Sonntag, 4. Dezember 2011

ÜBERTRAGUNGSHÄUTE. (Verlorene Fiktionen)

Verzweifelt wühlend: Ich öffne eine Datei in meinen Ordner-Wust. Titel: Die neuen Übertragungshäute. Sie enthält: Nichts. Zitternde Membrane. Ergebener Sex, vergebens? War das ein Thema? Ich weiß es nicht mehr. Ein anderer Ordner, ein Briefentwurf, niemals versendet, fiktive Absenderin, unbekannter Empfänger. Welche Geschichte verbirgt sich dahinter? Wer schrieb das?

Als wir uns leibhaftig trafen, wagte ich nicht Sie anzuschauen. Sie zogen mich nicht an, wahrhaftig nicht. Ich verstand es, mich zu hüten. Nie hätte ich zugelassen, dass Ihr Blick mich dort trifft. Das wussten Sie schon, oder? Andererseits: Ich sorgte immer für Zeugen, ganz unverfänglich. So wagten Sie sogar einmal, Ihre Hand auf meinen Schenkel zu legen. Doch glaube ich sicher, Sie taten das bloß aus Gewohnheit. Mich nahmen Sie gar nicht wahr. Ein weibliches Bein, das nur spannte, wenn ich die Augen schloss. Ich habe auf Ihre Hände nie gesehen. Dabei achte ich sehr auf Hände: Zarter Flaum auf dem Handrücken lässt mich zittern. Am Fenster standen wir, ein einziges Mal allein, erinnern Sie sich? Es gewitterte nicht. Da hätte ich beinahe...Doch ich bin still. So begehre ich. Sie kennen mich nicht und erkannten das nicht. Allenfalls... – war ich nicht nach Ihrem Geschmack. Ob mich das kränkt? Kaum, denn ich bleibe nicht unbefriedigt. An jenem Abend traf ich später draußen Herrn G. Er legte mich ohne Zögern aufs Gras.
Doch hätte ich  gerade Sie gerne einmal schaudern sehen. Es steckt ein grausamer Zug in mir, den ich sorgsam verberge. Verzeihen Sie, dass ich Sie niemals belästigte. Ich muss lächeln, wenn ich das schreibe. Denn ich sehe Sie vor mir, wie Sie vor einer anderen knien und mit Ihrer Zunge deren Perle umkreisen. Darin liegt für mich ein sonderbares Glück: dass ich mir IhrVergehen so deutlich vor Augen führen kann. Fragen Sie nicht, was ich mir einbilde.
Sie werden diesen Brief niemals erhalten. Jedoch einen anderen, das versteht sich. Wir bleiben einander gewogen. 

Leben Sie wohl. ( Und bitte, bei Gelegenheit, senden Sie mir den Schal, den ich im Hotel vergasz und den Sie, wie man mir sagte, an sich nahmen.)

(Nicht) Die Ihre
B.



PS: Sie nannten mich eine Schlange, mein Lieber, ich gebe das Kompliment zurück!

Eine Erzählung, die ich verdrängt habe. Man soll nicht glauben, dass nur die Realität verleugnet werden müsse. Es sind die Fiktionen, denen sich kaum eine zu stellen traut. Mein Heldinnenmut ist (leider?) begrenzt. Die Fabelwesen wirkten daran, an dieser Geschichte, wie an anderen.  (Wildermuths Elbin auch, deren Versteinerung von Alters her beschlossen ist.) Das kann nicht weiter gehen, so. Ein Ende. Ist nicht in Sicht. Aber geboten. 




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2 Kommentare:

  1. Manchmal kommt mir das Schreiben im Blog vor wie ein einsamer Aufenthalt in einem Spiegelzimmer, in dem wir uns in scheinbarer Unsichtbarkeit hemmungslos ausprobieren können, solange es uns gelingt, die Beobachter draußen, auf der anderen Seite der venezianischen Spiegel, aus unseren Gedanken auszuklammern.
    Ich jedenfalls erschrecke nicht selten, wenn mir die - immerhin selbst hergestellte - Öffentlichkeit bewusst wird, und fühle mich dann häufig nackter als ich tatsächlich bin.
    PS: Die verdrängte Erzählung gefällt mir übrigens sehr.

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  2. Ja, das ist sehr gut beschrieben. Venezianische Spiegel. Kein Spiegel reflekiert "Realität", nur die Oberfläche, auf der sich das Licht bricht. Wenn der Strahl kein Auge trifft, gibt es auch das Licht nicht. Eine gewollte (Ver-)Blendung.

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