Fortsetzung der Reihe: 31 Fragen an
Bücherleser:innen, die jeweils Morel, BenHurRum und ich beantworten.
In dieser Folge geht es um
Erinnerungen an die Schullektüre. Das löste längere Gespräche aus. Morel und
BenHuRum haben negative Schulerfahrungen verdrängt. „Da war was, was mich
nervte, aber ich weiß nicht mehr was.“ „Eigentlich fand ich fast alles ganz
gut, was wir gelesen haben. Ich war da nicht so wählerisch.“ „Und wenn, dann
lag es nicht an dem Buch, sondern an der Lehrerin.“ „Oder dem Lehrer.“ „Der....der
Dingens...der konnte enorm öden mit den Satz-für-Satz-Interpretationen.“ Ich
habe meinen Deutsch-Unterricht dagegen – mit einer einzigen Ausnahme (s.u.) -
als ziemlich langweilig in Erinnerung. So gut wie nichts, was wir dort
gelesen haben, hat mich berührt, kaum etwas (außer „Faust“) habe ich später
jemals wieder gelesen. Ich wollte Chemie studieren. Das „Gelaber“ im Deutsch-Grundkurs
fand ich nervig, aber es war leicht, Punkte ohne Aufwand abzustauben: Halt ein
bisschen mitlabern. Dass sich meine Pläne so sehr änderten im letzten Schuljahr
hatte verschiedene Gründe, manche hatten mit der Clique zu tun, der auch
BenHuRUm angehörte, in der viel über Kunst, Literatur, Filme, Musik geredet
wurde, ausschlaggebend waren aber ein Unfall während meiner praktischen
Chemie-Prüfung und vor allem:
20. Das beste Buch,
das du während der Schulzeit als Lektüre gelesen hast
Das war: Peter Weiss "Abschied von den Eltern". Dabei fand ich dieses Buch zu Anfang furchtbar, schlimmer noch als die „schüler-
und problemorientierten“ Jugendbücher, die wir in der Mittelstufe zur Gefahrenabwehr (Drogen, Kaufhausklau usw.) gelesen
hatten. Doch gerade mein Widerstand löste etwas aus. Dabei hatte ich
unwahrscheinliches Glück. Denn ich traf auf eine Lehrerin, die diese Abwehr
nicht abwehrte, sondern aufgriff und fruchtbar machte. Mit ihr las ich in den
folgenden Monaten – privat - "Die Ästhetik des Widerstands". So fing es an. Von da her, von diesen Gesprächen mit
ihr her und dem Nach-Denken über dieses Buch, seine Schreibweise und die
Gedanken über Kunst und Klasse, Untergang und Auferstehung, Autorschaft und
Widerstand, die es auslöste, nahm mein Interesse für Literatur und Kunst eine
Wende. Vorher war ich eine lesesüchtige Autodidaktin gewesen, die sich von A-Z
durch die evangelische Gemeindebücherei gefressen hatte. Jetzt wollte ich etwas
verstehen. Das verdanke ich ASTRID (die in Wirklichkeit anders heißt), der ich
noch viel mehr schulde und die ich nie wiedergesehen habe, nachdem sie unsere
Schule verließ, die ich noch zwei weitere Jahre besuchte und in der ich den
Deutschunterricht danach wiederum nur als überflüssiges Geschwätz erlebte. (Über ASTRID und dieses Lesen mit ihr habe ich einen der ersten Texte zu der Serie "Auto.Logik.Lüge. Libido" geschrieben: hier.)
Der BenHuRum nennt nach längerem Nachdenken
einen Klassiker der Schullektüre: Franz Kafkas "Der Prozess". Kafka steht immer
noch auf dem Lehrplan, mal „Der Prozess“, mal „Das Urteil“ oder eine Auswahl
von kurzen Geschichten. Der Amazing musste „Das Urteil“ lesen und fand es
nicht „so schlimm, wie die meisten anderen Sachen“. Für seine Interpretation des Werkes hat er die beste
Deutsch-Note seiner (inzwischen abgeschlossenen) Schullaufbahn bekommen.
