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Montag, 20. Juli 2020

Ein Strandleben ohne Strandkorb ist möglich, aber sinnlos. Zurück aus der Sommerfrische

Wieder zurück aus der Sommerfrische!



Nirgendwo könnte ich mich besser erholen als in "unserer" Gartenlaube in Kühlungsborn/Arendsee, bei den täglichen Spaziergängen am Strand und der Lektüre langer Texte im Strandkorb. Manchen ist es zu kalt an Nord- oder Ostsee. Gut, dass die nächstes Jahr hoffentlich wieder sonstwohin fahren/fliegen können, wo sie in der Sonne braten sollen. Ich dagegen liebe es, wenn die Temperaturen nicht über 25 Grad steigen, ein Bad im Meer keinem Badewannengefühl entspricht, sondern wirklich erfrischend ist und ringsum kein mediterraner Lärm tobt, sondern diese norddeutsche Unterkühltheit, für die Distanz kein neues Muss der Corona-Zeit ist, sondern selbstverständlich. Am Strand war es - anders als in der Presse behauptet - nicht überfüllt; Abstand wurde gewahrt; Müll ordentlich entsorgt und Familien wirkten nicht dysfunktional, sondern zugewandt und entspannt. Normies (vulgo: Spießer) on tour. Genau die Umgebung, in der ich mich wohl fühle, 

Aus dem heimatlichen Hessen-Land erreichten uns dagegen beunruhigende Nachrichten. Underperformer Beuth, hiesiger Innenminister, musste endlich eingestehen, was Insider längst wissen: Die hessische Polizei hat ein Rechtsextremismus-Problem. Eine gute Regierung, ein guter Innenminister hätte längst aufgeräumt, auch um diejenigen Polizistinnen und Polizisten zu schützen, die durch diese miesen und kriminellen "Kolleg_innen" gefährdet sind, nicht nur bezogen auf das Image. In einem Mafia-Milieu können anständige Menschen nämlich nicht anständig arbeiten. Stattdessen versuchte Beuth erneut, die Präsidentin des LKA, Sabine Thurau, zu mobben. Der Fisch stinkt vom Kopf her: Die hessische CDU und deren Ministerpräsident Bouffier geben sich - zusammen mit ihrem Koalitionspartner Bündnis90/Die Grünen - ein moderates Image. Gebrochen mit dem rechtsnationalen "Flügel" in den eigenen Reihen, vom ehemaligen Ministerpräsidenten Roland Koch ("Wo kann man gegen die Ausländer unterschreiben?"-Wahlkampf 1998/99) über Martin Hohmann (jetzt AfD) bis zum jetzigen MdB Hans-Jürgen Irmer, haben sie nie. Bouffier hat da immer mitgemischt. Seine CDU ist die CDU der Steuerfahnder-Affäre wie der Thurau-Affäre, der Vertuschung rund um den Verfassungsschutzmann Temme im Zuge der NSU-Ermittlungen etc.ppp. geblieben. Und die Bündnis-Grünen haben drüber weggesehen. Rechtsstaatlichkeit schien weniger wichtig als ein wenig Umweltschutz hier und da. (Dieses Tauschsystem befürworten ja nicht wenige: Für "die gute Sache" muss man über den Rechtsbruch manchesmal hinwegsehen, Ende Gelände, gelle? Nur das dem einen oder der anderen die Sache der hessischen Grünen halt noch längst nicht "gut genug" ist.)

Und auf dem Frankfurter Opernplatz haben zunächst "friedlich Feiernde" am letzten Wochenende überraschenderweise (Scherz beiseite!) trotz eifrig aufgestellter Mülltonnen und Pissoirs gründlich Randale gemacht und Polizistinnen und Polizisten unter Gejohle angegriffen. Letztlich interessiert´s mich in meiner privilegierten Position einen Scheißdreck, was für sozioökonomische Faktoren zu dieser Brutalisierung und Vandalisierung beitragen mögen. Ich erkenne messerscharf: Ein Ausgangsverbot für Jungmänner (17-25 Jahre) ohne weibliche Begleitung plus Alkoholkonsumverbot im öffentlichen Raum löste das Problem wahrscheinlich umgehend. Es ist eben wie vor den Discos - man kann noch so viel über die Einlasskontrollen meckern: Wenn zu viele unbegleitete junge Männer in Gruppen eingelassen werden, gibt's Stunk. Wie überall, wo zu viele unbegleitete junge Männer sich rumtreiben. Alle Frauen wissen das, aus Erfahrung. Jetzt müsste man nur noch Verordnungen daraus ableiten. (Na, das gäbe ein Geschrei!)

Mir geht's gold. Nicht noch, sondern echt. Letztes Jahr habe ich Walter Kempowski gelesen in der Sommerfrische, dieses Jahr Hilary Mantels letzten Band der Trilogie über Thomas Cromwell "The mirror and the light" und Kurzgeschichten von Maeve Brennan sowie eine Biographie über sie. Darüber schreibe ich vielleicht noch. 

Als "Mama" bin ich jetzt offiziell im Ruhestand (oder darf es mir mal kurz einbilden) und super stolz. Die Söhne haben ihre Ausbildungen abgeschlossen. In diesem Blog spielten sie lange als "Amazing" und "Mastermind" mit. Seit sie nicht mehr bei uns wohnen, habe ich sie seltener erwähnt. Sie sind jetzt 26 bzw. 24 Jahre alt. Als ich begann im Blog zu schreiben, waren sie 16 und 14. Der "Amazing" hat sein 2. Staatsexamen in Jura bestanden ("mit Prädikat" - der Zusatz muss sein, weil das in Jura sozusagen der Goldstandard ist). Zukünftig sorgt er dafür, dass alle brav Steuern zahlen. Der "Mastermind" ist jetzt Master of Science in Psychologie und tritt im Herbst eine Stelle an der Universität Wien an. 

Es bleibt spannend. 


Donnerstag, 28. Juni 2018

APOLOGIE DER NORMIES. Geschichte (und Lebbe) geht weiter!



