Donnerstag, 13. Oktober 2011

(Un-)Perfekte Paare (9): UMGEBLASEN - "ÜBER DIE MACHT DER LIEBE"

Der kleine Mann lehnte die Paradoxie der romantischen Liebe mit Nachdruck ab. „Einer nur und einer angehören...“ – das schien ihm herabwürdigend für einen Mann von Geist: Sein ganzes Glück in einer Frau zu sehen, von ihrem Augen-Blick seinen Herzschlag bestimmen zu lassen und unter ihrem Lächeln ein Kribbeln auf der Haut zu spüren, für das keine physikalische Ursache zu finden war. „Ist die Macht der Liebe unwiderstehlich, oder kann der Reiz einer Person so stark auf uns wirken, dass wir dadurch unvermeidlich in einen elenden Zustand geraten müssen, aus welchem uns nichts als der ausschließende Besitz dieser Person zu ziehen im Stande ist?“, fragte er provozierend in einer kurzen Brieffolge über „Die Macht der Liebe“. Das sei natürlich vollkommener Quatsch. Der Werther war gerade erschienen und es schien dem Vernunftmenschen angebracht, der (männlichen) Jugend ins Gewissen zu reden, sich von derlei Machwerken nicht vom rechten Pfade abbringen zu lassen: „Nach dieser Untersuchung“, hält er mit (pseudo-)wissenschaftlicher Geste fest, „behaupte ich mit völliger Überzeugung: die unwiderstehliche Gewalt der Liebe, uns durch einen Gegenstand entweder höchst glücklich oder höchst unglücklich zu machen, ist poetische Faselei junger Leute, bei denen der Kopf noch im Wachsen begriffen ist.“ In Wirklichkeit sei halt alles Geschlechtstrieb, der allerdings außergewöhnlich stark sein könne (sein eigener insbesondere; er hielt das täglich mit geheimen Zeichen in seinen Sudelheften fest; wie oft er onanierte oder Geschlechtsverkehr mit Dienstbotinnen hatte). Auch mache zweifellos, die „Erfüllung des Geschlechtstriebes höchst glücklich“. Indes - er schrieb das nicht in ganz so groben Worten - sei es doch im Grunde einerlei in welches Loch man sein männliches Trieborgan stecke.

Alles komme nun also darauf an, für den vernünftigen Mann, meinte er, den Sexualtrieb korrekt zu unterscheiden von dieser literarischen Fiktion der „schwärmenden Liebe“, die Männer zu Schwächlingen mache. Wie das zu bewerkstelligen sei, darauf wolle er im zweiten Teil seiner Brieffolge genauer eingehen. Er schließt den ersten Briefbogen mit den Worten „Man verteidigt Liebe und verwirft Liebe, und eine Partei versteht dieses und die andere etwas anderes. Soweit diesen Morgen.“ Am nächsten Tage, 9.00 Uhr exakt, setzt er fort: Freilich sei die Illusion der romantischen Liebe anziehend für die „guten Mädchen“, die dergleichen Geschichtchen läsen und – leider – auch für die „mädchenmäßigen Jungen“, die dergleichen Zeug produzieren. Jedem mit Verstand werde aber ohne weiteres klar, um welchen Schmarrn es sich hier handele: „Die Benennungen sind nur insofern wahr, insofern es wahr ist, dass Mädchen Göttinen sind.“ Der ganze Trubel, behauptet er, komme daher, dass das Weibliche unzulässig aufgewertet werde. Richtiger hätten es die Griechen gemacht, denen noch klar gewesen sei, wozu Frauen da sind: „Sie brauchten sie, die organisierten Fleischmassen zu zeugen, aus denen sie selbst nachher Helden, Weise und Dichter formten, und ließen sie übrigens gehen.“ Er wird richtig sauer, wenn er gegen diese männlich-klare Haltung das gegenwärtige Gehabe der Weichlinge hält: „Mir läuft die Galle über, wenn ich unsere Barden das Glück des Landmannes beneiden höre. Du willst möchte ich immer sagen, glücklich sein wie er, und dabei ein Geck sein wie Du, das geht freilich nicht. Arbeite wie er, und wo deine Glieder zu zart sind zum Pflug, so arbeite in den Tiefen der Wissenschaft, lies Eulern oder Hallern statt Goethe, und den stärkenden Plutarch statt des entnervenden Siegwarts, und endlich lerne dein braunes Mädchen genießen, wie dein braunes Brot – von Hunger verklärt und gewürzt, wie dein Landmann tut, so wirst du glücklich sein wie er.“ Immerhin, gibt er noch zu, sei es ja möglich, dass aus der Triebbefriedigung sich so was wie Liebe ergäbe. Das komme, weil „die Person“  - also: das Mädchen – sich in „unserer Kultur“ ja den Liebhaber - also: den Mann – notwendig als „einzigen Gesellschafter“ nehmen müsse. So binde sie schließlich den Mann an sich durch „tausend andere Dinge“, als „Ratgeber, Freund, Handlungskompagnon, Bettkamerade, Spielsache, lustiger Bruder (Schwester klingt nicht)“. Daraus entstehe dann eine „reine Schuldigkeit“, so dass am Ende auch der Vernünftige, nun denn: eben - liebeGut gebrüllt, Lichtenberg! Und immerhin: Die Verhältnisse sind selten klarer und ungenierter dargelegt worden, die sich gerade die romantischsten Liebhaber oft zunutze gemacht haben, um selber polyamor unterwegs zu sein, vom Frauchen daheim aber „Treue“ einzufordern. 

