Freitag, 27. Januar 2012

GEHORSAM UND LIEBE ("Brief an Diotima")


Letizia Comba: Der Gehorsam (Brief an Diotima)

„Ich möchte Dir gerne sagen, dass es zugleich schwierig und ein Privileg ist, über Gehorsam zu schreiben. Es ist ein Thema, das die Grundlagen der menschlichen Beziehungen berührt. Ich bin auf der Suche nach der Bedeutung. Ich darf mich also nicht wundern, dass manchmal in meinem Kopf ein konfuses Durcheinander herrscht, und dass ich mich ein andermal, jenseits von aller Unsicherheit und ohne jeden Zweifel, einen geraden Weg vor mir liegen sehen, von dem ich nicht abweichen kann.

(...)
Es ist jemand notwendig, der nicht mehr glaubt, das Zentrum der Welt zu sein. Jemand, der mit dem Kopf und dem Herzen weiß, dass an die Stelle der eigenen Projektionen das eigene Bedürfnis gesetzt werden muss, und dass es schwieriger zu sein scheint, sich selbst zu ändern als die Welt – dass aber letzten Endes sich selbst zu ändern das Einzige ist, was man überhaupt tun kann. Daraus entsteht ein Interesse für den anderen und die Möglichkeit zuzuhören, sozusagen ein ´interesseloses´ Interesse, das uns dazu bringt, gehorchen zu können – uns selbst, dem anderen, dem Leben (gehorchen – eine Kombination aus ´ge´, gegenüber, und ´horchen´, zuhören). Die Tatsache, dieselbe Erfahrung auch schon gemacht zu haben, wird so zur Quelle eines gegenseitigen Vertrauens und erlaubt Gemeinsamkeit und wechselseitigen Austausch. Das ist Autorität im Sinne von maßgeblich sein; es ist nicht institutionelle Macht.

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Ich schreibe Dir, Diotima, weil Du die Lehrerin des Sokrates in der Kunst bist, die Liebe zu verstehen. Ich schreibe, während ich mich (und Dich) frage, wie Gehorsam mit Liebe zusammenhängt, und mit welcher Liebe; in welchem Punkt Du der Liebe zum Erwachsenwerden verhelfen willst und ihr Stärke und Dauerhaftigkeit  verleihen willst und in welchem Punkt sie sich in Verlassenheit und Abhängigkeit verwandelt.

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Manche möchten die Dinge verbessern, diese Kultur verändern, indem sie ihr ein neues Verlangen entgegenbringen, das vielleicht aus dem tiefen Bedürfnis erwächst, sich einzubringen. Deshalb, so glaube ich, sind sie bereit, auf ihrem politischen Weg, der für sie ein Ort für Forderungen, Beziehungen, Erneuerungen wird, verschiedene Allianzen zu akzeptieren.

(...)
Für andere ist dies nicht das wichtigste Anliegen. So ist es für mich wichtiger, mein inneres Gefängnis zu entdecken und aufzudecken, jemanden zu finden, der den Weg kennt, weil er ihn schon durchlaufen hat, und bereit ist, mir auf meinem Weg zu helfen. Unterwegs werde ich vor allem meine Blockaden entdecken, die mich behindern, die mich blind für mich selbst machen und abhängig und anmaßend, und die Neid, Ärger und Eifersucht hervorbringen, ich werde sehen, wo die Meinungsverschiedenheiten entstehen. Ich werde eine Lehrzeit durchlaufen. Vielleicht werde ich danach weniger den Werten meiner Kultur verbunden sein und mich and die Gesetze der Seele annähern, um sie nach und nach auch mit dem Körper und dem Herzen zu verstehen. Vielleicht wächst in mir eine innere Stille, ein Zuhören, und die Freiheit wird nicht mehr nur ein Wort sein. Wie wird sich meine Suche in der Zwischenzeit äußern, inkarnieren?

Denn um eine Inkarnation handelt es sich. Und sie ist ein Geheimnis, dem man keine Falle stellen kann. Das Geheimnis, wie man die Schwelle überschreitet. Die Reise, die nur verstehbar ist, nachdem sie gemacht wurde. (....)Das Ziel, das uns bewegt und das sich uns aussucht, mehr als dass es von uns ausgesucht wird. Aber vielleicht ist all dies, um es noch einmal zu sagen, beeinträchtigt von der Illusion, lieben zu können, während wir doch nur des Verlangens fähig sind, geliebt zu werden. Vielleicht ist die Schwelle vor allem das Bewusstsein dieses Umstands, die langsame und allmähliche Reinigung von der Illusion – jener Reinigung, mit der Du begonnen hattest, Diotima, wenn ich mich recht erinnere, als Du Sokrates dazu brachtest, sich darüber klarzuwerden, dass die Liebe ein Kind von Notbehelf ´ und ´Armut´ ist.“


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Es gibt zwischen der Re-Lektüre dieses Briefes der italienischen Philosophin an Sokrates´ Lehrerin Diotima, der Serie „Wir“, die ein von weiblichen Händen geschaffenes Bild mit dem ungebildeten Aufstand wider den HERRN verknüpft, „Orlandos“ Entscheidung für die Weiblichkeit, den Gender-Identitäten und meiner Kritik am Maskentragen, zu Zugverkehr und vor allem zu dem Blut, das Ich (die Autorin) Heilmann (die Autorität über die Martenehen) nicht vergießen lassen kann, eine tiefe und tragische Verbindung. Dass ich eine Frau bin und die Autorität der Mutter suche, während ich Männer begehre, liegt auf dem Grund meines Schreibens, Denkens, Hoffens und Lebens. Doch es ist überaus düster dort unten, schlammig, trüb, schmutzig. Dass ich in einer eleganten Bewegung wie Esther Williams im glänzenden Badeanzug an die Oberfläche gleiten will, gehört zu den Illusionen, die man sich auch und gerade unter Wasser machen kann.

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