Der Strand in Kühlungsborn leerte sich gestern um halb vier; offensichtlich war die Anziehungskraft des nationalen Männerfussballteams doch immer noch stark. Ich will das nicht kritisieren. Jede Gesellschaft braucht einigende Rituale. Wer das zu leugnen versucht oder gar bekämpft, grenzt auf dümmliche Weise Mehrheiten aus seiner Rechthaber-Minderheit aus, leider nicht einmal folgenlos. Denn Ermahnungen gegen fahnenseligen Überschwang, wie von Claudia Roth vorgebracht, erzeugen jenen bösen Trotz, der letztlich den vielerseits konstatierten und beklagten Rechtsruck verstärkt. (Ja, psst, ich kenne Eure Einwände gegen diese Deutung, Eure traurige Gewissheit, dass all diese Familienväter im Deutschlandtrikot, die ihre Töchter auf den Schultern zum Public Viewing tragen, ohnehin menschenfeindliche Faschisten sind, gegen die Ihr unverdrossen Euren heroischen Widerstand leistet, umzingelt in jenem Feindesland, das Ihr herabwürdigend ´Schland nennt, an dessen Institutionen, Rechtssysteme und Staatsvertreter sich aber seltsamer Weise stets alle Eure Forderungen und Klagen richten, aber ich, eben, teile diese Sicht nicht, keineswegs, sondern erachte sie als spiegelbildlich menschenfeindlich zu jenem von rechts gepflegten Rassismus, sorry, Leute!)

Mir allerdings ist der Männerfussball in den letzten Jahren egal geworden. Dabei habe ich das Spiel einmal geliebt. Aber Fifa, Uefa, DFB, Hooligans und öffentlich-rechtliches mediales Getöse haben in den letzten Jahren einfach so arg überzogen, dass mir der Spaß daran vergangen ist. Nur noch aus der Distanz verfolge ich das Geschehen und stelle mir die Frage, ob es jene von verschiedenen (männlichen, linksintellektuellen) Publizisten immer wieder beschworene Verbindung zwischen nationalem Fußball und nationaler Politik doch "irgendwie" (50 Cent in die Kaffeekasse) gibt: Werden Jogi Löw und Angela Merkel gleichzeitig stürzen?

Lustig für mich ist es zu sehen, wie in meiner Timeline die unverbrüchlichsten Linken sich wie eine Eins hinter Merkel, der Kanzlerin der "marktgerechten Demokratie", versammeln und sich kaum etwas sehnlicher wünschen als eine Fortsetzung von deren asymmetrischen Demobilisation. Mangels eines revolutionären Subjekts erscheint auch dem eingefleischtesten Marxisten offenbar die Einschläferung der Massen noch als das probateste Mittel. Leider verderben sie dann regelmäßig den Effekt, den ihre Protagonistin zu erzielen versucht, durch jene maximal zweieinhalb Tage dauernden Empörungsexzesse, während derer sie Dreiviertel der Bevölkerung bzw. deren politische Vertreter zu Rechtsextremisten erklären und "Wehret den Anfängen!" rufen.  Dabei verkennen sie auf dramatische Weise, dass gerade falls ihre Diagnose stimmt (nämlich dass wir berechtigte Angst vor einer Machtübernahme von Rechts haben müssen, mit allen Folgen für den - leider auch von linker Seite immer wieder geschmähten - demokratischen Rechtsstaat), Bündnisse gegen Rechts von Nöten sind, die auch liberale und konservative Demokratinnen und Demokraten mit einschließen. 

Wer ernsthaft glaubt, dass fast alle anderen (europaweit) faschistisch und/oder rassistisch sind, dem bleibt ja letztlich nur, die Koffer zu packen (offen indes die Frage nach dem Reiseziel). Alle anderen müssen Strategien entwickeln, um verfestigte Rechtsradikale auszugrenzen, ohne zugleich alle jene, die möglicherweise eine andere Migrationspolitik wollen als man selbst oder kulturelle Andersartigkeit nicht per se als Bereicherung, sondern auch als Stressfaktor erfahren, zu diesen in die Ecke zu drängen. Es zeugt nämlich nicht unbedingt von überlegener Moralität und Humanität sich für im Mittelmeer in Seenot Geratene als zwingend zuständig zu erklären, während man die in Not Lebenden jenseits des Äquators oder im Jemen zumindest weniger vehement als die "seinen" reklamiert. Wer "sichere Fluchtwege" nicht nur fordern, sondern ermöglichen will, wird erklären müssen, für wen sie eröffnet werden sollen und damit zugleich, für wen nicht, denn jenseits der Frage nach Geldreserven gibt es begrenzte Transportressourcen, Versorgungs- und Integrationskapazitäten, die nicht einfach kurzfristig dazu "gekauft" werden können, weil sie schlicht derzeit nicht vorhanden sind (Flugzeuge, Boote, Lehrerinnen und Lehrer, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, angemessene Unterkünfte etc.pp.) Das Asylrecht kann keine gute und humane Einwanderungspolitik ersetzen, die schmerzhafte Entscheidungen verlangt, statt des schlichten "Open your borders, Europe". 

Ich habe hohen Respekt vor all jenen, die mitwirken, damit die Integration von Eingewanderten gelingt, vor jenen, die Verantwortung für Minderjährige übernehmen, die Arbeitsplätze bereitstellen und Menschen zu Ausbildung und Schulabschlüssen verhelfen. Weniger Respekt habe ich dagegen vor jenen überheblichen Moralist_innen, die stets Forderungen erheben, sich selbst aber bestenfalls kurzfristig bei angenehmen Events wie interkulturellen Festen oder gemeinsamem Kochen (mit handverlesenen, überdurchschnittlich gebildeten Zugewanderten, meistens überproportional vielen Frauen) blicken lassen, aber sich den täglichen Schwierigkeiten beim Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen und Gewohnheiten gern hurtig entziehen. Dass ein übergroßer Prozentsatz der Zugewanderten junge Männer sind, erschwert nicht nur die Integration hierzulande, sondern erzeugt bei mir zusätzlich erhebliche Zweifel daran, ob die gegenwärtige Form der Organisation bzw. Nicht-Organisation von Zuwanderung tatsächlich geeignet ist, den Bedürftigsten und Gefährdesten zu helfen. Gleichzeitig macht es mich wahnsinnig wütend, in meinem unmittelbaren Umfeld zu erleben, wie wenig von staatlicher Seite Integrationsleistungen von Zugewanderten anerkannt und honoriert werden (in dem Fall, auf den ich anspiele, geht es um eine junge Frau und deren Familie aus Afghanistan, die alle berufstätig sind oder mit großen Erfolgsaussichten weiterführende Schulen besuchen und dennoch keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung erhalten). 

