Donnerstag, 17. Oktober 2013

Mein Körper. Dein Körper. Ein Körper. FRAUEN. KÖRPER


Das erste Mal bei der Frauenärztin
Du trittst hinter dem Paravent hervor, den Kopf ein wenig gesenkt, in einer Mischung aus Erwartung und Scham. Du kannst diesen Körper nicht einschätzen, deinen, weißt nicht, ob er schon fraulich genug ist und fragst dich selbst verärgert, was du damit meinst: Genug? Sie schaut dich an. So bist du noch nicht angeschaut worden. So professionell. Nicht gleichgültig. Aufmerksam. Wohlwollend. Gründlich. Sie sagt: „Nervös?“ Und du nickst, obwohl du die Arme absichtlich nicht vor der Brust verschränkt hast. Der Frauenarzt deiner besten Freundin hat beim ersten Mal Sachen zu ihr gesagt wie: "Sie haben ein gebärfreudiges Becken." Als du das gehört hast, wurde dir ganz schlecht. Du hast dich nicht anschauen lassen wollen von so einem und befingern und untersuchen, der dich bewertet wie eine Zuchtkuh. Deshalb bist du hier. In den „Gelben Seiten“ hast du nach einer Frauenärztin gesucht. Nur einer Frau willst du dich als Frau vorstellen und öffnen. Sie erklärt dir alles genau. Sie fragt dich, ob du weißt, wie du da unten aussiehst. Bevor sie das Spekulum in dich einführt, warnt sie: „Das fühlt sich im ersten Moment kalt an. Nicht erschrecken.“ Du entspannst dich. Sie lobt dich dafür. Es ist alles in Ordnung. Es sieht auch innen alles so aus, wie es soll. Dann fragt sie noch, ob du die Pille brauchst. Du schüttelst den Kopf. „Sie haben noch viel Zeit.“, sagt sie. „Aber es schadet nichts, vorbereitet zu sein.“ Du nickst. Sie stellt dir ein Rezept aus.

Kein Penisneid
Als ich ein Kind war, war mein Körper schmal und drahtig. Ich konnte gut zwischen den Gitterstäben der Kellerfenster hindurch klettern. Das war wichtig, wenn niemand daheim war und ich dringend aufs Klo musste. Ich war mutig: Übers Wehr steigen, vom Garagendach springen, auf jeden Hochsitz hinauf. Meinem Körper traute ich viel zu und ich vertraute ihm, blindlings, wie man so sagt. Dass es ein weiblicher Körper war, erschien mir selbstverständlich und schön. Ich hatte Vergleichsmöglichkeiten und fand es angenehm, keinen Penis zu haben, stattdessen vollkommener zu sein, wie mir schien, ohne was Ab- oder Rausstehendes. 

Frau werden
Als der Körper runder wurde, die Hüften breiter und die Brüste größer, genoss sie das. Eine Frau werden – das war natürlich und gut. Ihre Mutter war dabei durchaus ein Vorbild. Die Eltern klärten über Sex auf und gaben zu verstehen, das sei schön; allerdings nur, wenn sich zwei liebten. Ihre Körper versteckten sie nicht vor den Kindern. In der Familie war Nacktheit weder peinlich und noch sexualisiert. Man konnte einen weiblichen Körper haben oder einen männlichen; die konnten so und so aussehen, mit ein bisschen mehr Fett oder weniger auf den Rippen, Haaren an verschiedenen Stellen, oben und unten, das war halt so. Gut. Und schön. So lange niemand seinen Körper als Pfand, als Ware, als Tauschmittel einsetzte. Solange.

Enteignung
Die Pubertät kam und mit ihr die Zweifel und die Angst. Ihr Körper, der so sehr ihrer gewesen war, so unhinterfragbar, wurde zum Objekt. Das war nicht zu übersehen, oft auch nicht zu überhören. Jede junge Frau ist dem ausgeliefert: So angeschaut zu werden, taxiert auf ihre Tauglichkeit als Wichsvorlage, auf ihre Verfügbarkeit zur Befriedigung männlicher Lust. Und wo ist das Problem? "Fühl dich geschmeichelt." Das Problem ist, dass es einigen, vielleicht den meisten, unangenehm ist, diesen Blicken ausgesetzt zu sein, diesen Sprüchen, weil sie sie treffen, ohne dass sie gemeint sind. Weil sie den Körper von ihrer Trägerin lösen und in ein Zeichen verwandeln, als etwas ansehen, dass nicht für sich da ist, sondern für Männer, die in der bloßen Existenz weiblicher Körper, weiblicher Knie, weiblicher Beine, weiblicher Hintern, weiblicher Brüste eine Botschaft zu erkennen glauben, die sich an sie richtet. Dem entgeht keine in dieser Kultur, dem Auseinanderfallen des eigenen Einverständnisses mit dem Körper, der man ist, und dessen Wahrnehmung und Zurichtung als Sexualobjekt in der Öffentlichkeit: in Bussen, Bahnen, auf Straßen und Plätzen, in Kneipen und Biergärten, in der Literatur und im Kino.

