Sonntag, 19. Februar 2012

PLURALIS MAJESTATIS (Autobiographische Fiktionen, rote Äpfel, spitze Zitzen, hysterisches Zucken: JETZT!)

Wir (pluralis majestatis) versuchen uns an einer chronologischen Komposition. Die Jahreszahlen geben nur den Rhythmus vor. Der wird nicht durchzuhalten sein. Basteleien haben wir früher verachtet. Jetzt kommen wir darauf zurück. Nichts wird umsonst gewesen sein. Es ergibt sich daraus das (Auto-)Biographische Material einer nichtdepressiven Hysterikerin. Auch das Krankheitsbild ist hundert Prozent achtziger Jahre retro. Keine Spur von Ironie. Wir sind total ernsthaft bei der Sache und haben sogar schon eine geile kleine Vorrede formuliert:

Kollektive Autorschaft kann unter den Bedingungen virtueller Fertigkeit und Fertilität von jeder Frau fingiert werden. So auch hier. Zweifelsfrei steckt eine ausgeklügelte ästhetische (Blog-)Theorie dahinter (oder sonst was). Eine hat sich ausgeschwiegen während aus der B.R.D. Deutschland wurde. Dabei aber immer viel rumgeschrien, selbstverständlich. Sie kennen doch auch so eine: mittelalt, mittelschlau, mittelreich. Dann schreibt die sich eine fiktiv-giftige Autobiographie gegen die Verdauungsbeschwerden. Was selbstverständlich misslingt. Alles gelogen. Ihre Erbärmlichkeit tarnt sie durch Wortspielereien und politische Radikalismen. Wie Frauen eben so sind. Weisen Sie ihr die Widersprüche nach. Das dürfte Ihnen nicht schwer fallen.
Geboren: 1965
Irgendwo in der ländlichen Provinz im Westen Deutschlands
Liiert, studiert, verheiratet, Mutter zweier Knaben
Besessen von Sex und Gewalt, träumt von blutigen Exzessen und lesbischen Spielen (soviel fürs Marketing!)
Trotz allen Hohns: eine tragische Existenz (ohne Fallhöhe allerdings)
Sie werden von Trauer lesen, von Körpern und Schmerzen, Selbsttötung und Gebären, Wut und Hoffnung, Aufbrüchen und Abstürzen, Versprechen für die Ewigkeit. Drunter tut sie´s nicht. Trotz allem."

„Von Anfang an war Sex ein Thema.“ (Monaden, 1982)
„Sie essen unseren Herrn Jesus.“ (Der Feind ist in der Burg, 1970)
„Was ist ein Torso?“ (Astrid – Lesen lernen 1982)
„Sie liest ´Anna Karenina´. Er liest Luhmanns ´Liebe als Passion´“ (Trabis getankt – Wir kommen, 1989)
„Das war super. Das war elegant.“ (Fußball-Fieber 2010)
„Ich zieh mir den Gedankenschutzhelm auf.“ (Unversöhnlich, 1987)
„Hab ihr gesagt: Will Fliesenleger sein.“ (Blut auf den Fliesen, 2003)
„You´re making it up.“ (Der dänische Steinmetz, 1984)
„Ich glaube meistens, dass ich ein glückliches Kind war.“ (1975)
„Ich weiß nicht, wie die Oma heißt.“ (Namenlos, 1987)
„Ich schwebte mit der Maria in der Herrgottskirche.“ (Auf dem Holzweg, 1984)
„Die Blutschmiere auf dem Laken ist hauchzart.“ (Das erste Mal, 1983)
„Es tut mir so leid.“ (Das zornige Mädchen, 1969)

Was (noch) fehlt:
Im Stübchen, 1977  („Der Baron presste sie gewaltsam an sich.“)
Haus der Geschichte, 2001 („Meine Rose, mein Leben“)
Rettung,  1965 („Seine Lust war mörderisch.“)
Faschingsball, 1973 („Er knallte wild mit Platzpatronen um sich.“)
u.v.m. (???) Vor der Glotze, 2011 („Fucking the fuck“)

Zwischenspiel:

