Ein Beitrag von Morel
I'm closer to the Golden Dawn
Immersed in Crowley's Uniform
David
Bowie, Quicksand
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Die Dämmerung
ist allein schon deshalb zwielichtig, weil nie ganz klar ist, ob sie Anfang
oder Ende ist. Der von den Rolling Stones und David Bowie besungene Aleister
Crowley bereitete eine neue Ära vor - ohne organisierte Religion, aber mit
Magie, Drogen und Sex zur Weiterentwicklung des Selbst. In Anthony Powells sechstem Teil seines Romanzyklus A Dance
to the Music of Times ist Crowley, den Boulevardpresse und
Sektenbeauftragte schon zu Lebzeiten erfolgreich dämonisieren konnten, nur eine
komische Nebenfigur (er heißt Dr. Trelawney und wandert mit diesem Namen in
harmloserer und weiblicher Form in die Harry-Potter-Romane aus). Er verweist
aber allegorisch auf den Untergang einer Zeit -der Umschlag von der
Reformierung des Lebens in seine Deformierung. Dass Powells Roman den gleichen
Titel trägt wie Jonathan Littells Nazi-Sex-Schocker The Kindly Ones (Die Wohlgesinnten) und auch auf die Eumeniden
anspielt (ein anderer Name für die rächenden Furien), ist vielleicht mehr als
Zufall. Denn der in England viel
gelesene Romancier handelt in seinem letzten Sommer-Band gleich doppelt
von den letzten Tagen vor dem Krieg, einmal im Jahr 1914 und dann von 1938/39.
Die bevorstehenden Grauen werden aber beide Male nicht direkt wiedergegeben -
nur ihre ersten Anzeichen zeichnet der Romancier in den hypochondrischen und überempfindlichen
Bewusstseinszuständen seiner Protagonisten nach.
Wie
immer lässt sich die Handlung schnell zusammenfassen, weil es weniger
Ereignisse sind, die dieses Romanwerk prägen, als Bilder und Korrespondenzen.
Zu Beginn erinnert sich der Erzähler Nick Jenkins an den Juni 1914, die Tage
rund um das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand, das den Ersten Weltkrieg
auslösen sollte. Der uns schon bekannte General Conyers kommt zu Besuch bei der
Familie, ebenso wie der sich chronisch verspekulierende Onkel Giles. Themen
sind Geister und Suffragetten und beinahe am Rande der Aufmerksamkeit das
Attentat auf dem Balkan. Liebesverwicklungen unter den Dienstboten eskalieren
so, dass ein Dienstmädchen nach einem Nervenzusammenbruch nackt die Gäste im
Esszimmer schockiert (bis auf den General, der sich als Mann der Tat erweist
und sie in ihr Zimmer führt). Ein Zeitsprung in das Jahr 1938. Kaum jemand
glaubt, das Münchener Abkommen könne den nächsten Krieg aufhalten - immerhin
schenkt es ein wenig Zeit zur Vorbereitung. Zusammen mit dem Komponisten
Moreland und seiner Frau besuchen die Jenkins den Finanzmagnaten Sir Magnus
Donners auf seinem Landsitz. Peter Templer, der alte Schulfreund von Nick, holt
beide Paare in seinem Auto ab. In Donners Domizil warten Templers neue Frau
Betty und Anne Umfraville, die neue Geliebte von Sir Magnus. Nach dem
Abendessen kommt die Idee auf, Fotografien zu machen. Als lebende Bilder werden
die sieben Todsünden dargestellt - während alle die von Donners verteilten
Rollen mit gutem Humor vor der Kamera des Machtmenschen aufführen, erleidet
Betty nach Peters erfahrungsgesättigter Darstellung der Lüsternheit einen
Nervenzusammenbruch. Der Abend endet mit dem Auftritt des ewigen Karrieristen
Widmerpool in Uniform - hier rüstet sich schon jemand für neue Aufgaben. Das nächste
Kapitel führt uns in den Sommer 1939. Nick muss in einem Hotel an der Küste den
Nachlass seines dort verstorbenen Onkels regeln. Dort trifft er den Mann von
Anne, den unsympathischen Geldjongleur Dick, der ihn auch noch mit Enthüllungen
über seine alte Liebe Jean Templer irritiert. Im Hotel hat sich der inzwischen
als Magier und Sektenführer zu zweifelhafter Berühmtheit gelangte Dr. Trelawney
im Badezimmer eingeschlossen (aus dem er sich anders als aus seinem irdischen Körper
nicht befreien kann). Mit Hilfe des Mottos der okkulten Bewegung - "The Vision
of Visions heals the Blindness of Sight" -, an das sich Nick aus der
Kindheit erinnert, gelingt es den verwirrten Sektenführer zu beruhigen, so dass
er die Tür wieder öffnen kann. Den Rest dieser Romanfolge verbringt Nick mit
dem Versuch, in die Armee aufgenommen zu werden, da er angesichts des drohenden
Krieges keine Zukunft im Schreiben von Romanen und Literaturkritiken sieht.
