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Sonntag, 5. November 2017

GOOD BYE DARKNESS MY OLD FRIEND. Eine romantische Männerfreundschaft

Grant McLennan starb am 6. Mai 2006 in Brisbane an Herzversagen. Robert Forster setzt ihm und ihrer Freundschaft, die so romantisch war, wie die Beziehung zwischen zwei heterosexuellen Männern nur sein kann, in der Auto/Biographie "Grant and I" ein Denkmal. 



As he lives my live

Robert Forster gibt in "Grant and I" den Fans der Go-Betweens, zu denen ich seit 30 Jahren gehöre, eine jener Lebensbeschreibungen, die der Verbindung zwischen Werken und Schöpfern nachspüren, den Schaffensprozessen nachvollziehbar machen, die hinter jedem Kunstwerk stecken: Wie das Erlebte eingeht in die Komposition, aber sich auch durch diese verändert, transzendiert wird und - wenn es gelingt - ein Werk entsteht, in dem es nicht mehr nur um die Verarbeitung der eigenen Erfahrungen geht, sondern etwas erkennbar wird, in dem viele sich wiederfinden können. 

2002 planten Forster und McLennan ein neues Album. Wie immer sollten 5 Songs von Forster, 5 von McLennan beigesteuert werden. Wie immer hatte Robert Forster "mehr Worte" und Grant McLennan "mehr Melodien". Forster schnappte sich eine Akkordfolge, so schreibt er, und begann den Text von "Too Much Of One Thing" zu schreiben. Es wurde, so schien es zunächst, ein Porträt des Freundes, dessen tiefer Melancholie er sich immer stärker bewusst wurde: "You might think you see purpose/when what you´re seeing is a band/A thin line like from a spider/upon which I dance." Aber dann wird die Botschaft, die diese Zeilen für den Freund sein könnten, in Eigenrede verwandelt:"I have known a hundred women, and a part of me loves to fail." Forster erkennt: "Nun wusste ich nicht mehr, von wem der Song handelte, und genau deswegen funktioniert er." "Too Much Of One Thing" wurde zur "Ballade der Go-Betweens". 






What I need is persistence

Das Album "Bright Orange. Bright Yellow" entstand in der zweiten Phase der Go Betweens , in den 00er Jahren, als Forster und McLennan wieder miteinander unter dem alten Band-Namen arbeiteten, jetzt ohne Lindi Morrison und Amanda Brown. Das Ende der Band hatten McLennan und Forster 1989 miteinander beschlossen, ohne die beiden Frauen in die Entscheidung einzubeziehen: "Natürlich würden Lindy und Amanda sich nach all den Jahren, in denen sie ihre Arbeit und emotionale Energie in die Band gesteckt hatten, betrogen fühlen und wütend auf uns sein, um mit der gleichen Härte zurückzuschlagen. Amanda, geschockt und aufgebracht, wollte Grant verlassen."

Die Go-Betweens waren nie eine Band, die aus zwei Paaren bestand. Forster und Morrison, die geniale Schlagzeugerin, die beinahe ein Jahrzehnt lang ein Paar gewesen waren, hatten sich schon getrennt, als Amanda Brown und Grant McLennan ein Paar wurden. So war es dann Grant McLennan, der den Preis für die gemeinsame Entscheidung der beiden Männer, dass es genug sei, zahlte. Seine Beziehung zu Amanda Brown zerbrach daran. Denn die beiden Freunde hatten, so lässt es sich zwischen den Zeilen aus Forsters Auto/Biographie lesen, mit einem nicht gerechnet: mit der Freundschaft der beiden Frauen zueinander, deren Beziehung an Intensität und Loyalität offenbar der zwischen den Männern in nichts nachstand. Und so ist auch die Geschichte der Go-Betweens, die sich von vielen anderen Indie-Bands gerade dadurch unterschied, dass immer Frauen mitgespielt hatten, geprägt und beschädigt worden durch die Unfähigkeit von zwei Männern, die Bedeutung der Beziehung von Frauen zueinander richtig einzuschätzen. Forster schreibt: "Es war immer ein Teil des Bildes, das wir von der Band hatten, dass das dritte Mitglied eine Frau sein musste....Wir wollten nicht ausschließlich Männer sein - das war zu starr und vorhersehbar." Aber sie verstanden die Frauen eben nur in ihrer Beziehung zu ihnen, den Singer/Songwriter-Männern. 

Grant McLennan und Robert Forster lernten sich als junge Studenten in Brisbane kennen, zwei Männer aus der unteren Mittelschicht mit einem unstillbaren Verlangen nach mehr, nach Imagination, Inszenierung, Kunst. Sie erkannten einander beinahe sofort. Ähnlichkeiten und Differenzen, ein gemeinsamer Musikgeschmack, die Fähigkeit viel von einander zu lernen über Literatur, Film, Politik. Während Forster noch zu Hause bei seinen Eltern lebte, war Grant schon als Junge von einer abgelegenen Farm aufs Internat nach Brisbane geschickt worden. Ihre Herkunft und ihr Drang sie zu überwinden und ihr gleichzeitig treu zu bleiben, prägte später auch ihre Songs, Grants "Cattle and Cane", Roberts "Born from a Family" zum Beispiel:




I recall a schoolboy 


And changed the system

Wie in vielen Männerfreundschaften ging es auch in dieser weniger darum, sich gegenseitig das Herz auszuschütten, sondern darum, gemeinsam etwas zu machen. Musik, die Band: "The Go-Betweens". Forster warb Lindi Morrison, in die er sich verliebt hatte, von einer anderen Band ab. Forster und McLennan ergänzten sich, aber sie erlebten sich auch als Konkurrenten. Lindi Morrison hatte ihren eigenen Kopf und kam von Anfang offenbar nicht gut mit Grant aus. Die Band zog zunächst nach Melbourne, dann nach London. Neue musikalische und persönliche Allianzen entstanden. Ein Hit, der finanzielle Sicherheit gebracht hätte, stellte sich nicht ein: "Unser Weg würde einem anderen Vorbild folgen, ´the wrong road´, wie Grant einmal singen würde - Fortschritt im Zickzackkurs, das Erleben fremder Städte aus der Perspektive der Armut, von einem Nervenkostüm auf den Prüfstand."