ZUGVERKEHR (Cloud*)
Unter den Gleisen (1970-1977) („Es war wie ein erster Orgasmus.“)
Die Bahn (1984 -1989) („Das war Liebe auf das erste Wort.“)
Dammbruch (1994)  („Am Ende hilft keine Infusion mehr: Das ist die Geburt.“)
Abstellgleis (1994/95) („Nur Blut und Tränen und Schleim und das Gefühl.“)
Tunneldurchbruch (1995) („Keine Tränen. Fress-Sucht.“)
„Meine schönen Söhne. Und deine.“

Als Rhythmus-Combo (just in case), auch um die politische Dimension des Projekts sichtbar zu machen:

LULA SANG (Greatest hits: Als wir Pop-Poetinnen waren 1984-1989; recycelt ab 2010)
„Deutlich genug stammt dieses Material aus Deutschland, dem Staat gewordenen Alptraum.“ (Vorwort Lula Henne, 1988)
„Bier zahlt die Freundin“ („Nostalgia is shit“)
„Er glaubte, die Sonne kreise um den Penis.“ („Gegen den Sonnenkönig hilft nur die Revolution im Schlaf“)
„Selbst in der Stille der Nacht herrscht noch dieser Gefühlskomplex“ ("Adorno Dog")
„Wie eine zungenfertige Frau“ („Bitte leise blasen“)
„Die Mumie sitzt in ihrem Sarg geschwängert“ („Fredenhagens Zimmer“)
„Mondhellen Wolken entgegen, treiben die zierlichen Nixen“ („Macht alles madig“)
„Ach geh, die Russen husten bloß.“ („Erhitzte Meteoriten“)
„Den String habe ich fertig.“ ("Hetero-Haarmann")
„Nackt lag sie über dem Stier, erinnert euch ihrer!“ („Die wöchentliche Ästhetik“)
„Wenn Leichenteile vorbeitreiben, genießen Sie den süßen Schrecken.“ ("Okkulte Phänomene")

Vor allem aber darf man niemals vergessen, dass es den geilen Onkel gab. Obwohl er , keine kann das leugnen, total übles 80er Jahre Pop-Retro ist. (Wie vieles hier; siehe oben.)

Außerdem geht es nicht ohne die

Pernis und Armur („Tiefer!“)
Adler und Maus („Ich bin nicht die Maus.“)
Der Schrei des Drachenweibs („Erbeute mich.“)
Schamlos. Das Auge uriniert mit („Dort erwartete mich keine männliche Hure.“)
Birnen oder Äpfel. Erotikromanze („Seit Tagen ringt sie um ein ästhetisches Bild ihrer entblößten Brüste.“)
Die keyrenische Hindin („Doch ich kann dir jetzt keinen einzigen Tropfen Flüssigkeit entringen.“)
Salzwasser ist Poesie („Warum verlangte ihn so sehr nach ihrem Blut?")
Übertragungshäute. Verlorene Fiktionen („Verzeihen Sie, dass ich sie niemals belästigte.“)

Alles hängt auch an der Hörigkeit. Noch weiß ich allerdings nicht, wie. Eine Komposition aus Fabeltieren, Wildgänsen, Obst und Fleisch, unkontrolliertem Lachen und Tränenschlieren. Unsaubere Nähte. Ein Projekt gegen das modisch-ironische Lamento geschmacksicherer Weltuntergangsapplaudeure und ausgebrannter Weltreisender auf der Suche nach verlorenen Paradiesen. Gegen dräuende dunkle Himmel, sinkende Gäule und elektrische Blitze reiben wir Äpfel rot, spitzen die  Zitzen und zucken selber hysterisch.


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* Die Text-Sammlungen "Auto.Logik.Lüge.Libido", "Zugverkehr", "Fabelwesen" sind - um der besseren Lesbarkeit willen, allerdings noch nicht redigiert - in die Google-Cloud eingestellt:


AUTO.LOGIK.LÜGE.LIBIDO (43 Seiten)
ZUGVERKEHR (6 Seiten)
FABELWESEN (12 Seiten)

6 Kommentare:

  1. Danke. Obwohl Du Dich ja so langsam an Alternativen zum gedruckten Buich gewöhnst (das wird ja auch kommen, demnächst); ich bin so spießig, konservativ sowieso, ich hätts gerne gedruckt.