Es haben diese harschen Briefe jedoch einen Subtext, der die Abfuhr Georg Christoph Lichtenbergs an die Liebesmacht relativiert. Die Briefe sind an eine konkrete Frau gerichtet, an die Frau seines Freundes, an Dorothea Friederike Baldinger. Teile der Briefe hat er sich zurückerbeten, so dass er sie vernichten konnte. Im ersten Überlieferten beginnt er: „So wie ich vorgestern angefangen hatte, kann und mag ich nicht fortfahren.“ Es handelt sich bei den an uns gelangten Texten also um ein allgemeingültiges „Fundament“, das er legen will, nachdem er vielleicht sehr viel privater sich vorher geäußert hatte. Er übereignet dieses nur scheinbar stabile Fundament der Adressatin ausdrücklich zum „Umblasen“: „Ich wage viel damit, wenn ich je viel bei Ihnen gegolten habe, denn ich wage alles zu verlieren. Sie sollen nicht allein meine Gedanken über Verlieben und Macht des Frauenzimmers hier in einem Auszuge sehen, sondern ich will Ihnen auch einen kurzen Entwurf meiner Methode zu philosophieren geben, um mir bei Ihnen nicht sowohl die Überzeugung wegen der ersteren zu erleichtern, als die Vergebung.“

Friederike Baldinger müsse sich, so schlägt er vor, um ihn recht zu verstehen, in ein Neutrum verwandeln, „weder Mann noch Frau, bloß eine vernünftige Seele“. Indem er aber Friedrike Baldinger entsexualisiert und ihre Beziehung als eine platonische Freundschaft festschreibt, legt er selbst sozusagen schon die Lunte, mit der sie – so sie wollte – das ganze Gebäude „umblasen“ könnt. Denn „Über die Macht der Liebe“ betont ja gerade die Macht der sexuellen Triebe. Von Friedrike Baldinger ist ein Brief überliefert, den man als eine späte Antwort auf diese Aufforderung lesen kann. Als „Hexe“ bestellt sie sich den Kopf des Briefschreibers, um dessen Rumpf sich eine andere „Hexe“ kümmern solle.

„Gestern gieng es mir mit Ihnen wie jenem verliebten Mädgen, dem ihr geliebter untreu geworden war, daß sich indeß nach einem andern umgesehen hatte, um jenen zu vergessen, weil er sie verschmähte. Daß aber bei seinem unverhofften anblik des erstern sich doch selbst gestehen musste: alte Liebe rostet nicht: So tanzte mir gestern dass Hertz im leibe, oder viel mehr die Seele im Kopfe, für Freuden, als sie sich under meinem Fenster so unerwartet meinem Auge auf einmal darstellten. Ihr Anblick schob mir, gleich einem Schatten Spiele an der Wand, eine Menge Bilder vor, womit Ihr Witz meiner armen Seele sonst so manches Fest gegeben hatte – aber weg war der Professor wie ein süsser Traum. ich gönne ihnen alles was Ihnen Freude macht, den daß Leben ist kurtz: sagte der weise Salomo und genos es.
Aber das Ihre freuden so schlechterding auf dem schaden Ihrer Freunde gegründet sind – daß ist doch unchristlich. Sonst gabs Hexen (erzählt mir immer meine Kindmagd) die die Leute ohne Kopf darstellen konnten. Wenn ich dieses Kunststück noch lernen könnte so sollten Sie bei verriegelten Türen immer ohne Kopf gehen. Ich würde mir aber für meine Mühe den Kopf ausbitten und einer andern Hexe gern das übrige lassen, weil ich glaube nicht alle Hexen könnten Ihren Kopf so gut brauchen wie ich.
Nach dieser Liebeserklärung werden Sie noch einmal so galant sein und mir Ihren lieben Kopf selber bringen, den ich so lange gerne mündlich hätte wiederhaben mögen, wie sehr er nach einer so langen schmerzlichen Trennung vermisst wird.“

Quelle: Wikipedia
Wir wissen nix Genaues nicht über die Beziehung Georg Christoph Lichtenbergs zu Dorothea Friederike Baldinger. Sie war die Ehefrau seines Freundes. Er schrieb ihr „Über die Macht der Liebe“. Immerhin war da – vielleicht – ein Flirt (– und mehr)?





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