Grant McLennan, Lindi Morisson, Robert Forster
Quelle: https://www.theguardian.com/music/2017/jun/16/
the-go-betweens-right-here-review-love-still-goes-on-for-this-brisbane-band
Photograph: Jeremy Bannister via Sydney film festival

Das öffentliche Image, das McLennan und Forster von sich kultivierten, unterschied sich massiv von den Rollen, die sie füreinander und in ihrem Umfeld spielten. Forster schreibt: "Ich war der flamboyante gepuderte Showman, er zugeknöpft und aufrichtig. Diese Darstellung war schon damals falsch; durch die ...Verzerrungen der Medien und die klaren Umrisse, die der Rockmythos verlangte, wurde unsere Gegensätzlichkeit übertrieben und allzu sehr herausgestellt." Tatsächlich war es Robert Forster, der über die Jahre stabile Bindungen einging und immer wusste, wo er zu Hause war, während McLennan keinen Halt fand. 




Deep down I´m lonely and I miss my friend

Nach dem vorläufigen Ende der Go-Betweens entwickelten sich Forsters und McLennans Leben auseinander, ohne dass der Kontakt jemals abriss. Forster fand bei Regensburg die Frau seines Lebens, Karin Bäumler, mit der er einige Jahre in Bayern lebte, bevor er nach Brisbane zurückkehrte. Grant fiel es schwer, über die Trennung von Amanda Brown hinwegzukommen. Seine Solo-Alben, die in jenen Jahren entstanden, erzählen auch von diesem Schmerz. "Ein Rückfall in unsere wahren Persönlichkeiten, könnte man sagen: Für mich war es das Leben in einem ruhigen Heim mit einer Frau, die ich liebte. Für Grant war es, allein zu sein, und das Bedürfnis nach einem Zufluchtsort..."

Als Forster und McLennan die gemeinsame Arbeit wieder aufnahmen, führten sie vollkommen verschiedene Leben: Forster war Familienvater, McLennan lebte noch immer in wechselnden Wohngemeinschaften und hatte mehr oder minder kurze Beziehungen. In der Auto/Biographie deutet Forster an, wie stark das Leben McLennans in jener Phase vom Alkohol geprägt war. Der tiefen Traurigkeit, die ihn beherrschte, konnte er offenbar nur so Herr werden. Sie schrieben gemeinsam "Finding you": "Es gibt nicht viele Forster/McLennan-Songs wie diesen - echte, altmodische Co-Kompositionen. Und ich weiß zu schätzen, dass wir eine so gute und bedeutsame geschrieben haben wie ´Finding You´."



Or would you sing along?

Als Grant im Mai 2006 völlig überraschend starb, suchte Robert nach Gründen: "Der Verlust seines Vaters. Internat mit elf. Ein ältester Sohn ohne Geschwister, die ihn beschützten. Er war ein Junge vom Land, der nur in der Stadt leben konnte. Er war ein Junge aus der Stadt, der wusste, das ein Teil seines wahren Ichs aufs Land gehörte. Er war ein altkluger, nach Anerkennung suchender Schuljunge, der verspottet wurde, weil er ein Poster von David Bowie an der Wand hatte; der wusste, dass er nicht nur anders war als seine Mitschüler, sondern auch als ein Großteil seiner Familie. Vielleicht fehlte ihm ein bisschen Liebe. Er flüchtete sich in akademische Erfolge - die zu bedeutenden Leidenschaften aufblühten. Der mit Enthusiasmus entflammte Junge brauchte eine Schutzhaut, die die Form einer nie näher hinterfragten Arroganz annahm und diejenigen, denen er begegnete, anzog und abstieß."

Es kann natürlich keine "Gründe" geben. Grant McLennan starb mit 48 Jahren viel zu früh. Er war, schreibt Robert Forster, sein bester Freund, sein Co-Autor, sein Konkurrent, "ein Glaubender. Er glaubte an all die guten, schönen und erhebenden Dinge des Lebens. Gedichtzeilen, die Schatten eines Films, die majestätische Größe eines tollen Popsongs. Er war hochromantisch."



How I miss your quiet quiet quiet heart



Sonntag, 23. Februar 2014

HELDEN: AUS! (mit dem Lied zum Sonntag)



Es ist alles ambivalent. (An dieser Stelle sollte ein Kichern einsetzen.) Die muskelfreie Hühnerbrust, die eingefallenen Wangen gegen die kraftvollen Gesten, das Anschwellen der Synthesizer gegen die Statik der Figur: Ach, Helden! - "Just for one day." (Spreche ich nicht von David Bowie?) Die steile Selbst-Imagination im Schatten der Gewalt. --- Ach was, in deren Glamour-Licht. (Wer will schon Held sein und sich opfern? Ernsthaft. Da draußen.) Alles ein Spiel. Allerdings: Es gibt auch Spiele, die tödlich enden. Manche suggerieren sich selbst sich selbst (Diese Doppelung ist Absicht!) - und den Tod (der aber trotzdem kommt). Das sind nicht die Schlechtesten. Oder die Ödesten. Aber: - (Achtung, Künstler!)  - Auch nicht die Hellsten, Schrillsten, Fähigsten. Keineswegs. Wer von der Lächerlichkeit seiner Selbst-Inszenierung höchstens eine Ahnung, aber kein Wissen hat, taugt nicht, anderen die Welt zu erklären. Wem selbst diese Ahnung abgeht, läuft Gefahr, sich in eine Eigen-Karikatur zu verwandeln. (Was sag ich: Garantiert!) Selber-Leben perdú! Dann bleibt nur noch der Abgang (trocken!). Oder die untot-traurig-schiefe Balance am Abhang. (Passgenaue Metaphern: Klammeraffen!)