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  2. Es ist ein Experiment, diese Texte - zunächst, in einer noch ganz unredigierten, auch fragwürdigen Fassung - in eine solche "druckbare" Form hintereinander einzustellen. So werden sie nicht angeordnet bleiben, so werden sie einzelnen als Text nicht bleiben. Sondern? Daran muss ich arbeiten, wenn ich will.
    Denn ich behaupte ganz dreist: Was ich schreibe, wie ich schreibe, bei aller Ungenauigkeit, allem Unfertigen hat mit dem Medium zu tun, dem Blog und ist auf dieses, auf diesen Rahmen gestimmt. Darin ist, was ich mache, tatsächlich innovativ. Fehlt es, das Blog, fehlt den Texten etwas, was noch zu stiften ist, wenn sie als "traditionelles Buch" oder auch als ebook, also als Sammlung hintereinander erscheinen sollen: eine Fassung, die hier die Vernetzung des Blogs liefert, die Einbindung in den täglich Rhythmus, die Veränderlichkeit, die dann wegfällt. Sie brauchen etwas wie eine "Rahmenhandlung" und eine Taktung. Bastelei.
    Für das Projekt "Punk Pygmalion" glaube ich dafür eine Lösung zu haben, einen Rahmen vorzubereiten, der die Blog-Post-Form einholt und in die Briefroman-Form zurückholt. Dort aber gibt es eine Tradition, an der ich mich orientieren kann, nämlich den Briefroman des 18. Jahrhunderts und sein Spiel mit Authentizität, Herausgeberschaft und klärender Wiederholung des Handlungsgeschehens durch eine andere Stimme/ein Gespräch am Ende.
    Bei dem Projekt "Auto/Verkehrskontrolle", um das es hier geht, wäre die traditionelle Form die Autobiographie, die allerdings in der Regel ohne Herausgeberschaft auskommt. Hier braucht es die aber, da es um eine "fiktive" Autobiographie in Bruchstücken geht. "Alice B. Toklas" by Gertrude Stein. Der Vergleich ist zu vermessen.
    Ich will das trotzdem weitermachen. Daran arbeiten. Wann, wenn nicht jetzt? Ich bin 46 Jahre alt. Und obwohl ich nicht an den gleichmäßigen, chronologischen Fortgang der Zeit g l a u b e, fühle ich, wie meine weniger wird, sich dagegen die Geschichten meiner Phantasie wie Karnickel vermehren.
    Hmmm.

    ---Was ich noch sagen wollte, länger schon. Ich verstehe die Reaktion einiger Leser:innen auf deine Roman-Figuren kein bisschen, wie du sie in einem der Posts beschreibst. Ich mag den "Dorf-Sheriff". Merrit mag ich auch. Und ich verstehe sogar oder bilde es mir ein, wie so eine Ehe "funktioniert". Alle auf Dauer gestellten Beziehungen (Familien) haben neben der Liebe auch das Element der Funktionsfähigkeit, die Entwicklung eines gemeinsamen "Apparats" der Gefühle, Ansichten und Handlungen, der etwas anderes ist als die Summe der je individuellen, ein wirklich neues "Gerät" der Alltagsbewältigung. So verstehe ich das. Wo ein jedes für sich ist, wieder einzeln, zerfällt der, kann zerfallen, wird sein Wegfallen und das Wiedererleben des als eigenes Empfundenen, auch lustvoll erlebt - und schmerzlich, weil die Lebensbalance gefährdend. Mir gefällt es, wie du diese Empfindungen ganz schlicht, ganz ohne Entscheidungsdruck aufzubauen, darstellst. Keine/r ist immer ganz bei sich. Es stört die Leute vielleicht, dass du ihnen keine pseudo-romantische schlichte Identifikationsfigur bietest, die die herkömmlichen (Soap-)Konfliktsituationen annimmt (z.B. Eifersucht, Geltungsdrang, Besitzstreben), sondern Figuren schaffst, die - ohne diese "gewöhnlichen" Begehren zu leugnen - einfach mit ihnen (weiter-)leben.
    Der "bürgerliche" Kriminal-Roman. Ja, das mag viele stören.
    Ich schriebe ja drüber hier in meinem Blog, wenn ich mir nicht vorgenommen hätte, erst einmal das Geschlechtergleichgewicht bei den besprochenen Büchern herzustellen. (Das erscheint vielen sicher auch als ein albernes Anliegen.)

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  3. Sie haben Post. Schauen Sie unbedingt auch in Ihren Schpämm-Filter. Ein jegliches an seinem Platze!

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