Sonntag, 11. September 2011

GEGEN DIE ZEIT. Die Fernsehfilme von Dominik Graf

Ein Beitrag von MOREL

Die Vorliebe der Romantik für Ruinen weist in zwei Richtungen. Es ist die nostalgische Sehnsucht nach einer idealisierten Vergangenheit, aber auch die Sympathie für Bruchstücke und Fragmente, die einmal Bedeutung erhalten könnten. Reaktionär und modern zugleich. Nur in der Gegenwart überwiegt die Falschheit.

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Schläft ein Lied in allen Dingen - diese Zeile aus einem Gedicht von Joseph von Eichendorf steht als Titel über einem Sammelband mit Texten des Filmregisseurs Dominik Graf, den der verstorbene Filmkritiker Michael Althen herausgegeben hat. Die meisten der Texte in diesem Band handeln von Vergessenem und Abseitigem: italienische Polizeifilme der 70er Jahre; der manchmal spät nachts im Fernsehen gezeigte Kriminalfilm Night Moves von Arthur Penn; auf schräge Weise gelungene Folgen beliebter deutscher Kriminalserien wie Der Kommissar oder Der Alte. Kein Kanon ist hier zu finden, sondern Bruchstücke eines anderen Deutschlands. Verpasste Chancen, unwirklich gebliebene Möglichkeiten. In einem der zentralen Texte dieses Bands, Wenn sich die späten Nebel drehen, geht es um den Film Lili Marleen von Rainer Werner Fassbinder, aber auch um Deutschland. Fassbinders freier, wilder Blick auf die deutsche Vergangenheit wurde, so Graf, mit der Wiedervereinigung domestiziert: „So als hätten wir Deutschen mit der Wiedervereinigung den entscheidenden Berührungspunkt mit all den Widersprüchen, mit all der brutalen Dialektik unserer Geschichte verloren.“ Die dann auch nur noch in der ewigen Wiederholungsschleife der Event-Movies als Farce wiederkehrt: von Stalingrad zum Wirtschaftswunder und wieder zurück.

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Die Erfahrung mit 89, mit der unheimlichen Domestizierung von Film und Literatur, den Einladungen von Schriftstellern ins Kanzleramt, der staatstragenden Bedeutung von Filmen über historische Themen, prägt die Fernsehfilme, die Graf hauptsächlich in den 90ern und 0er Jahren gedreht hat. Es sind weniger Kinofilme, mit denen er hervorgetreten ist (die zwar freundliche Kritiker aber nur wenig Publikum fanden), sondern vor allem Folgen von Krimiserien wie Tatort, Sperling und Polizeiruf. Für die Feuilleton-Kritik und das Fernsehpreise verleihende Grimme-Institut gehören diese Arbeiten zu dem Besten, was im deutschen Fernsehen zu sehen ist. Das Publikum sieht das manchmal anders. Cassandras Warnung, die erste Folge einer Kriminalserie mit dem Schauspieler Matthias Brandt als adeligen, etwas schrullig-unnahbaren Kommissar, war den meisten, die sich im Internet unter den jubelnden Ankündigungen der Fernsehkritiker, nach Anschauen des Films äußerten zu unverständlich und gewalttätig. Außerdem wurde zu viel geraucht und geflucht. Aber selbst das Satireportal Spam auf Spiegel-Online, im eigenen Selbstverständnis eher provokant als spießig, nahm die vermeintliche Konfusion des Films aufs Korn. Die Fernsehfilme von Dominik Graf haben ihre Haken, sie scheinen den ruhig durch alle Kanäle fließenden Bilderfluss des Fernsehens zu stauen.

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Dieser Haken ist in vielen Filmen Dominik Grafs so wie in seinen Texten die Vergangenheit. Dabei sind es zum Teil tatsächlich Spuren einer anderen Zeit, die er aufzeichnet: in Cassandras Warnung beispielsweise das Pharao-Haus, eines der legendären in der Aufbruchsstimmung der Münchener Olympiade 1974 entstandenen Gebäude, das auch in vielen Derrick-Folgen eine Rolle spielte. Die Ruinen unserer ironisch-fatalistischen Postmoderne sind eben die Zeugnisse aus einer Zeit des Aufbruchs und des Optimismus. Die Konfusion seiner Genrearbeiten, der Aufrauhung von Serienklischees, ist auch immer eine der Zeiten. In Cassandras Warnung wurde das Motiv für den Mord an der Frau eines Polizisten in nicht aufgeklärten Verbrechen der Vergangenheit gesucht. In Wirklichkeit war es aber der Versuch des Polizisten als Täter ein neues Leben zu beginnen, dass ihn die Vergangenheit manipulieren ließ. Es ist dann ein alter, etwas tattrig wirkender Notar, der zur Überführung des Täters beiträgt. Wir werden die Vergangenheit niemals ganz los, etwas bleibt immer. Die vielleicht von Fassbinder geerbte Faszination für die Kunst der Deutschen sich ihrer Vergangenheit bewältigend zu entsorgen, prägt auch die zahlreichen Arbeiten Dominik Grafs, die in Ostdeutschland spielen. Hierzu zählt auch – mit Abstrichen - der zweite in den letzten Wochen zu sehende Graf-Film, Komm mir nicht nach, Teil der zusammen mit Christian Petzold und Christoph Hochhäusler gedrehten Trilogie Dreileben. Hier geht es um den verurteilten Sexualstraftäter Molesch, der durch den Thüringer Wald gejagt wird. Während Petzold in brillanten Bildern mythisch-märchenhaft von Liebe, Verrat und tödlichem Konformismus erzählt und Hochhäusler ein wenig spröde und anstrengend das Monster als Ergebnis unserer Gleichgültigkeit porträtiert, nimmt Graf, der Krimiexperte, am meisten Abstand zum Verbrechen. Sein Film handelt von einer Polizeipsychologin, die sich bei zwei Studienfreunden einquartiert, als sie zu dem Fall des entlaufenen Molesch hinzugezogen wird. Im Zentrum steht aber nicht die erfolgreiche Falle, die den Entlaufenen stellen wird, sondern die gemeinsame Zeit von Jo und Vera in München, wo sie in denselben Mann verliebt waren. Dieses kurz nur in wenigen Sequenzen zu sehende, nächtliche München ist eines dieser romantischen Fragmente in den Filmen Grafs, die zunächst irritieren, aber notwendig sind. Sie stehen wie das utopische Pharaohaus für verpasste Chancen. Denn die Lügen zwischen den beiden Freundinnen, vielleicht auch nur das Ungesagte, leben in einer unbefriedigenden Gegenwart fort. Das Kind, das Jo als alleinerziehende Mutter am Anfang bei den Eltern zurückgelassen hat, ist ebenso Konsequenz dieser Vergangenheit wie das unverbindliche Eheleben von Vera, die München nicht vergessen will. Die Wahrheit liegt immer außerhalb der Bilder, im Off. Konfus erscheinen die Filme Grafs nur denen, die glauben, dass Bilder keine Vergangenheit haben. 


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