Ansgar, der "Held" meines Roman-Debüts "PUNK PYGMALION" scheint sich zu Beginn der Erzählung an so einem Überhang festzuhalten, wenn er im ersten Brief von 1983 seine Berliner Liebschaft mit Bowies Worten beschwört: "WE COULD BE HEROES!" und sie im Post Skriptum dann belehrt: 

***

"PUNK´S NOT DEAD. Hab keine Angst vor der Wildheit in der Musik; das macht die Qualität aus. Hör zum Beispiel: Jam oder The Clash (´Combat Rock´), das ist einfach (WOW, nice, fantastic beat, anarchy, friendly of course). Aber sei vorsichtig. Punk ist leider auch Hass, fast Faschismus (Techno-Luxus-Punk), Mode, manchmal zu intellektuell. Meide diese Richtungen!"


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Es ist (natürlich!) ganz anders, ambivalent nämlich (Hier darf wieder gekichert werden.): Die die Freundlichkeit beschworen, konnten nicht freundlich sein. Und so. Man sah nämlich Ansgar niemals lachen. Am wenigstens über sich selbst. Mit Gewalt.

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Auch diesen Sonntag also wieder: Das Lied zum Sonntag mit Bezug zu PUNK PYGMALION.

Eva Jancek gibt auf Literaturgeflüster den Inhalt des Romans aus ihrer Sicht wieder:

Samstag, 22. Februar 2014

VOR DEM RUHM. Die Beatles als junge Punks

Beatles 1962

Ein Beitrag von Morel


Jede Biographie verwandelt Zufälle in Notwendigkeit, indem sie das Nacheinander der Ereignisse in eine Geschichte verwandelt. Wer aus wissenschaftlicher Redlichkeit oder avantgardistischem Trotz dieses Zauberkunststück zu unterlaufen versucht, verliert nicht nur den Faden sondern oft auch sein Publikum. Aber eine Biographie, die ganz auf die Sandkörner des Lebens verzichtet, Sackgassen meidet, die nirgends hinführen, ist auch langweilig. Gelungen ist die Lebensbeschreibung, die das Gefühl wach hält, dass alles auch ganz anders hätte ausgehen können.

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Mark Lewisohns erster Band einer geplanten Trilogie der Beatles (Tune in. The Beatles. All these years. 1) ist in diesem Sinne gelungen, gerade weil er das Tempo in der Geschichte des schon oft atemlos erzählten Aufstiegs von vier Jungen aus Liverpool zu Weltruhm an den richtigen Stellen zur Zeitlupe verlangsamt. Die Frage ist ja, gibt es überhaupt noch etwas Neues über die Beatles zu erzählen? Eigentlich nicht. In groben Zügen ist aus Film, Fernsehen und tausend Artikeln bekannt, wie sich John und Paul auf einem Gartenfest kennengelernt haben, wie George hinzustieß und nach den ersten Erfolgen Pete Best durch Ringo ersetzt wurde. Der Rest ist Geschichte: Massenhysterie, schreiende Teenager, Konzerte, Drogen, der Rückzug ins Studio, Indien und schließlich am Ende der Streit um Geld, das Erbe, den Mythos. Aber jeder Mythos wurzelt in einem Ort, der nicht beliebig ist. Bei den Beatles heißt dieser Ort Liverpool und hier beginnt Lewisohns Biographie und ich kann mir kaum vorstellen, dass sie jemals Liverpool verlassen wird.

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Mein biographisches Wissen über die Beatles stammt aus einer inzwischen rechtschaffen zerfledderten Bildband in LP-Größe, der so beginnt: "Als John Lennon Paul McCartney zum ersten Mal traf, waren beide vierzehn." Schon dieser Satz ist schlicht falsch, wie man bei Lewisohn nachlesen kann: sie waren nicht beide vierzehn, John Lennon war mehr als ein Jahr älter und dieser Unterschied spielte bis zum Ende der Beatles eine Rolle. John Lennon war der lauteste und arroganteste, gleichzeitig aber der innerlich unsicherste und verletzlichste der Beatles, und in den ersten Jahren ihr unbestrittener Anführer. Immer wenn Entscheidungen zu treffen waren, warteten die Anderen auf ihn. Lewisohn vergleicht die Dynamik der Gruppe mit einer Kette. John wählte Paul, Paul brachte später George in die Gruppe, George schließlich war ganz entscheidend dafür, dass Ringo kurz vor Ende des ersten Bandes dazu stiess. Lewisohn schreibt nichts komplett Neues, aber durch sein Interesse an Details, Fakten, Orten und Einflüssen korrigiert er das Bild das sich die Millionen Beatles-Fans von ihrer Gruppe gemacht haben. Die Biographie ist aber auch für Nicht-Fans interessant. Die Beatles veränderten eben nicht nur die Musikgeschichte (die vielleicht am wenigsten), sondern die Gesellschaft. In einer Zeit, die von Stagnation und Zukunftsängsten geprägt ist, mag es vielleicht interessieren, was die Voraussetzungen für diese Veränderung waren.

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Eine Erkenntnis aus dem ersten Band: es war kein Generationenkonflikt, der im Aufstieg der Beatles aufbricht. Viele der Eltern der Beatles waren selber musikalisch, haben in Kneipenbands Unterhaltungsmusik gespielt und das "Hobby" ihrer Söhne zum Teil tatkräftig unterstützt (wenn auch keiner sich gewünscht hätte, dass sie daraus einen Beruf machen). Die größten Widerstände gegen den Rock'n Roll kamen von Johns Tante Mimi, bei der er aufwuchs (seine Mutter Julia dagegen lebte bis zu ihrem frühen Tod ein Leben gegen den Strich der Konventionen ihrer Zeit). Aber auch die Konflikte zwischen John und Mimi führten nicht zum Abbruch der Beziehungen. Widerstände gegen die Musik der Beatles kamen nicht von ihren Eltern, sondern von den Oberschichten Englands (Lehrern, Journalisten, BBC-Musikdirektoren u.a.). Hier wurde diese Musik, die in Liverpool eine der unteren Mittelschicht war, als Krach wahrgenommen. In den frühen Berichten über Rock und Beat standen daher Gewalttaten im Umfeld der Konzerte und weniger die Musik im Vordergrund. Dieser Klassenkonflikt spiegelt sich auch in einem anderen, der für den Aufstieg der Beatles wesentlich ist: dem zwischen dem Norden Englands, insbesondere Liverpool, und dem Süden mit London.