Hier an der Ostsee in Kühlungsborn nahmen die Trikotträger und Fahnenschwenker das Ausscheiden der deutschen Mannschaft achselzuckend hin. "Die Leistung" hat eben nicht gestimmt. Die hier das Bild prägenden "biodeutschen Normalos", die Familien mit Kleinkindern, die älteren Paare in der Sommerfrische reagierten überwiegend kühl und abgeklärt. Das Wetter ist herrlich sommerlich, der Strand bleibt sauber, denn Müll wird wie selbstverständlich von allen in Mülltonnen entsorgt. Man trägt keine Ghettoblaster spazieren, um die Nachbarschaft zu beschallen und fährt keine tiefer gelegten Autos, mit denen man geräuschvoll durchstartet. Es wird nicht leidenschaftlich herumgebrüllt oder hemmungslos gegrillt und aus Aludosen gesoffen. Es ist, trotz gut gefüllter Promenade, recht still und beschaulich. Menschen mit Behinderung sind hier überdurchschnittlich sichtbar, weil ihnen Raum geschaffen und gelassen wird, beinahe beiläufig. Wer wie ich alltags im großstädtischen Rhein-Main-Gebiet lebt, erfährt diese hier, aber dort eben nicht, selbstverständliche Rücksichtnahme und vorsorgliche Distanziertheit gegenüber den Mitmenschen als ungeheuer stressmindernd und entlastend. Ist es ganz unwahrscheinlich, dass dieses Verhalten und diese Wahrnehmung auch mit der relativ hohen Homogenität des hiesigen Publikums zusammenhängt?

Diversität ist anstrengend. Vielfalt kann schrecklich nerven. Es geht aber kein Weg dran vorbei. Der Slogan der US-amerikanischen Faschisten "Kill all Normies" sollte daher nachdenklich stimmen: Der erklärte Hass von Rechten (wie einigen Linken) gilt eben vor allem der "Normalität", der relativen Zufriedenheit derjenigen, die Verantwortung übernehmen, ihr Können und Wissen in Dienst stellen. Breivik und Amri töteten bewusst solche Menschen, "Normies" eben.

Ein Ansatz, der solche Menschen unter Generalverdacht stellt, wenn oder weil sie "privilegiert" sind oder scheinen (z.B. weiß oder männlich sind) liefert diesem Hass Nahrung. Es ist nämlich kein Zufall, dass die Anführer der rechten Bewegungen so über die Maßen unattraktive, weiße Männer sind - klein oder dicklich, monströse Frisuren und häßliche Schnauzbärte, sich überschlagende Stimmen, schwacher Intellekt, mäßiger Wortschatz, fragwürdige Bildung (Putin, Orban Trump, Erdogan). "Normale" Menschen, die sich ihrer Schwächen bewusst sind und ihre Stärken verantwortlich nutzen, können die Leistungen anderer anerkennen, weil sie ihre eigenen richtig einschätzen. Der radikale Populist dagegen bedient das Ressentiment der Minderleister, die sich wenig anstrengen und immer Schuldige dafür suchen, wenn sie etwas nicht umsonst (also: bloß wegen ihrer Männlichkeit, Weißheit, Gläubigkeit oder so) kriegen. Die schätzen an ihren "neuen" Führern gerade, dass diese eben solche desinteressierten und unsympathischen Deppen sind, wie sie selbst, bloß mächtig und/oder reich. 

Ich glaube, dass es ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen diese antisozialen, rücksichtslosen, selbstgerechten Verweigerer von Leistung und Dienstbarkeit, Verantwortung und Disziplin geben muss. Eine Linke, die solche Begriffe immer nur bekämpft, stellt sich gegen jene "normalen" Menschen, die sich mühen, gute Mütter und Väter zu sein, Kaputtes zu Reparieren, ein Zuhause zu schaffen, Heimat für viele zu gestalten.  (Die SPD leidet bis heute verdient darunter, dass sie ihrer Stammwählerschaft mit den sogenannten Hartz-IV-Gesetzen genau jene Gleichgültigkeit gegenüber deren Anstrengungen demonstriert hat.) Denn es sind auch die, denen der Hass der Rechten (der Einheimischen wie der importierten Islamisten) gilt: Jene Menschen, für die Özil und Gündogan selbstverständlich deutsche Nationalspieler sind, die sich aber gerade deswegen über das Erdogan-Foto ärgern, jene, die sich über die Einladung zur Hochzeit ihres schwulen Neffen genauso freuen, wie über die zu derjenigen ihrer heterosexuellen Großnichte, die stolz sind, dass die aus Serbien stammenden Nachbarn ihnen genug vertrauen, um sie als Babysitter für die kleine Tochter einzusetzen, die lässig in der U-Bahn aufstehen, wenn der Schaffner sich rassistisch gegenüber einem Schwarzen verhält und ihn in den Senkel stellen, die sich zusammentun, um den Rollator der alten Frau mit Kopftuch aus dem Bus zu hieven - und die es dennoch oder gerade deswegen verunsichert, wenn Kriminelle scheinbar nicht abgeschoben werden können, wenn Menschen mit zig verschiedenen Identitäten bei verschiedensten Behörden registriert sind oder sie vor der Islamisten-Moschee um die Ecke vom Gehweg geschubst werden (meinem Vater so passiert in Frankfurt/Main). 

Es ist in einer sich selbst zur Elite ernennenden asozialen Geldmacher-Clique gelungen, den Leistungsbegriff von jedem Bezug auf gesellschaftliche Verantwortung zu entkleiden, ihn gleichzusetzen mit Erwerb und Vermögen. Teile der Linken sind darauf hereingefallen oder haben darauf hereinfallen wollen: Wer sich für sich selbst verantwortlich fühlt, wer soviel leistet, wie er/sie kann, wer sich kümmert und sorgt, der/die taugt ja nicht als Klientel fürsorglicher Paternalisierung. Was nicht gelungen ist, so glaube ich zumindest, ist der Mehrheit den Respekt für "echte" Leistungen abzugewöhnen: die "Normies" achten Menschen, die für andere Sorge tragen, Mütter, Väter, Großeltern, Freunde und Freundinnen, die einander helfen und sich kümmern, die Beziehungen pflegen und an ihnen festhalten, auch wenn es mal schwierig wird. Die "Normies" sind in diesem Sinne zutiefst konservativ und sie fühlen sich nicht zu Unrecht von einem politischen Establishment verraten, dem es nur noch darum zu gehen scheint, Interessenvertretung der Kapitalbesitzer oder (in geringerer Zahl) der tatsächlichen oder selbsterklärten "diskriminierten" Hilfeempfänger zu sein. 

Ob Merkel Löw folgt? Ich weiß es nicht. Ich habe sie lange Zeit für ihre Kaltschnäuzigkeit und ihren Machtwillen bewundert, für ihr pragmatisches Geschick, sich gegen männliche Machtmenschen durchzusetzen. Inzwischen entsetzt mich im Rückblick, wie sehr diese Politik die Fundamente der parlamentarischen Demokratie untergraben hat, indem politische Entscheidungen und Kehrtwenden nicht im Bundestag erstritten, sondern in Talkshows verkündet wurden. Merkel (und "wir", eine moralisierende, aber praktikable Lösungen verweigernde Linke, die sich nur noch um Minderheiten gesorgt, aber den "Normies" Verachtung gezeigt hat) haben unseren Anteil daran, dass die Rechte so erstarken konnte. So zumindest sehe ich es heute. 

