiße. Sie trat gegen den Sessel, der ihr im Weg stand. Im Bad tupfte sie die Wimperntusche unter ihren Augen weg. Verdammt. Warum rufst du nicht an, Manuela? Judith will dich sehen. Und ihre Zeit ist knapp.

Manuela meldete sich erst eine Stunde später. Doch begann sie das Gespräch, als sei es nie unterbrochen worden. „Sie stirbt? Sie geht nicht nach London?“ „Sag mal, hast du echt keine Ahnung gehabt?“ „Wovon?“ „Judith hat sich von ihrem Mann getrennt und sie hat Krebs.“ Manuela schwieg. Lange. „Ich wusste das nicht.“ „Wann habt ihr euch zuletzt gesehen?“ „Damals bei mir.“ „Als du uns erzählt hast... Und seitdem Funkstille?“ „Ja.“ „Warum? Du und Judith – ihr ward euch doch einig, dass...“ „Worüber einig? Dass eine Frau keinem Mann zur Verfügung stehen sollte, um ihn sexuell zu befriedigen, wenn sie selbst nichts davon hat? Darin waren wir uns einig, klar.“ „So wie du das ausdrückst...“ „Egal. Was ist mit Judith?“ „Gebärmutter-Krebs. Direkt nach der OP und der Bestrahlung sah es gut aus. Aber jetzt...“ „Du sagtest, sie stirbt.“ Elke musste schlucken. „Sagen die Ärzte, ja. Ich wohne jetzt bei ihr.“ „Und er?“  „Sie will ihn nicht hier haben. Einmal war er da, aber es tat ihr nicht gut. Sie hat ihn rausgeschmissen.“ „Sie will mich sehen, sagtest du.“ „Ja.“ „Warum?“ „Du bist ihre Freundin. Dachte ich. Dachte sie offenbar. Was ist los?“ Manuela schwieg. „Was war an dem Nachmittag? Wir gingen zusammen. Ich verstehe das nicht.“ Wieder dauerte das Schweigen lange. Elke hörte Manuelas Atmen. „Sie hat gesagt: ´Ich mag eigentlich nur das. Kann gar nicht tief genug sein.“ „Was?“ „Einen Schwanz in sich.“ „Was?“ „Sie mag nur Sex mit Männern, hat sie gesagt, oder?“  „Ich weiß nicht mehr“, sagte Elke, „kann sein. Und wenn...Warum...“ Dann begriff sie. „Scheiße.“ „Ja. Es tat verdammt weh.“ Elke schwieg. „Mir war nicht klar, dass ihr, dass du...Bitte komm. Trotzdem.“ „´Mitleid ist die schlimmste Erniedrigung.´“ „Es geht hier nicht um Orgasmen, sondern um Sterben.“ „Ist ja gut. Ich komme. Gleich?“ „Bitte.“


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7. Fortsetzung von "Frauensachen"
1. Lust und Frust
2. Hingabe und Freiheit
3. Blut und Wut
4. Kuss und Schluss
5. Abschied und Anfang
6. Fleiss und Preis


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