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Liverpool hat eine Hauptrolle in der Geschichte der Beatles, wie sie Lewisohn erzählt. Bombenangriffe der deutschen Luftwaffe hinterließen in der Hafenstadt Ruinen, die noch in den 60er Jahren das Stadtbild prägten, während der Rest des Landes boomte. Die Vernachlässigung durch die politische Klasse prägte das Klima in Liverpool, Die Aufsässigkeit bricht dann zum Beispiel nach der ersten Plattenaufnahme der Beatles auf, wenn sie der Produzent George Martin distanziert-höflich fragt, ob es etwas gebe, dass ihnen nicht gefallen habe. "I don't like your tie", lautete die legendäre Antwort von George. Die Beatles, das unterscheidet sie von vielen Popgruppen unserer Tage, waren kein Produkt der schon damals existierenden Popindustrie. Sie brachten aus ihrer Stadt an der Peripherie aber mit Hafenanschluss an das Königreich des Rock'n Roll in Memphis und Detroit genügend Widerstand und Witz mit, um nicht alles mit sich machen zu lassen. Lewisohn beschreibt die Atmosphäre Liverpools in den 60ern atmosphärisch genau und mit Blick für die Details, die dann in späteren Songs wie Penny Lane plötzlich nach Surrealismus klangen.

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Auch wenn es sich um eine Biographie der Beatles handelt stehen nicht nur vier junge Männer als aufsässige Punks im Mittelpunkt. Lewisohn erzählt von Müttern und Vätern, Freundinnen und Fans, Hamburger Unterwelt-Größen und Liverpooler Barbetreibern, aber auch dem schwierigen Doppelleben des homosexuellen Managers der Beatles, Brian Epstein. Gerade hier hat das Buch seine Stärken, die es vom üblichen Starkult abheben.  Die robusten, die Familie dominierenden Mütter haben ebenso ihren Auftritt, wie die mehr als einmal schäbig behandelten Freundinnen der Beatles. Cynthia, die Freundin Johns, nahm seine Gewalttätigkeit ebenso hin wie seine Untreue. Paul war äußerlich charmanter, aber genauso verlogen. Als seine Freundin Dot schwanger wird (ein in den Zeiten vor der Pille häufiges Schicksal), sagt er seinen Eltern nichts und ist froh, als es zu einer Fehlgeburt kommt. Als Cynthia schwanger wird, reagiert John unerwartet konsequent und bietet ihr sofort die Hochzeit an, die dann zwischen Konzertterminen auf einem Standesamt absolviert wird. Danach versteckt sich Cynthia monatelang in einer Wohnung Brian Epsteins, um Diskussionen über ihren wachsenden Bauchumfang aus dem Weg zu gehen. Musikalisch waren John und Paul Frauen gegenüber aufgeschlossener - ein großer Teil der Magie ihrer frühen Songs geht auf die Imitation von Mädchenstimmen zurück, etwa die Adaption der revolutionären Songs von Carole King und Gerry Goffin für Tin-Pan-Alley-Girlgroups wie die Shirelles. "Will you love me tomorrow?" fragen die sich zurecht skeptisch vor dem ersten Sex.  Der entgegen allen Mythen der angeblich prüden 50er nicht unbedingt in der Hochzeitsnacht stattfand.

*

Als sich auf den letzten Seiten von Lewisohns Biographie das Jahr 1962 dem Ende zuneigt, scheint eigentlich alles über die Beatles gesagt, obwohl bisher nur eine, eher durchschnittliche Single erschienen ist. Was die Beatles konnten, haben nur einige wagemutige Fans in Kellerlokalen in Liverpool und Hamburg erlebt. Für den Rest der Welt sind die Beatles und ihre Musik unbekannt oder ein reines Modephänomen. Aber Lewisohn, der mehr als zehn Jahre an diesem Band gearbeitet, unbekannte Quellen erschlossen und vor allem mit Menschen gesprochen hat, mit denen noch nie jemand geredet hatte, erschließt das Phänomen der Beatles eben aus seinen Anfängen. Aus diesen Ursprüngen folgt alles andere. So spannend wie dieser erste Band werden die folgenden wahrscheinlich nicht sein.




Sonntag, 16. Februar 2014

"Ziehe deinen Weg, solange du kannst. Lustiger, ewig wahrer Schurke unter verschiedenen Masken..." (+ Lied zum Sontag)