Ich bin entspannt. Ganz gegen diese politische Diagnose. Der Sommerwind, die See, die Dominanz einer Normalität, von der mir durchaus bewusst ist, wie sehr sie auch Ausgrenzungen geschuldet ist und die mich dennoch für kurze Zeit so sehr entlastet, fühlen sich gut an, weich und gelassen. Das wird nicht vorhalten. Geschichte wird gemacht. Jetzt. Leider auch von uns, die wir uns aus ihr stehlen wollten.

Montag, 18. Juli 2016

Montagne St. Victoire für Arme. Und Weltläufe. Aus der Ferne.

Über den französischen Autobahnen der Schriftzug auf den Leuchtanzeigen:


Solidarité avec Nice!

und


Liberté! Egalité! Fraternité!


Ein Land im Schock, durch das wir gen Süden fahren. In Trauer. - Und im Bemühen, sich zu einigen. Nicht hinter dem Präsidenten, hinter der Macht. Sondern: Im Zentrum der Idee/n, die überhöht oder höhnisch die "des Westens" genannt werden. Ich bin kein Bruder und vermag nicht Brüderlichkeit zu teilen. Und trotzdem: der Trotz. Gegen den verdammten Gott der Verdammten, die Vorstellungswelt jener, die sich nur fühlen wollen und Sinn erfahren aus der Begegnung und dem tödlichen Gehorsam gegenüber jenem einen, eifersüchtigen, gewalttägigen GottGottGott, der eben gerade nicht groß ist (bzw. vorgestellt wird), sondern ein kleiner Schisser, der nicht lieben kann, sondern sich die Liebe erkaufen und erpressen muss wie ein widerlicher Dompteur: Gehorche oder verrecke. Dieser dumpfdumme Vollstrecker-Gott mit seinem vorsintflutlichen Regelwerk. Seinen Geboten und Verboten. Seinem Straf- und Belohnungssystem. Unversöhnlich bleib ich gegenüber diesem und seinen Gläubigen. Aber ohne Geschrei. (Schreien, sich gegen die Brust schlagen und in die Luft schießen erscheinen mir als Symbolsprache jener, denen der einzelne Mensch erst durch seinen Pseudo-Märtyrer-Tod wert wird, die den Tod ehren, statt das Leben). Denn (daran glaube ich): Er, der verfluchte GottGottGott liegt in den letzten Zügen.  Seine Protagonisten: Die Loser der Geschichte, des Lebens, der Lachens, der Liebe. Es eint sie nicht, dass "unsere" westlichen Gesellschaften sie nicht anerkannten, ihrer Feigheit und Denkfaulheit den Respekt versagten. Es eint sie eine widersinnige Ideologie und ein Versagen im täglichen Leben "ihren Mann zu stehen", zu zweifeln, zu lernen, zu verstehen, ihre Kinder zu versorgen, mit ihren Partner_innen in achtsamer Gemeinschaft zu leben, sich selbst zu disziplinieren und ihren Mitmenschen mit einem grundsätzlichen Wohlwollen zu begegnen. Narzissten, wie jede Epoche und noch die idealste Gesellschaft sie hervorbringen kann, stoßen, so sie dem islamistischen Milieu nahe oder offen stehen gegenwärtig auf Narrative, die ihr Unvermögen zu leben scheinhaft veredeln. Diese Erzählungen von Opferlämmern und ewig Betrogenen und Belogenen gilt es zu bekämpfen. Wahlweise mit Humor: "Was haben die Römer je für uns getan?"

Vauvenargues. Idylle totalitär
Verzögert am frühen Samstagmorgen im verschlafenen Saint-Amour in der Region Bresse (das berühmte Huhn) erfahren wir vom gescheiterten Putsch in der Türkei. Widersprüchliche Gefühle: Vom Militär als Machthaber ist nicht nur nichts Gutes, sondern in der Tat nur Schlechtes zu erwarten. Die überwältigende Mehrheit der Türken und Türkinnen lehnt den Putsch ab. Er wirkt dilettantisch. Schon wenig später steht der strahlende Sieger fest: Der sich und seine Herrschaft religiös begründende Erdogan. Dass Demokratie nicht die Diktatur einer Mehrheit ist, sondern einen Rechtsstaat voraussetzt, der die Grund- und Menschenrechte sichert, verstehen in der Türkei weder jene, die den gottesfürchtigen Präsidenten unterstützen, noch die meisten, die gegen ihn opponieren. Im Schatten der Sieger und der Besiegten bleibt jene Minderheit, die nicht auf den Straßen kreischt oder schießt, der der Gott der anderen so gleichgültig ist wie ihr die Menschenrechte heilig. Viele Türken und Türkinnen, die ich kenne (und - leider - verstehen sich auch viele, die in der BRD geboren sind, eher als solche, denn als Deutsche), geben sich sehr stolz auf ihr Land, auf das "Türkisch-Sein". Mir ist diese Art Stolz immer fremd geblieben. Heute denke ich, dass ich weinen müsste, wenn dieses Land mein Land wäre. Doch es ist fern, auch gefühlt.

Ferner noch als jenes fremde Frankreich, durch das wir uns von Stau zu Stau gen Süden winden. Die Sprache, die so schön klingt, verstehe ich kaum noch, obwohl ich täglich mit Duolingo übe :-). Saint-Amour wirkt, als habe es noch niemals Fremde gesehen. Nicht arm, aber abgeschieden. Gepflegte Tennisplätze inklusive. Die Bourgeosie isst gerne mit viel Sahne. Das ganze Dorf eine Filmkulisse. Und das stimmt, wie Google zeigt: In Saint Amour drehte Gerard Depardieu einst einen Kinofilm

Lavendelfelder unterhalb der Montagne St. Victoire
Weiter südlich, in der Provence, ist es staubtrocken, aber ein kühlendes Lüftchen weht allezeit, das die Hitze erträglicher werden lässt. Wir hören kaum noch Nachrichten. Vom Swimmingpool unseres Quartiers aus können wir einen Blick auf Cézannes Hausberg, die Montagne Sainte-Victoire erhaschen. Der Berg ruft. Von der Autobahn aus wirkte er einsam thronend, beinahe deplatziert in der Landschaft. Hier, aus der Nähe, ist er nur gelegentlich zu sehen. Wir wandern um das malerische Vauvernagues herum. Das imposante Schloßgebäude hatte sich einst Picasso gekauft, der in einem Brief dann großkotzig schrieb, er habe die Montagne St. Victoire erworben. Picasso blieb nur kurz, Cézanne dagegen war offensichtlich gebunden an diese Gegend. Der Berg rief und rief ein Leben lang. So scheint es. Wir sahen ihn am schönsten vom Damm der Talsperre am Lac du Bimont (Das ist nicht jene Talsperre ein paar Kilometer weiter, die der Vater von Cézannes Schulfreund Emile Zola bauen ließ, am heute sogenannten Lac de Zola).  Im Naturschutzpark St. Victoire entstanden, Ruckizucki, ein paar Bilder: Montagne St. Victoire für Arme. Morgen geht´s Originale von Cézanne gucken. In der Hauptstadt der "wahren" Provence, wie unser Gastgeber stolz verkündete: In Aix. 







