Donnerstag, 1. September 2011

DEIN JÜNGER IN DER UNBEDEUTENHEIT

"An die Bettine

...
Der Hohenfeld sagte mir, Ebel erzähle, Du habest aus überreiztem Widerwillen gegen die Philosophie ein starkes Erbrechen gehabt, daraus sich ein galliges Nervenfieber gebildet habe; er warnte mich und sagte, Du seiest ein unbedeutendes Mädchen und kein philosophischer Kopf, der Deine könne zwar übermütig und überspannt, weiser aber nicht werden etc. - Ich erriet, dass er ein diplomatischer Abgesandter sei von klugen Leuten, die viel von einem wissen und von denen man nichts weiß; seine Zitationen von überspannten Reden und absurden Behauptungen, die hier unter Philistern im Umlauf sind, ergötzten mich; Dein eigener Brief, der wie der junge Strauch das kränkelnde Laub abwirft und in frischen Trieben ergrünt, macht mich mit dem guten Hohenfeld einverstanden über Deine Unbedeutenheit, auch gefällt sie mir besser, als was ich an Gelahrtheit dir zuschanzen könnte; Du bist gefühlig für die Alltäglichkeit der Natur, Morgendämmerung, Mittagsschein und Abendwolken sind Deine lieben Gesellen, mit denen Du dich verträgst, wenn kein Mensch mit Dir auskommt - Wenn Du willst, so können wir umtauschen und ich Dein Jünger werden in der Unbedeutenheit, so wie Du Dich für meinen Schüler hieltest, als ich einen starken Geist aus Dir bilden wollte. Jetzt, wo es rückwärts geht, mußt Du mein Lehrer sein; ein Zaghafter kann sicher bergauf gehen, aber einen steilen Weg hinab, dazu gehört Entschlossenheit, die hast Du, Du schwindelst nicht und hast Dich noch nie besonnen, über Hecken und Gräen zu setzen. Es dämmert mir schon ganz glückliche Spekulation über den Geist der Unbedeutenheit auf; ich hätte unsägliche Lust, dem Domdechant, der mich so hochstellt, als Überläufer ein paar Dummheiten zu sagen, die ihm Zweifel in sein Urteil gäben...Nun, es wird mir nicht fehlen, dass mir nächstens die ergötzliche Unbedeutenheit aus diesen meinen Verkehrtheiten zuerkannt werde, um die mich keiner beneiden wird, weil man eben das Bedeutende nicht zu schätzen weiß. Ich ahne sehr hell, dass, wenn in dem bescheidenen Knospenzustand Unbedeutenheit verborge, nicht der volle innere Lebensbetrieb wirkte, das Bedeutende nie ans Licht blühen würde, am wenigsten, wenn diebischer Eigennutz sich der Zeit vordrängt, bloß um auf der Höhe zu stehen, wo die andern zu seinen schimmernden Phantomen aufsehen müssen. Wie die Titanen mit großem Gepolter ihre Trppe zu der Götter Burgen auftürmten und die stillen Gipfel des Olympos als unbedeutend hinabstürzten. Eins empfinde ich in Dir, dass die Natur das Ideal des Menschengeistes gleichwie das Pflanzenglück unter warmer, nährender Decke vorbereiten muss, sonst werden die Menschen davon nicht wachsen und reifen und im Sonnenglanze grünen."


(Aus: Bettina von Arnim: Die Günderode)


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