Ani Difranco: Untouchable face


Könnte ich über Musik schreiben, so schriebe ich heute nicht über Ani Difrancos "Untouchable Face", sondern über Giuseppe Verdis "Falstaff" (1893). Denn gestern sah ich eine großartige Inszenierung in der Frankfurter Oper. Verdi bearbeitet in "Falstaff" den Stoff aus Shakespeares "Die lustigen Weiber von Windsor". Der übergewichtige und herunter gekommene Sir John Falstaff glaubt - gegen den Augenschein - ein Frauenschwarm zu sein und seine missliche finanzielle Lage durch Affären mit verheirateten Bürgersfrauen, die die Geldschatullen ihrer Kaufmannsgatten verwalten, beheben zu können. Die durchschauen indes sein durchtriebenes und berechnendes Spiel und drehen den Spieß herum. Zum Schein geht Mrs. Alice Ford auf die Avancen des adeligen Säufers und Lebemanns ein, um ihn schließlich den Spott preiszugeben. Nach einigem Hin und Her, inklusive eifersüchtigem Ehemann und verliebter Tochter, wird Falstaff in der Nacht beim angeblichen Rendezvous von als Elfen, Feen und Geister Verkleideten verwirrt, gepiesackt und zum Geständnis seiner Schändlichkeit getrieben. Auch der eifersüchtige Ehegatte und unnachgiebige Vater bekommt sein Fett weg, bevor es zum versöhnlichen Ende kommt, bei dem deutlich wird: Alle sind Spieler, jede/r trägt eine Maske und zu verachten ist nur, wer "die Heilige" oder "den Heiligen" gibt. Unfassbar auch, dass Verdi diese Oper nur zehn Jahre nach Wagners Tod schrieb. Denn Verdis Oper ist nicht nur "komisch", sondern auch "witzig"; nicht romantisch-ironisch, sondern "very british" humorvoll, augenzwinkernd, vergeblich und vergebend. "Falstaff" schließt mit einer wunderbaren Fuge, die alle konkurrierenden, intrigierenden, disparaten Stimmen noch einmal vereinigt: "Tutto nel mondo è burla. L`uom è nato burlone." Wir sind Narren und halten zum Narren, wir werden genarrt und narren uns selbst. Die Einsicht in unsere menschliche Schwäche und Sterblichkeit kann tragisch "erhaben" überhöht werden oder uns zum herzlichen Lachen (über uns selbst und die anderen) bringen. 

Raten Sie mal, was mir besser gefällt!

(Auch in meinem Roman "PUNK PYGMALION" spielt das Lachen oder - andersherum - : die Unfähigkeit zu lachen eine Rolle. Die, an deren Lachen sich keiner erinnern kann, Emmi, der das letzte Kapitel des Romans gehört, zitiert auf S. 165 aus "Untouchable Face" von Ani Difranco: 

"You look like a photograph of yourself
taken from far far away, and I don´t know what to do
And I don´t know what to say, but
Fuck you and your untouchable face.
Fuck you for existing in the first place."

So bitter und tragisch ist das, wenn eine nicht lachen kann. Über sich selbst. Noch schlimmer: Nicht einmal über die Andere. 

Und weil ich über Musik nicht schreiben kann und daher auch nicht darüber, was die Frankfurter Inszenierung des "Falstaffs" so großartig macht, stelle ich zum Sonntag eben doch mal wieder einen Song ein, den ich mag.)


Sonntag, 9. Februar 2014

It´s all about LOVE ("I´m easy")

Zwei Texte aus dem Archiv der "Gleisbauarbeiten" werden von Leserinnen und Lesern, so zeigt mir die Blog-Statistik, in den letzten Wochen immer wieder und immer häufiger aufgerufen. Es sind zwei, bei denen es mich besonders freut: 

LIEBE AM ABGRUND. Über Kleists Marquise von O.

und 

"Du gehörst zu mir." Über Perihan Magdens Roman "Ali und Ramadan"

(So hatte ich mir das Bloggen ursprünglich vorgestellt: Als Entwicklung eines vernetzten Archives, das nicht nur dem Neuigkeitswert des allerletzten, oben stehenden Posts, huldigt. Die Nutzung der Blogs, auch das Verhältnis zum eigenen, stelle ich fest, sieht leider anders aus. Auch ich schaue meist nur nach, was "Neues" in den Blogs zu lesen ist, die ich regelmäßig anklicke. Schade eigentlich. Denn ich weiß von vielen, dass da (verborgene) Schätze schlummern. Manchmal schicke ich mir längere, ältere Texte aus Blogs per Instapaper auf meinen Kindle. Nicht oft genug.)

Sonntags widme ich, nicht immer, aber immer öfter, den "daily" Blog-Post einem Song. Fast alle guten Songs handeln von der Liebe. Irgendwie. Wie auch Blog-Posts? Irgendwie. Schon. 




Robert Altman´s Nashville (1976)


Iris hat auf ihren Blütenblättern einen wunderbaren Text zu "PUNK PYGMALION" geschrieben. Einen Brief an die Herausgeberin des Briefromans. Danke! : Hier.


Sonntag, 2. Februar 2014

Memories are made of this (Sonntagabend-Blues)



                                            (sweet, sweet memories you gave-a me 
                                          you can't beat the memories you gave-a me) 


Samstag, 20. Juli 2013

UWE KROPINSKI und JOE SACHSE in der Kunsthalle Kühlungsborn


Was für ein Erlebnis: Zwei große Musiker in einem Ostseebad. Wer hätte das erwartet? Doch warum nicht? Mit solcher Musik füllt man keine Hallen, nur eine kleine Kunsthalle in Kühlungsborn-West. Die gestern Abend dort waren aber, deren Gesichter strahlten am Ende, waren sie doch Zeugen geworden, wie zwei Menschen etwas machten, was sie konnten und wollten, konzentriert, präzise, spontan. Das kommt seltener vor, als eine sich vorstellen mag. Nicht viele haben das Glück, sich so zu entdecken: Etwas so gut zu können, dass man es nicht beherrschen, sondern damit wirklich spielen kann. 

Ich verstehe nicht genug von Musik und gerade von dieser speziellen, um in Worten auch nur andeuten zu können, was zu hören war. Im Grunde glaube ich auch nicht daran, dass Worte das können oder dass Texte über Musik oder Bilder denen etwas Wesentliches hinzufügen könnten. Bloß wer nicht Musik oder Bilder machen kann, hat das Bedürfnis, sich über Texte zu versichern, dass da etwas Bedeutsames zu hören oder zu sehen war. 

Uwe Kropinski und Joe Sachse gestern Abend in der Kunsthalle in Kühlungsborn: Zwei sehr unterschiedliche Männer, die sich mit ihren Gitarren aufeinander einließen. Sie spielten eigene Kompositionen (u.a. "Ein Germane in Madrid"/Kropinsiki oder "HongKingKong"/Sachse) und eine freie Improvisation. Immer wieder schloss ich die Augen, um besser zu hören - und öffnete sie dann wieder, um neugierig zu schauen, wie das gemacht wurde, was da zu hören war - vergeblich: Denn, wie der Veranstalter ankündigend gesagt hatte: "Das geht eigentlich gar nicht, was die da machen." Schwebend, zwitschernd, schlagend, schreiend, lachend, aufschlagend, hochsteigend, wegtretend, ankommend, runterfallend, auftrumpfend, jubilierend, kreischend, flüsternd, zitternd, schluchzend, rhythmisch, aus dem Takt, im Blues, Freejazz, Afrika, Indien, meditierend, aufwachend, begeisternd. Ich habe Gitarren noch nicht so gehört.