Dienstag, 20. Oktober 2015

ALLES LÜGE. Liebrigg.







Reisen in den Mittelpunkt der Tristesselosigkeit. 




Wo alles, alles gut ist, weil nichts werden muss. 
Hier frisst keine Angst Seelen auf.



Gierig, sentimentale Herzen, Fleischklumpen unter der Brust, frassen ein jedes Seelengespinst längst ratzeputz. (Es gilt: Schmeckt nicht, gibt´s nicht!) 




Idylle totalitär. Ich nenne das: Arbeit am Mythos. 




Frieden in unserer Zeit. 



Den Mann, den ich liebe, ließe ich hierzulande nachts nicht allein auf die Straße. 



Deutsche Heilbäder, Anfang des 3. Jahrtausends. 




LIEBRIGG 

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Donnerstag, 6. August 2015

PRORA: Idylle totalitär - Die Furcht einflößende "Erinnerungsarbeit ohne Büßerhemd"

Schon einmal war ich hier. In PRORA, wo das "Dritte Reich" seine größte Bauruine hinterlassen hat. Und sah mir diese "Ausstellung" an. Jünger und offenbar nachsichtiger. Nahm es damals mit Humor. Das gelingt mir dieses Mal nicht. Vielleicht ist das "Museum KulturKunststatt" aber in den letzten 10 Jahren auch schlimmer geworden: voller, bunter, plastischer. Zu befürchten ist, dass die Gentrifizierung hier zu spät kommt. Weil das aus Volkes Mitte kommt und Volkes Mitte sich hier wohl fühlt. Das wird sich halten sogar gegen den Zugriff des Kapitals und der Latte Macchiato-Fraktion. 



Ich lerne neue Wörter hier, immerhin: Altersruhestandsaufgabe. Computer-Panzer-Schieß-Simulatoren-Anlage. Mehrbahnen-Schiessanlage. Und dass eine verarmte indische Fischerfamilie 10 € pro Monat kostet. Das ist sicher gut gemeint. Man pflegt auch unter dem Titel "Museum Freundschaften" die Kontakte nach Schweden (Königsfamilie, Kürassier-Regimenter), Polen (Danzig bleibt Danzig) und ins Burgenland (Heurigenstuben). Es gibt "Zeitfenster", DDR-Schreibmaschinensammlungen, Reichsnähmaschinen, DDR-Motorradwelt, KdF (KraftdurchFreude)-Museum, NVA-Museum, ein "Wiener Kaffeehaus", den Panoramasaal Silberreiher, Modell-Anlagen, Power Point-Vorträge (im Jubiläumsjahr gratis), Kamera-Raritäten, Sonderausstellungen (Kinderzeichnungen), rügentypische Objekte, Schnitzwerk, Silbermünzen und vieles, vieles, vieles mehr. KulturKunststatt PRORA nennt sich das. All in one (Sprachpuristen sind sie nicht.). "6-Stock-Treppenhaus-Erlebnis." 

Nachgebauter NVA-Schießstand mit Stoffblumendekoration

5000qm. Für die, wie gesagt, mein Humor nicht mehr reicht. Am Info-Point liegt ein Buch über "die Frauen" aus, dessen Klappentext darüber aufklärt, dass sich der Mensch seit Jahrtausenden über sie den Kopf zerbreche. "Historiker und Heraldiker", wird auf Tafeln stolz in jedem Stockwerk verkündet, hätten der "Erinnerungsarbeit ohne Büßerhemd", die hier geleistet werde, das "Privileg" zuerkannt: "Kulturgeschichtlich für den Rügen-Tourismus besonders wertvoll". Namen werden nicht genannt. Das kann, trotz aller Skepsis gegen die Zunft der Heraldiker und Historiker, nicht überraschen. 40 Fernsehteams drehten schon "bei uns, weil wir interessant sind". "Nicht glorifiziert, nicht negativ": weder Hitlers Kraft-durch-Freude-Weltbad, noch die Chemischen Dienste der NVA in Prora. Mehr geht nicht. Mehr passt nicht rein. Sammler-WUT schafft Idylle totalitär. Fahnen und Gewehre. Plastikblumensträuße in jedem Raum. "Herzhafter Mittagstisch." Historisch. Militärisch. Technisch. Naturwissenschaftlich. Hier ist zusammengewachsen, was zusammengehört. Das wird sich halten.

25 Jahre keine kommerzielle Verwendung für den Mammutbau haben das ermöglicht. Und das wütige Engagement des "kleines Mannes", der sich seine Vergangenheit nicht nehmen lassen will. Es waren immer irgendwie für manche auch gute Zeiten. Das darf gesagt werden. Das muss sogar gesagt werden. Aber im Kontext: Der Vernichtungskrieg im Osten. Die massenhafte Ermordung der europäischen Juden. Zwangsarbeiter auf Rügen. Die Aktion Rose. Die Fluchten über die Ostsee. Das, was fehlt. Mit Absicht. Denn: "Wir sind stolz." "Das war unser Leben." Das Leben der anderen. Immer schon ausgegrenzt. Abgehängt. Weggedrängt. Vernichtet. Der "kleine Mann" (und die "kleine Frau"? - Stoffblumen, Deko-Vorhänge und Streuselkuchen) fühlen sich so. Sie sind authentisch. Die verfolgende Unschuld. Der Wille zur Geschmacklosigkeit, vor dem man sich fürchten muss. Gäste-Bücher voller Lob. Besucher-Massen. Das wird sich halten.