BenHuRum nennt noch ein weiteres Werk: Siegfried Lenz: Der Mann im Strom. Das
hatte ich ganz vergessen. Das haben wir auch gelesen – und tatsächlich: Den
„Sound“ von Siegfried Lenz habe ich noch im Ohr. Das war eines der wenigen
interessanten Bücher, die wir in der Mittelstufe lasen (Offenbar verdränge ich auch die positiven Erfahrungen.). Ich erinnere mich jetzt daran, dass eine
Lehrerin in der Eingangsstufe der Gesamtschule (5. und 6. Klasse) uns vor den
Ferien immer eine Erzählung aus: „So zärtlich war Suleyken“ vorlas. Darauf freuten
wir uns wirklich. DAS könnte ich doch einmal wiederlesen!
Der Morel erinnert sich an Kleists: Michael Kohlhaas. Überhaupt sei sein Deutschunterricht vor allem in der Oberstufe meist
sehr interessant gewesen. „Die Lehrerin war wirklich verrückt.“ Das scheint
immer ein pädagogisch wertvoller Ausgangspunkt zu sein. Außerdem ist dem Morel
Salingers: Catcher in the Rye nachhaltig in Erinnerung geblieben, das er auch
unseren beiden Söhnen mehrfach ans Herz gelegt hat. Die sind dagegen bisher von
dem Werk nur mäßig begeistert. Ich muss gestehen, dass ich es wohl gelesen
habe, mich aber kaum noch daran erinnern kann.
Die Gegen-Frage gehört natürlich auch dazu:
21. Das blödeste
Buch, das du während der Schulzeit als Lektüre gelesen hast
Da fiel dem BenHuRum und dem Morel zunächst
mal – wie oben schon erwähnt - gar nichts ein. Ich wusste es gleich: Dürrenmatt: Die Physiker. An meiner Abneigung gegen Literatur, die politische oder philosophische
Positionen verhandelt, hat sich seither nichts geändert. Mich ödet das immer
noch, wenn die Figuren bloße Funktionsträger von Ideen sind. In den frühen 80er
Jahren war es natürlich kein
Problem zu wissen, was der
politisch links orientierte und friedensbewegte Lehrer so hören wollte, wenn
„Die Physiker“ diskutiert wurden. Auch das reizte meinen Widerspruchsgeist,
jedoch nicht in produktiver Weise, wie es bei „Abschied von den Eltern“ der
Fall gewesen war, sondern rein destruktiv: Mal schnell gedanklich und zum
Schrecken des Lehrers die Weltvernichtungsmaschine anwerfen. Das war zynisch
und pubertär. Heute schäme ich mich dafür. Aber „Die Physiker“ finde ich immer
noch langweilig.
Als Kontrastprogramm zu Morels positiver
Erinnerung an „Michael Kohlhaas“, hält BenHuRum fest: „Kleists Sprache hat mich
genervt.“ Schickt aber gleich hinterher: „Seh ich natürlich heute ganz anders.“ Außerdem habe es da so eine Geschichte gegeben von einer elektrischen Nachtigall und dem chinesischen Kaiser oder so, jedenfalls, die sei auch ganz doof gewesen oder ihm damals so erschienen. Das muss Hans-Christian Andersens "Des Kaisers Nachtigall" gewesen sein. Aber der BenHuRum weiß nicht mehr so genau, was ihn so sehr daran geärgert hat. Dem Morel will einfach nichts aus dem Deutsch-Unterricht einfallen, was „blöd“
gewesen ist. Als „schlimm“ hat er aber die Zeile-für-Zeile-Übersetzung von
Dickens „Great Expectations“ im
Englisch-Unterricht in Erinnerung, bei der für zweieinhalb Seiten ein
Schulhalbjahr draufgegangen sei. „Das lag aber nicht an dem Buch, sondern am
Lehrer.“ Wie es eben meistens ist.
***
Was diese Aufzählung auch zeigt: In der Schule,
daran hat sich bis heute wenig geändert, wenn man die Listen anschaut, die für
die zentralen Abiturprüfungen als Pflichtlektüre herausgegeben werden, werden
fast ausschließlich männliche Autoren gelesen. Auch das nervt! Gewaltig!
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