Widmerpool ist hier, wie erwartet, keine Hilfe. Die einzige Gefühlsregung zeigt
er, als sie Gypsy Jones gegen den Krieg agitierend auf der Straße begegnen. Die
Panik, die ihn bei ihrem Anblick befällt (nach einer Affäre hat er ihr vor
einigen Jahren die Abtreibung bezahlt), erklärt er mit der Angst, dass
Geheimagenten beobachten könnten, wie sie ihn wieder erkennt. Den Weg zum Militär
(das den dritten Teil des Zyklus prägen wird) öffnet Nick dann eine
Zufallsbegegnung im Hause von Tante Molly.
Die
Furien die in The Kindly Ones das Romanpersonal plagen meinen es in der Regel
tatsächlich nur gut. Es sind militante Reformbewegungen wie die Suffragetten,
vor denen sich der Koch Albert zu Beginn des Romans fürchtet. Die das Dienstmädchen
Billson heimsuchenden Geister sind eher harmloser Natur und werden allgemein
als traditioneller Bestandteil des englischen Landlebens akzeptiert. Während
etwas Neues sich bemerkbar macht, spukt das Alte eben noch immer auf dem
Dachboden. Aber oberflächlich bleibt alles ruhig. Zweimal öffnet sich der Boden
unter dem Beziehungsnetz, das die Romanfiguren verbindet, absichert und auch
einschränkt. Als Billson die Liebe auf den Koch aufgeben muss, kommt es zu
ihrem skandalösen Nacktauftritt im Esszimmer, bei dem sie die Stellung kündigt:
sie hat mit ihrer Uniform auch ihre Rolle verloren. Eine andere ist nicht in
Sicht. Auch Bettys Zusammenbruch ist ein Fallen aus der Rolle. Dem Machtspiel
Donners, das jede Überschreitung erlaubt, solange die Form gewahrt bleibt,
verweigert sie sich ebenso wie der Komponist Moreland, der an diesem Abend
seine Frau an den Unternehmer verliert. Die Verweigerung ist aber noch kein
Neuanfang, sondern ein angstbesetzter Schritt in ein Nichts. Und natürlich gibt
es zwei Kriege, die diese Zeit zu einer Zwischenkriegszeit machen und die
verweigerte Veränderung erzwingen. Denn bis auf die exzentrischen Abenteurer
wie dem Maler Deacons oder Onkel Giles fürchten sich beinahe alle Figuren
Powells vor der Aufgabe ihrer Rollen - Nick sucht, nach dem die Kunst ihren
Sinn verloren hat, den Zugang zum Militär; Dr. Trelawney verspricht
Erkenntnisse über das eigene wahre Selbst, die allerletzte Rolle am Ende aller
Zeiten (wenn man bereit ist sich seinem Willen zu unterwerfen); der Komponist
Moreland ist am Ende des Romans vorübergehend sogar obdachlos. Die in dem
absurden Motto Trelawneys versprochene Heilung bleibt aus - die Figuren sind
trotz aller Vorahnungen für ihr Schicksal blind. Erst mit dem Tod, kommt es zu
einer Art von Abschluss. "Knowledge comes with deaths release", sang
David Bowie in seinem Aleister Crowley-Song Quicksand. In den nächsten Folgen
werden andere Uniformen getragen als die von Dr. Trelawney propagierten.
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