Das neue Prora: "Einmalige Strandlage." "Rendite made in Germany"

Die Gentrifizierung hat 25 Jahre zu spät begonnen. Bau-Boom in Prora. Schicke Eigentumswohnungen mit AfA-Vorteil entstehen jetzt. Fast alle fertiggestellten schon verkauft. Prora boomt. Die Düne vor der Wohnzimmertüre. Industrial-Schick. Das läuft. "Besser", sagt der ältere Herr in Freizeitkleidung (West-Tonfall), "besser kann die Lage nicht sein." Seine Gattin nickt. Das Bad der Musterwohnung sagt zu. Vor der Fensterfront entstehen Swimmingpools als Gemeinschaftseigentum. Weniger Kraft durch Freude als Altersruhesitz oder Geldanlage für das betuchtere Achtel der "Massen". Linke und Rechte haben im 20. Jahrhundert versucht, die Massen zu kontrollieren: Einheitsunterkünfte, Einheitskultur, Einheitsdenken. Der Kapitalismus lockt mit der Wahl zwischen unterschiedlichen Lichtschaltergarnituren. Kommt er hier doch zu spät? 

Prora wird schick. Dazwischen heißt es auf 5000qm: WILLKOMMEN IN DER VERGANGENHEIT. Wo Gemütlichkeit und German Angst herrschen. Das wird sich halten. Fürchte ich. 


(Ahmen Sie unseren Fehler nicht nach, wenn Sie nach Prora kommen. Fördern sie die "Erinnerungsarbeit ohne Büßerhemd" nicht durch die Entrichtung von € 6,90 Eintrittsgeld! Radeln oder wandern sie weiter. Es gibt ein sehenswertes und reflektiert kuratiertes Dokumentationszentrum zu Prora "MACHT.Urlaub" nur wenige Meter weiter.)


Samstag, 2. Mai 2015

ANKUNFT (2): Brezelautomat und Dominas

In dieser Stadt, so lasse ich mir sagen, müsse die Dose immer dicht am Fuß gehalten werden. Noch bin ich nicht streetwise und hardcore. Meine Röcke wippen, mein Brunnen wispert, mein Märchen beginnt immer : "Es war einmal eine Rapunzel und schor sich das Haar raspelkurz..." Es gibt aber gar keine Märchen in Lack und Leder. Jedoch: Was lässt sich nicht sagen und schreiben? Beispielsweise: "Erzähl doch mal vom Brezelautomaten." (Schwör!)


Es war einmal ein Galanteriesattler, der hatte sieben Töchter, eine schöner als die andere. Die hob er, wenn ihre Röcke lang genug waren, hinauf auf die Ladenschilde und band ihnen die ledernen Riemchen an die Fesseln. So standen sie gülden und rötlich und braun und schwarz und gescheckt und warben für sein Geschäft.


Um die Ecke dort wohnen heutzutage Darth Vader und seine Kumpel. Der Herbst-Kaiser lebt Parterre. Das scheint mir eine Allegorie auf das Handwerk, die Kunst und das Leben. Oben wird's derzeit düster und väterlich. Der Patriarch zieht die Treppe hinunter und richtet sich beschaulicher ein. Im Vorgarten werden derweil von Migrantengärtnern Palmenkübel aufgestellt. Die Gartenmöbel dazu wirken albern mediterran. Allerdings: Das Klima wandelt sich. (Schwör!)


Da kam ein Prinz geritten auf einem schäbigen Gaul vom Messegelände her. Die alte Mähre trug einen verschlissenen Sattel, doch der Prinz heroben machte eine stattliche Figur und warf seine dunkle Mähne verführerisch über die Schulter. Die Mädchenaugen zuckten und eine nach der anderen stiegen sie herab von ihren Schildern, um dem Gaul in die Zügel zu greifen und den Prinzen aus dem Sattel zu heben.


"Bitte haben Sie Geduld.", mahnt eine blecherne Stimme aus der Wand des Süpi-Discount- Supermarkts. Grad werden die Brezeln gebacken. Immer frisch und frank. Dann öffnet sich das Schiebetürchen. Sie fallen, scheinbar, voll automatisch und hygienisch in den Greifschlitz: eins, zwei, drei, vier. Nur wer sich traut, tritt hinter die Wand und sieht die Einheimischen als Niedriglöhner die Teigwaren in die Ofen schieben. (Schwör!)

Da stand er nun, schön, stumm und ohne Penunzen. Aber die sieben Weiber überschlugen sich geradezu. Eine nach der anderen eilten sie in die Werkstätte, grapschten die Peitschen, die vergoldeten Sättel, die ledernen Wamse und Augenmasken, die Mieder und Handschuhe. So standen sie zuletzt vor ihm, dem schüchternen Prinzen und seinem elenden Pferd: Sieben Dominas in der Lederstadt und öffneten lüstern ihre Münder. 


Den Rest kann ich nicht entziffern. Im Bahnhof wirbt ein Gott ohne Telefonnummer um Anrufe. Er weiß: "Gut, dass ich dich nicht sehe, wenn das Licht ausgeht." Alles wird aus Versatzstücken wahllos zusammengepfercht. Nur so entsteht Schönheit. Wer etwas anderes behauptet, lügt. Es kann die Kargheit sich nicht mehr attraktiv machen in unserer Zeit. 

Er stotterte, sie plapperten. Er zögerte, sie fassten zu. Halb zogen sie ihn, halb sank er hin. Als der Vater, der auf einem Kundengange gewesen war, zurückkam, war es längst um ihn geschehen. Nichts blieb dem Alten, als verzweifelt die geschundenen Gerberhände vors Gesicht zu schlagen. Den armen Prinzen hatten sie zwischen sich unter galanten Geschenken begraben, ach die ledrigen Luxusweiber. Als er sich nicht mehr rühren konnte, kletterten sie geschwind zurück auf ihre Schilde. Der alte Mann führte den klapprigen Hengst, der vor der Türe gewartet hatte, in seinen Stall und gewährte ihm fürderhin ein Gnadenbrot. 

Und wenn sie nicht gestorben sind, so lassen sie den Prinzen, der so dünne geworden ist wie seine Haartracht inzwischen, noch immer nach ihren Peitschen tanzen.

Die Gentrifizierung schreitet ungebrochen voran. Im Hafen wird wieder nach Gold geschürft.   Läuft doch. Happy End.(Schwör!)

Sonntag, 19. April 2015

INTRIGATIVE FESTE oder KEINE KONFLIKTE IN DER MODERNE

"Unter all den Lügen", sagte sie, "bricht etwas auf." Das erste Kichern unter der Haube. (Jetzt setzen die Kontexte ein: Motor oder Bändel?) "Intrigativ." Das war keine Verwechslung, kein Sprachfehler, keine Wortverdreherei. Eine Schöpfung. "Lass uns doch bitte noch mal darüber reden." Wie sehr er diesen Satz hasste. Schon die Fülle der Füllwörter wirkte, so empfand er es, entlarvend. Diese unwiderstehlichen Befehle im Bittstellerton, darin war sie groß. Er vermutete, dass Frauen ihres Milieus und Alters schon als Mädchen darauf getrimmt worden waren. Vielleicht war das ungerecht. Er redete Klartext, bildete er sich ein. In Wahrheit schützte er sich durch verbale Vorne-Verteidigung, besser als jeder Panzer.  (Die Rollen sind mal wieder geschlechterstereotyp verteilt. Ich kann es nicht ändern. Doch es wird sich ändern. Beim nächsten Paar.) Er schob das vegetarische Grillgut auf die Vorspeisenplatte.


