"Sie wollen ja das Blutbad sehen. Die wollen ja die Dinge sehen, wo das Versprechen drin schlummert: Wenn du das gesehen hast, dann weißt du."
Im Blutrausch der heidnisch-christlichen brasilianische Kulte habe Hubert Fichte, so hörte ich, die blutige eigene Geburt (nach-?)erleben wollen. Thomas Meinecke gefällt das nicht. Das ist mir irgendwie sympathisch. Denn Thomas Meinecke hält nichts von Essentialismus, Ursprungsmythen und so ´nem Zeug. Es gibt keine urtümlichen Geheimnisse aufzudecken, wo die Oberflächenstrukturen immer wieder frisch zu polieren sind. Es verbirgt sich nichts dahinter. Aber alles hat eine Bedeutung – oder kann eine haben. Könnte, wenn der Blick darauf fällt, die Verbindung hergestellt, eine Transformation eingeleitet ist. Anschlussfähigkeit ist alles. Darin scheint diese Pop-Ästhetik Alexander Kluge nahezustehen. Und doch geht es um ganz etwas anderes. Bei Meinecke wird Herkunft austauschbar. In der Pop-Idylle sucht man sich aus, was man mitnimmt. Worin Kluge wühlt, daran kratzt Meinecke nicht einmal: Vorsichtig zärtliche Behandlung schimmernder Vinyl-Platten. Es ist ein aufrichtiges Bemühen um Bestandssicherung, die nicht traditionsbildend wirken will. Keine Kanonisierung, sondern Wurzelgeflechte, Rhizome, asymmetrische Netze. Kluge betastet Schürfwunden. Bei Meinecke aber soll erst gar kein Blut fließen.
Es ist sowieso immer das Blut der Anderen. Als Hubert Fichte aus dem Mutterleib gepresst wurde, blutet nicht er, sondern sie – der Mutter-Körper. Aber den Rausch will er sich geben. Es muss irgendwie, denkt er vielleicht (oder ein anderer durch ihn), auch weh tun, wahrscheinlich. Ein verdammter Schrei. Wie viele Male hat sie geschrien? Différance ist nicht gleich Differenz. Oder doch? Ich kann Lacan nicht leiden. Mit oder ohne Pelz.
Dieses Fragment des Mythos begleitet mich bei meiner Betrachtung und ist zur Stelle, wenn die Versuchung des Neutrums zu groß wird und mich wie ein Sirenengesang anzieht: Der Zugang zum universalen Denken ist möglich, sagt mir der Mythos, unter der Bedingung, dass ich ein neutrales, ungeschlechtliches Wesen werde, dass ich wie ein Echo, die Nymphe, meinen Körper einbüße und meine geschlechtliche Differenz vergesse und vergessen machen kann.
Wieso beharrt die darauf nicht du zu sein? Weil das Blut der Anderen immer über dich gekommen ist, während sie blutete. Oder bluten könnte. Sie blutet jeden Monat einmal. Die verdickte Nässe stinkt aus ihr heraus, wenn sich die ungenutzte Gebärmutterschleimhaut ("Im Durchschnitt werden 65 ml, maximal 200 ml Flüssigkeit ausgeschieden, die nicht nur aus Blut, sondern auch aus Sekreten und Schleimhautresten besteht." Vgl. Wikipedia: Menstruation) löst. (Das will Manni gar nicht so genau wissen. „Und lass bitte niemals eine benutzte Binde sichtbar liegen, nicht mal im Mülleimer. Das ist ja so eklig.“ ) Dennoch vertraue ich blindlings auf die symbolische Fruchtbarkeit der Geschlechterdiffererenz.
Explosion: Dekonstruktion, Fragmentierung, Splitter, Pulverisierung.
Auch hier geht es letztlich um eine Frage der Moral („Nicht schon wieder.“). In der Pop-Idylle sind alle anders und gleichberechtigt. Anything goes mit PC-Faktor. Die Toleranz-Falle. Vor allen Dingen sind prekäre Arbeitsverhältnisse nicht zu thematisieren. Auch Körpergeruch kommt nur am Rande vor, selbstverständlich. Man kann das mal erwähnen, das einer schwitzt. Alle schwitzen. Gelegentlich. Aber es wird nicht geritzt. Ich konnte auch kein Loch in die Puppe schneiden. (Es ist kein Zufall, dass Barbies kein Loch haben.) Wie haftbar willst du dich machen? Klebrige Vinyl-Platten sind unbrauchbar.
„Hystera“ ist das griechische Wort für Gebärmutter. „Hysteria“ heißt soviel wie die Wanderung der Gebärmutter. Über viele Jahrhunderte galt die Wanderung der Gebärmutter als Erklärung für bestimmte Symptombildungen, die einzig bei Frauen auftraten – und für die sich keine organischen Ursachen feststellen ließen. Man betrachtete die Gebärmutter als eine Art von Tier, das im Leib der Frau wohnt und dann, wenn es ´unbefriedigt´ ist, rastlos zu wandern beginnt. Gleichsam ein Ashaver des weiblichen Körpers.
Was bleibt, ist ein guter Sound: Feedback Loop. Die Sehnsucht, dass alle alles werden können: der Versuch den Anderen gerecht zu werden. Jedenfalls nicht ohne Zartheit. Doch das Gerechtigkeitsproblem selbst ist die Versuchung des Neutrums (siehe oben). Darauf will sie sich nicht einlassen. Immerhin imaginiert sich Meinecke nicht eine Idealkonstruktion der Frau zusammen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil. Üblicherweise wird sich unverfroren am Weiblichen in der Empfindlichkeit geschult. (Das ist Absicht: Ich meine nicht die Empfindsamkeit, als die sich das gerne tarnt.) Thomas Meinecke hat seinen aktuellen Status im Literatur- und Literaturwissenschaftsbetrieb mit seiner Frankfurter Poetik-Vorlesung eindrucksvoll dokumentiert. Die Kultivierung des Kultes wurde immer durchbrochen. Schon deshalb spende ich am Ende enthusiastischen Beifall.
Weit über das Maß hinaus, in dem sich auch die männlichen Literaturkoryphäen kultgerecht stilisierten, mussten die Frauen die Zuständigkeiten und Fähigkeiten, die ihre literarische Qualifikation ausmachen, hinter den kulturell präformierten Bildern des Weiblichen (...) verstecken, zugunsten einer Vorstellung von Natürlichkeit, deren Darbietung an Künstlichkeit häufig kaum zu überbieten war.
Auch wir wollen Pastiche und Palimpsest. Den Pluralis Majestatis benutzen wir selten. Denn wir können sprechen und hysterische Ausbrüche simulieren. (In der Tat nehmen wir die Hysterie als Ausdrucksform vollkommen ernst.) Aber wir streben weiter nach einer Chronik unserer Gefühle.
Wir sind nicht in Hamburg aufgewachsen.
Bovenschen, Silvia: Die imaginierte Weiblichkeit. Exemplarische Untersuchungen zu kulturgeschichtlichen und literarischen Präsentationsformen des Weiblichen, Suhrkamp 1979
Von Braun, Christina: NICHTICH. Logik.Lüge.Libido, Verlag Neue Kritik, 1985
Der Mensch ist zwei. Das Denken der Geschlechterdifferenz, Hrsg. von Diotima. Philosophinnengruppe aus Verona., Wiener Frauenverlag 1987
Thomas Meinecke: Lookalikes, Suhrkamp 2011
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