(Und: Es gibt keine größere Dummheit, als die Wahnidee, Denken finde nur in Worten, gar in Texten, statt.)

Lassen Sie sich keine Gelegenheit entgehen, diese beiden großen Musiker allein oder zusammen oder in anderen Kombinationen zu hören! 

http://www.kropinski.com
http://www.helmut-joe-sachse.de






(BenHuRum, DU musst das hören!)

Mittwoch, 9. Januar 2013

WHERE ARE WE NOW? (Mit einem Tag Verspätung: Happy Birthday, David Bowie!)

Hätte ich das gedacht? Dass David Bowie noch einmal einen Song (und vielleicht sogar ein Album?) raushaut, das mir gefällt? Ehrlich gesagt: Nein. Trotzdem hatte und hat David Bowie seinen festen Platz in der Musik- und Pop-Geschichte. Wenn der Begriff für irgendjemanden gilt, dann für ihn: lebende Ikone. Schwer sich vorzustellen, wie sich das im Alltag anfühlt. Auch der Mann muss ja mal aufs Klo. 

Als ich in die Oberstufe kam (1981) war er das schon: eine Ikone. Jener, die nicht auf den weichgespülten Charme der Hippies standen, sondern eine etwas schrillere, härtere und schrägere Gangart mochten. The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars - ich kannte später keinen, der das Album nicht hatte (d.h. jene, die es nicht hatten, kannte ich nicht). Dabei war Ziggy schon 1973 von David Robert Haywood Jones für tot erklärt worden. Heroin Heroes. (Harte Drogen probierte ich selbst nie. In mir steckt kein bisschen Selbsthass oder Masochismus.) Bowie hatte mit dem Umzug nach Berlin Abschied genommen von einer bestimmten Phase und war in eine andere eingetreten. Die Berliner Jahre wurden ein Mythos. Ich erinnere mich daran, wie mir ein aufgeregter junger Mann im Sommer 1983 ein Wohnhaus in Berlin-Schöneberg zeigte: "Da hat Bowie gewohnt. Und da Iggy Pop." Was Bowie in den 80er Jahren machte, die Disco-Platten, missfiel in "unseren" Kreisen. 

Ich lasse in meinem PUNK PYGMALION-Roman, der teilweise im Jahr 1984 spielt, den ´rough guy´ Ansgar zum Beispiel an seine geliebte Emmi schreiben: 

"Zuerst zu Bowie (weil du fragst): Ich habe seine neue LP gestern gekauft. Er hatte drei Jahre keine mehr herausgebracht. Stattdessen drehte er ein paar Filme (die kannst du vielleicht demnächst sehen)und spielte Theater. Außerdem hatte er die zwei Disco-Singles. Der Hit war natürlich: „Let´s dance“. Ein Unfall. Auch das Cover der neuen LP macht mich krank. Ich höre sie gerade und es ist DISCO. Aber nicht ganz, trotz allem steckt Bowies Energie und sein spezieller Sound drin. Er schreit nicht rum und ist wütend wie auf „Scary monsters“. (Das ist gut!) Sein Comeback war ein Hit, aber er zahlt auch den Preis dafür. Der Text ist absolut uninteressant: disco lyrics eben. Aber du musst genau hinhören: Er tarnt sich. Er hat Box-Handschuhe an. Er wird wieder kämpfen. Rebellion und Anarchy: LET´S DANCE. Also, ich rate dir: Geh in die Disco mit jemandem, den du liebst und TANZE! (mit mir natürlich!!!)."

Dieser belehrende Ton, der die Briefe Ansgars immer besonders dominiert, wenn es um Musik geht, war meiner Erinnerung nach durchaus üblich damals, wenn ein verliebter junger Mann das Mädchen seiner Wahl in "seine" Pop-Welt einführen wollte. Fast immer begann eine neue junge Liebe damit, dass einer dir eine Kasette aufnahm und viel einführenden Begleittext dazu sprach oder schrieb. Umgekehrt, glaube ich, kam das eher selten vor. Jungen hatten Plattensammlungen, die sie Mädchen zeigten. Alles Klischee. Aber so war es. Oder ich erinnere es so. Jungen erwarteten, dass Mädchen sich für das interessierten, was sie interessierte. Und fanden es schön, sie zu belehren. Aber wehe, wenn sie nicht aufmerksam war und gelehrig! Pygmalion. Ever and again. Wahr ist auch: Es gefiel mir damals (wie anderen) auf diese Weise umworben zu werden. Wenigstens für eine Weile. Dauerhaft war das keine Ebene, auf der sich eine Beziehung halten konnte. Denn für eigene Entdeckungen war in so einem Umfeld kein Platz. Was er nicht kannte, war eben irrelevant.  (Deshalb kannte er es ja nicht.) Oder er musste von einem männlichen Freund darauf hingewiesen werden. Seine Freundin jedenfalls sollte zwar nicht zu doof sein, um ihn zu verstehen, aber selbstverständlich auf keinen Fall was anderes als ihn (und seine Erklärungen der Welt) verstehen wollen. (Na ja, ganz so schlimm war es vielleicht nicht. Es war auch schön, manchmal, und leidenschaftlich. Trotzdem - kein Wunder, dass es keine dieser Beziehungen, die auf dem Pygmalion-Modell beruhten, bis zur Freundschaft geschafft hat.) 