Reaktionen I
Einige lernen, die Botschaft, die sie sein sollen, selbst zu formulieren. Das kann ein Akt der Befreiung sein, aber die Grenzen des Codes sind eng. Sie stellen fest, dass die Darstellung des eigenen Körpers als Aufforderung ans männliche Begehren ihnen Macht verleiht. Sie nehmen sich diese Macht und nutzen sie aus. Sie zahlen dafür, wie jede für alles, einen Preis. Der Preis ist, dass sie sich zu orientieren lernen und lernen müssen, an dem was als „sexy“ gilt und dass sie ihren eigenen Körper mehr und mehr als ein Objekt behandeln, dessen Wert von anderen definiert wird. Sie lernen auch, Männer als Gattungswesen wahrzunehmen und zu taxieren. Selten genügt der  weibliche Körper, mit dem diese oder jene Frau aus der Pubertät kommt, den Ansprüchen, die nun an den eigenen Körper gestellt werden: die Brüste zu klein oder zu groß, der Arsch zu fett oder zu flach, die Haut nicht glatt genug, die Haare nicht voll genug, die Zähne nicht weiß genug, die Beine behaart (Ja, manche Jüngere wissen das vielleicht gar nicht: Auch Frauen haben Beinbehaarung!), die inneren Schamlippen zu wulstig. Keine, selbst diejenige, die den Werbehochglanzfotos sehr entspricht, fühlt sich schön und sexy genug. Immer muss „was gemacht“ werden am Körper einer Frau, die diesen Weg wählt.

Reaktionen II
Sackkleider, Latzhosen, übergroße T-Shirts, kurze Haare, finsterer Blick. Ich will als Frau nicht gesehen werden. Bloß niemals einen Blick auffangen. Immer den Kopf ein bisschen unten halten. Flache Treter, trampeliger Gang. Eine, die sich selbst nicht traut, weil ihr beigebracht worden ist, dass euch nicht zu trauen ist. Überall lauern in dunklen Gassen potentielle Vergewaltiger. Orte die zu vermeiden sind, Kleidungen, Verhaltensweisen. Sonst ist sie noch selbst schuld. Es gibt auch andere Männer, versteht sich. Sie lernt welche kennen. Andere und solche. Sie muss immer auf der Hut sein. Damit sie kein falsches Signal sendet. Sie hat gelernt; dass sie ein falsches Signal ist, wenn sie nicht aufpasst. Diese Hemmung gräbt sich in ihre Bewegungsabläufe ein. Der Körper, der sie ist, könnte missverstanden werden. Sie ahnt höchstens, wie schwer es auch von der anderen Seite her ist, für die Männer. Es ist eine verkorkste Kultur, in der wir uns kennenlernen sollen. Sie spielt ein bisschen rum. Sie hat immer ein bisschen Angst. Sie will sich überwältigen lassen von Gefühlen und Leidenschaft. Sie fürchtet sich. Vor sich und den anderen. Eine Frau sein, heißt auch, ihre Weiblichkeit nicht zu zeigen.

Gekapert
Dann: Eine Frau sein heißt, gebärfähig sein, Der alte Sack von Frauenarzt hat doch Recht gehabt. Sie muss aufpassen. Verhütung ist Frauensache. Nicht immer, aber meistens. Männer sehen das nicht so eng und verlassen sich gern. Sie können ja auch verlassen. Kind und Frau. Weil Kind und Frau eins sind, jedenfalls neun Monate lang. Das hat sie sich so nicht vorgestellt, als es soweit kommt. Sie hat sich gar nichts vorgestellt. Etwas Fremdes wächst in ihr. Das fremde Wesen in ihr hat alle Rechte über sie: Kein Alkohol, keine Zigaretten, kein Stress, keine zu laute Musik, keine ungesunde Ernährung. Ermahnungen, wo sie hinguckt. Listen mit guten Tipps, eher Anweisungen, Appelle an die Verantwortung und das Gewissen. Alle richten sich auf ihren Körper, der ihr nicht mehr gehört. Das Gefäss für den Alien. Wird geschont und gepäppelt. Wird ihr fremd. Denn sie ist nicht mehr sie. Sie ist das. Das Kind. Das noch nicht ist. Aber sein wird. Der Vater ist außen vor. Im Wortsinn. Der ist nicht drin und nicht drum. Kann es nicht sein.

Dazwischen
Es war einmal eine Frau, die ich war, die vermied es, weiblich zu sein. Der Körper, der sie gewesen war, hatte sich ihr entzogen, war Objekt geworden, Heimstatt, Nahrungsquelle. Sie war das nicht. Sie war ein Kopf: ein Mensch. Geschlechtsneutral. Vorgeblich. Amputiert. Oder: Der Körper einer Frau unter schlapprigen Hemden und weiten Hosen. Jahre vergehen. Sie schaut sich um und an. Sich entdecken. Das bin ich doch. Mein Körper. Meine Brüste. Meine Schenkel. Immer noch fest. Mein Körper im Spiegel. Mein Körper unter meinen Händen. Ist schön. Ist Frau. Dass ich kein Mann bin, macht mich (auch) aus. Weil ich mein Körper bin und ihn nicht habe. Ich trage schwingende Röcke. Ich male die Lippen an. Ich sende keine Signale. Ich bin keine Botschaft. 

Jetzt:  Ich bin eine Frau Von beinahe fünfzig Jahren. Nichts anderes.


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5 Kommentare:

  1. Sehr schön geschrieben - auch wenn ich noch keine Fünfzig bin, erkenne ich doch einiges wieder.

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    1. Noch bin ich auch nicht 50. Aber ich fürchte mich jetzt nicht mehr davor, eine alte Frau zu werden. :-)

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  2. 50 ist ein wunderbares Alter, um die Welt noch einmal ganz neu zu erkunden, sich endgültig aus jeglicher (auch freiwilliger) Fremdbestimmung zu lösen und am "Frau-Sein" auf neue, unbelastetere Art Freude zu finden!

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  3. Das ist eine sehr spannende, zwischen gesellschaftlichen Normen und persönlichen Reaktionen oszillierende, Geschichte durch unterschiedliche Perioden des Frauseins. Was speziell ich daraus gelesen habe, und was naturgemäß mehr über mich als über die Autorin aussagt, ist dieses Ringen um ein Selbstverständnis zwischen den Zuschreibungen und Blicken der anderen.

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