Sie rutschte aus auf diesem aalglatten Parkett rücksichtslos belangloser Kommunikation mit hohem Anspruch, immer wieder, stolperte, nahm ernst, was nur gemeint war und lachte so, dass es nur als Auslachen verstanden werden konnte. Dabei hatte sie sehr gemocht werden wollen in dieser Runde: Schöne kreative, junge Menschen, die sich mit Fleiß verunstaltet hatten. Überlange schräge Ponys, schmuddelige Pullover, tiefsitzende Hosen über gerippter Unterwäsche, dicke Wollmützen bei 20 Grad im Schatten, neuerdings immer öfter auch Bärte wie Propheten, Boyfriend-Jeans über schlanksten Hüften, alle Berührungaufhänger vermieden. Körper mit Starpotential, wo sie hinsah, aber eingepfercht in die Seelen von Kaninchen in warmen Gehegen. Engagiert und wütend immerhin: das Unbegreifliche, die Toten im Mittelmeer,  diese Herzlosigkeit, die Kleinlichkeit der Kleinbürger und die eigenen Existenzängste, stinkende und lärmende Mitbewohner in Billigst-WGs, Einreisebestimmungen, Scheinehen und so. Alles wie gehabt. Palaver, Palaver, aber voll ernst, todtraurig, ganz zynisch oder total abgeklärt. Jung halt. Wie wir auch mal waren. Vor tausend Jahren. "Und die Bullen." Da wäre es ihr beinahe herausgerutscht: "Sind auch Menschen." Sie nahm noch einen Hähnchenflügel.

Dabei war es schön. Eingetaucht in den samtenen Sonnenschein eines überfrühen Frühfrühlingsabends. Hinterhofidyllen, rosa Wäsche auf der Leine, keine führt keinen am Band. Sie sind so frei, dass sie sich nicht binden können. Generation: "Kommt noch was Besseres?" Auch darüber werden Artikel geschrieben, die keine lesen braucht. Das ist ungerecht und alt. Zuckerschock in der rechten Backe. Diese moderne Welt ist scheinbar voll individualisiert und doch ganz nett. Selbst der Hipster hat eine Mama, die ihm zum Geburtstag Kuchen backt. Es gibt immer irgendwo eine alte Frau, die einen jungen Mann mag. Oder umgekehrt. Reine Mädchenaugen, märchenhaft umflort, erheben sich zu grauen Brauen. Wir haben viel weniger Generationenkonflikte als alle unsere Vorfahren. (Und: "Wer war schon im Krieg?") Er griff nach den Chipstüten im letzten Karton.

Alle Einschusslöcher übermalt. Tanz den Bären mit deinem heimlichen Bewegungdozenten. Zwei vor, eins zurück. Posiere auf einem Motorrad: Wer hat, der hat. Kinn vorgeschoben, Härte simuliert aus dem weichen Leben heraus. Nur Idioten sehnen sich nach mehr Einsamkeit, Schmerzen und Hass. Auch sie leben unter uns und frönen ihrer Leidenschaft. "Die Menschen sind voll die Arschlöcher", sagte zuletzt der Aktivist. Darauf noch ein Schlappeseppel. 

Nach Hause gehe ich durch den idyllisch beleuchteten Park. Die Turmuhr schlägt. Ich bilde mir ein, dass meine Röcke rauschen. Den zarten Beginn einer großen Liebe beobachtet, das hätte ich gern. Es ist eine Möglichkeit. Ein Kichern habe ich gehört, bevor die Tür zuschlug. Dann fielen sie über einander her. 

Auch wir waren einmal jung und gut.

Samstag, 30. August 2014

EUER GOTT KANN MICH MAL! (Blasphemie für Dummies)

"Die Gesetze Eures Gottes sind mir scheißegal." Wenn ich den Satz schriebe (hier schreibe ich ihn ja), dann wär´ aber was los, denk´ mir. Was allerdings nicht stimmt, sondern nur eine Wunschvorstellung von mir ist. Dass dann was los wäre, weil Hinz und Kunz und Karl und Ida das "Eures" gleich einmal holterdipolter, wie sonst nur Literaten, Künstlerinnen und andere Egozentriker und Narzisstinnen Ästhetizismus, Theoriegeschnack und Identitätsgeschwätz auf sich beziehen täten. Dazu allerdings müsst´ ich den Satz, wie jetzt den Text, also diesen hier, umformulieren: Genitiv raus (zuviel Schriftdeutsch) nämlich. So: "Euerm Gott seine Gesetze geh´n mir voll am Arsch vorbei." Da täte aber auch nix passieren, weil gottgläubige Gotteslästerer, die die Gesetze von ihrem Gott ganz genau kennen, verbreiten und durchsetzen wollen, dieses Blog nicht lesen (glaub´ich) oder gar kommentieren. 

Der Witz, den ich mir wunschträume, wäre aber eben, dass allerlei Ein-Gott-Gläubige aufträten, um die Wahrheit der wahren Religion, der sie anhängen, und die Gültigkeit der Gesetze von ihrem wohlverstandenen und artikulierten Gott (die Schrift, die Schrift!) zu verteidigen anträten. Obgleich nämlich ich mit meinem Satz (z.B. 2. Version) ganz unspezifisch geblieben wäre, wären die notwendig ganz sicher, dass es sich beim Gott und seinen scheißegalen Gesetzen exakt um keinen anderen als den ihren handeln könne. Und das hätte, täte, würde mir (dem kleinen ´ich´, das große macht bei so was Albernem natur- bzw. sachgemäß nie nicht mit) sehr gefallen. 

Ein billiger Rant. Zugegeben. Unterhalb vom Niveau jeder einschlägig bekannten und ernst zu nehmenden Theologie. Religionskritik für Dummies. Leicht gemacht am Samstagmittag. 

Trotzdem, noch mal: EUER Gott kann mich mal!

(Bezieh´ es auf sich und den seinen, wer will!)