Dem Status als Ikone, den David Bowie in den 80ern bei uns genoss, konnte die Ablehnung gegenüber den Platten, die er in diesen Jahren machte, nichts anhaben. Wie Dominique Silvestri (Goncourts Blog) auf Google + schrieb, liefen sogar hier und da "Adorno-Fans" (hihi, das ist selbst schon so schön dialektisch!) rum, die "in dialektischer Diederichsen-Manier auch die späteren, uns weniger begeisternden Bowie-Sachen" anpriesen. "Bowie sei das Chamäleon der Kulturproduktion; deswegen sei das, was langweilig sei, wichtig und interessant." So einer (mindestens einer!) fand sich offenbar Anfang bis Ende der 80er Jahre in jeder mittelgroßen westdeutschen Stadt an jedem Gymnasium. (Man verachtete diesen Typ durchaus nicht genauso wie die Genesis-Fans, aber hielt dennoch auf Abstand.) Ich habe das später dann, während des Studiums, noch öfter erlebt, dass für die Bedeutsamkeit eines Werks auch die Langweile, die es mir verursachte, als Beweis herhalten sollte. (Wenn ich darüber nachdenke, bin ich fast ein wenig stolz darauf, dass ich nicht rachsüchtig den Umkehrschluss gezogen habe: Alles "Bedeutsame" ist langweilig!)

David Bowie also hat zu seinem 66. Geburtstag dem Publikum ein Geschenk gemacht und nach 10 Jahren "Pause" eine neue Single herausgebracht. Ich habe sie erst heute früh gehört, weil ich gestern fast gar nicht im Netz war und vor allem nicht auf Twitter (wo die Nachricht offenbar hoch und runter gehypt wurde) Und siehe da: Ich finde den Song - wider Erwarten? - großartig:



Dienstag, 8. Mai 2012

BIT BLUESY (Zur Erinnerung an Grant McLennan)



Grant McLennan starb am 6. Mai 2006 in Brisbane. Ihm und Robert Forster, die die Songs für die Band "The Go-Betweens" schrieben, ist mein Blog-Roman "Melusine featuring Armgard" u.a. gewidmet. Lindy Morrison spielte Schlagzeug und Amanda Brown Geige und mehr.

Spring Hill Fair (1984) war die erste LP der Go Betweens, die ich bewusst wahrnahm. Das war das Jahr, indem ich begann zu studieren. Unkind and unwise war der Song, den ich am meisten mochte. Der Titel drückte aus, wie ich mich fühlte (dachte ich damals. Alle anderen fanden mich "sehr freundlich") Spring Rain und Head full of steam von der LP "Liberty Belle and the Black Diamond Express" waren meine nächsten Favoriten. Während Robert Forsters lines and tracks immer etwas Düsteres, manchmal fast Sarkastisches hatten, und er auch äußerlich die Rolle des Dandys ausfüllte, der die Welt mindestens so arrogant scannte wie Morrissey von "The Smith", wirkte Grant McLennan wie der nette Junge vom Land, aber seine Texte waren keineswegs naiv, sondern füllten die Lücke, den Riss in allem und durch alles, mit Melancholie und Heiterkeit, die sich bei ihm keineswegs widersprachen. Right here aus dem Album "Tallulah" (1987) ist eines meiner All-Time-Lieblingslieder und - "irgendwie" - auch "mein" Liebesleidlied überhaupt. 16 Lovers Lane (1988) enthält so viele Lieblingssongs, dass ich sie hier nicht aufzählen kann.

Die Go-Betweens trennten sich 1989; ich schloss mein Studium ab, das Land, das ich bewohnt und nicht geliebt hatte, hörte auf zu existieren und im Rückblick empfand ich eine perverse Nostalgie, fast so als hätte ich es doch geliebt, dieses Provisorium aus Verantwortungslosigkeit und Wohlstandsvöllerei, Badewannen voll Dosen-Bier, Liege-Feten zwischen Chips-Krümeln, Collagen-Kunst und Hegelianern, die sich im Morgengrauen schwermütig und kaltblütig zur Lektüre versammelten. Ich kniff die Arschbacken zusammen, wurde erwachsen, verdiente Geld, lernte Immobilien-Haie und Finanzmakler kennen und merkte trotzdem nicht, wie und warum die Eisdielen in Erfurt in die Hände der Camorra fielen. Ein Weimarer Restaurator schwärmte mir von neuen Zeiten vor, in denen wir "Westler" noch staunen würden, was im Osten möglich wäre. Ich war schon zu müde, um ihm zu widersprechen. Die Abwesenheit der Go-Betweens blieb ein Teil des Phantom-Schmerzes, den ich mit Anschaffungen und Zukunftsplänen betäubte.

2000 kam es zur Re-Union der beiden Song-Schreiber. "The Friends of Rachel Worth" erschien. Da wurde mein Lieblingslied When she sang about Angels, das auch einen ganzen Erzählstrang in "Melusine featuring Armgard" inspiriert hat (ANGEL. Everybody said that she´s good in bed). Heute liebe ich besonders Magic in here, wie dieser Beitrag zeigt: I don´t want to change a thing when it´s magic. 2005 erschien "Oceans Apart" und etwas begann sich zu regen. Das Lied He lives my life setzte Wellenbewegungen in Gang. Es vergingen aber noch Jahre, musste noch einmal Fontane gelesen werden und erstmalig der See, der Stechlin besucht, ein Dunkler Ritter aus der Unterwelt (Down under) kennengelernt und ein Schriftsteller (wieder-)gefunden werden (siehe: Credits) bis diese Schwingungen ins Schreiben mündeten. Ein Delta, kein steter Strom. 

Deshalb gibt es Gleisbauarbeiten. Ein schwacher Versuch, das Ursache-Wirkungs-Schema zu bedienen. Auch andere Rinnsale führten hierher. Andere Erzählungen. Auto.Logik.Lüge.Libido. und der Zugverkehr. Es gibt viel Grund froh zu sein, zornig, dankbar und traurig. 

Ich hätte gern noch mehr gehört von ihm, von Grant McLennan, dessen Stimme ich vermisse. "Bit bluesy..."





Dienstag, 10. April 2012

OSTER-Nachlese (Let´s pretend we´re bunny rabbits)

Ein Beitrag von BenHuRum



Let's pretend we're bunny rabbits 
Let´s do it all day long,

Let Abbots, Babbitts and Cabots 
Say Mother Nature's wrong
And when we've had a couple'a'beers 
We'll put on bunny suits 
I long to nibble your ears 
And do as bunnies do 

(The Magnetic Fields)


Samstag, 14. Januar 2012

Hör-Tipp zum Wochenende: HAN-AMIS "OH EIN OMM...."


Hörprobe: Hasentaten
Zum kompletten Album: Oh ein Omm
Videos auf Youtube



Han-Ami schafft phantastische Klangwelten: Fremd, beängstigend, dicht, wuchtig manchmal und manchmal zart. Man wird STUTZIG, wenn sich der AMTS-HASS regt, ein URALEFFEKT stellt sich ein  beim LAUSCHGEMAUSCHEL und es macht: BLIPBLOP.

Mehr HASENTATEN, wünscht man sich, auf der KATZENAUE. Ob das GRÜNZEUG sich gegen EISUNDSCHNEE behaupten kann? Alles kommt auf den SACHVERBAND an. Und dann: OH EIN OMM...

Hört mal rein! Wenn die Neubauten stürzen, entstehen frische Klangwelten. Free Jazz meets Elektro-Experimentalmusik. 

Mittwoch, 1. Juni 2011

BABEL REVISITED: I have not sold myself to God

Here she comes / walking down the street / here she comes...

She was in a very bad condition. Es täte ihr leid, sagte sie. Immer wieder. Noch nie sei ihr das passiert. Mit fast keiner Stimme hustete und krächzte sie sich durch das Programm gestern Abend. Großartig, trotzdem. Die erkältete Patti Smith, die sich vom Publikum erwärmen lässt, vermute ich dann heute morgen, als ich im Netz, die Kritik ihrer Wiener Show vom Montag lese, ist Programm: Die „große, alte Aufsässige“ lässt sich nicht unterkriegen; spielt sie das so kalkuliert? Glaube ich nicht. Und: Ihre (kaputte?) Stimme, ihr Hauchen, Stöhnen, Gurgeln drückt immer noch mehr aus als das gewaltig-vorhersehbare Röhren der meisten anderen Rockladies. Sie seufzt, flüstert, wispert, schreit, singt hart, zart, verraucht von allem, was zählt: Liebe, Hoffnung, Leid, Zorn, Schmerz, Widerstand.

Zum ersten Mal begegnete sie mir im Frühsommer 1982 (sweet seventeen) auf einer Zugfahrt nach München. Der schöne Georg las mir aus „Babel“ vor. Mit tiefer Stimme, in fast akzentfreien  amerikanischen Englisch. Auch sonst hatte er alles, um mich verliebt zu machen: groß, blauäugig, intellektuell überlegen, poetisch. Er hatte mich gefragt, ob ich mit ihm nach München fahren wolle. Er habe eine Freundin dort, deren Wohnung könnten wir haben für die paar Tage. In der Türkenstraße. So wie er „Türkenstraße“ betonte, begriff ich, dass dies eine besonders exklusive Lage sein musste. Nähe Englischer Garten und Universität. Also? Na gut. Ich fuhr durchaus in der Absicht mit, mich zu verlieben. Es wurde aber nichts draus. Stattdessen verguckte ich mich in einen Feuerschlucker namens Enrico, der im Englischen Garten auftrat. Aber das ist eine andere Geschichte.

Pissing in a river, watching it rise
Tattoo fingers shy away from me
Voices voices mesmerize
Voices voices beckoning sea
Come come come come back come back
Come back come back come back

Patti Smith blieb mir erhalten. Ich hatte immer mit Männern zu tun, die sie verehrten. Noch letztes Jahr schrieb mir Electric Slim: Wenn ich einen Menschen verehre, dann sie. Auch Morel wollte sich die Chance, sie live in Frankfurt zu sehen, nicht entgehen lassen. Es hat sich gelohnt. Großartige Band (Lenny Kaye, mit dem sie seit über 30 Jahren zusammen musiziert!) Und sie tanzt, spricht, singt mit ihrem ganzen Körper, fliegende Finger, schwingende Hüften, Gleiten, Stampfen, Streicheln. Sie kann das. Sie fesselt. Bannt das Vergangene. Wer wir waren. Wie wir wurden. Andererseits: Keine Nostalgie. Es geht immer wieder los: „Baby was a black sheep/ Baby was a whore / Baby got big and baby get bigger / Baby geht something / Baby get more. /Baby, baby was a rock and roll nigger.


Babelogue

"I haven't fucked much with the past, but I've fucked plenty with the future. Over the skin of silk are scars from the splinters of stations and walls I've caressed. A stage is like each bolt of wood, like a log of Helen, is my pleasure. I would measure the success of a night by the way by the way by the amount of piss and seed I could exude over the columns that nestled the P.A. Some nights I'd surprise everybody by skipping off with a skirt of green net sewed over with flat metallic circles which dazzled and flashed. The lights were violet and white. I had an ornamental veil, but I couldn't bear to use it. When my hair was cropped, I craved covering, but now my hair itself is a veil, and the scalp inside is a scalp of a crazy and sleepy Comanche lies beneath this netting of the skin. I wake up. I am lying peacefully I am lying peacefully and my knees are open to the sun. I desire him, and he is absolutely ready to seize me. In heart I am a Moslem; in heart I am an American; in heart I am Moslem, in heart I'm an American artist, and I have no guilt. I seek pleasure. I seek the nerves under your skin. The narrow archway; the layers; the scroll of ancient lettuce. We worship the flaw, the belly, the belly, the mole on the belly of an exquisite whore. He spared the child and spoiled the rod. I have not sold myself to God." 


(Übrigens: Sie hat mich angesteckt: Ich huste, die Nase läuft, der Kopf brummt.)