Freitag, 8. August 2014

FROMME IDYLLEN oder DENK-PAUSE IN DER SÄKULAREN WERKSTATT ("Mehr Meer")

Ich mag Sommerregen. Ganz klischeehaft: Dancing in the rain. Manche Regengebiete dagegen legen sich düster übers Gemüt. Ihnen auszuweichen ist Selbstfürsorge. (Auch unter jenen männlichen Menschen, die haupt- und amtlich Philosophie betreiben/betrieben, also  Lebenszeit vor allem in Denk-, Lese- und Schreibzeit wandeln, ist die Fähigkeit genau dazu historisch wenig verbreitet gewesen. Man(n) stützte sich stattdessen traditionell auf Sklaven, Dienstboten und/oder verwandte und angeheiratete Frauen. Vor allem deshalb kann/konnte man(n) sich über die Menschheit, ihre Optionen und Begrenzungen, insbesondere die Bedeutung der Abhängigkeit, eine Menge Illusionen machen und nur aus einem sehr eingeschränkten Blickwinkel "urteilen". Es fällt bisweilen schwer, denen nicht selbst fälschlich verurteilend "den Prozess" zu machen. Denn immer wieder liest sie: Vielzitierte Namen weißer Männer. Ein sich selbstbestätigendes Karussell des Denkens, das Beweglichkeit nur suggeriert. Im deutschsprachigen Raum dürfte das Missverhältnis noch ein bisschen krasser sein, nicht nur in der gelehrten und gern belehrenden "Philo-Blogo-Sphäre" mit ihren sieben bis zehn deutsch-französischen Referenz-Denkern. Gelegentlich ziehen da und wie auch dort sehr trostlose Regengebiete auf. Ausweichen. Unterstellen.) Den Regen, den eine liebt, lässt sie sich gefallen. Sonst keinen (mehr). Ich trage oft einen gelben irischen Regenmantel, der aber im Sommer schwer wird und hitzig. Dann richte ich das Gesicht gen Himmel und nehme die Tropfen auf. Meistens jedoch stelle ich mich unter und lasse ihn vorüber gehen. 

Lese- und Denkabenteuer: Was Freiheit sei, Macht, Stärke und Gewalt, Gemeinschaft, Staat. Neubegründungen/Neubegehren im Vergleich. Die Grenzen des Auslaufmodells der Vertragsrechtstheorie von Hobbes bis Rawls aufgezeigt: Bei Shklar, Nussbaum, Muraro. Gemeinsamkeiten: Freiheit ohne Autonomie, die Bedürftigkeit des Menschen als Ausgangspunkt, der Wille zum Wählen statt zum Wissen. Differenzen: Gebürtigkeit als Voraussetzung, die Veränderung der  symbolische Ordnung, Rechtfertigungs- und Anschlussstrategien bzw. der Verzicht darauf. Vielleicht sollte ich auch noch mal bei Hannah Arendt reinschauen. Das klingt wie die Ankündigung eines spontanen Besuches. Mit Absicht. Inspiration statt Analyse. Was bedeutet es, etwas zu verstehen? Antworten anzuerkennen oder Fragen weiterzuspinnen

Es hört immer wieder auf. Zu regnen. Mir fehlt das Meer mehr. In diesem Jahr. Lesen. Schreiben. Was Freiheit sei, Macht, Stärke und Gewalt, Gemeinschaft, Staat. Wäsche waschen. Blumen gießen. Fersen pflastern.

Aartal
Drei Tage in der Nordeifel und im Aartal. Eine wesentlich misslungene, dreiteilige Ausstellung zu Karl dem Großen in Aachen, der es an einem durchgängigen didaktischen Konzept fehlt. Viele Exponate erschließen sich dem Laien ausschließlich durch den Audioguide, einzelne  gute Ausstellungsideen (Reisewege, Hofstaat) sind nicht durch einen "roten Faden" miteinander verbunden. Durch Offenlandschaften wandern bis die Fersen bluten (nicht bildlich). Überall Idylle totalitär, wundersam staubfrei. Aachen wurde schon im Winter 1944 von der US-amerikanischen Armee befreit. "Wusstest du das?" Auch die Briten rückten vor an den Rhein: Brückenköpfe des Liberalismus in pseudo-idealistische und postfaschistische Szenerien. Nach 60 Jahren immer noch restaurative Verletztheit allerorten. Strukturen, Ideologien und Ideale schlagen Menschen. Meistens tot.

Karl hingegen kannte kaum Landkarten. Wie stellte er sich sein wachsendes Reich vor? Eine Kette von Nahgebieten, Reisen von Fixpunkt zu Fixpunkt, alles horizontal, keine Draufschau. Er war immer unterwegs. Aber im Glauben fest. Fried behauptet, Karls Politik sei geprägt durch seine GottesFURCHT. Der König, der Gott auf Erden vertritt, angetrieben durch die Angst vor dem Urteil des HERRN im Jenseits. Dafür müssen Tausende Sachsen sterben. Die Heere und der hehre Glaube. Besser eine Seele retten als ein Leben. 

Jäger-Heil mit Häkelblume, Rursee
Eine Aussage, die ich nicht mehr hören, nicht mehr lesen kann: "Mit der Religion hat das nichts zu tun." Die Verbrechen der Krieger des "Islamischen Staates" haben selbstverständlich nichts mit dem Islam zu tun. Die Kreuzzüge der christlichen Fürsten im Mittelalter haben nichts mit dem Christentum zu tun. Dass sich manche Gläubige den Schlächtergott von Mose, der am Sinai 3000 "Ungläubige" hinrichten lässt, zum Vorbild nehmen, das hat nichts, gar nichts mit den abrahamitischen, auf einem exklusiven, eifersüchtigen Gott bestehenden Religionen zu tun, denn "unser" Gott ist gut und "unsere" Religion(en) friedfertig. Wer das nicht glaubt, verletzt die jeweils Gläubigen. Arg. Nicht körperlich, freilich, denn er haut ihnen ja nicht den Schädel ein oder schießt mit Raketen auf sie, das nicht, aber in ihrer Seele. Und: Siehe oben - Seelen sind wichtiger als Leben: "Mord als Gottesdienst".  "Der Fundamentalist" ist der Titel einer Erzählung aus der Reihe "Auto. Logik. Lüge. Libido", die schon länger in der Pipeline steckt und die ich - aus aktuellem Anlass - zur Zeit "überschreibe".

Iris hat eine Blog- und Twitterpause angekündigt. Schade. Ich hoffe, sie kommt bald zurück. Ich werde ihre Blogbeiträge sehr vermissen. 

Montag, 21. April 2014

(K)EINE AUFERSTEHUNG. Totalitär. Langweilig. Idyllisch. (Fragen)

Zurück vom Familienosterwochenende im Spessart sich durch Blogs und Internet-Gazetten lesend, stelle ich fest: Es ist mit eins und noch mal so, dass ich mich für Texte, in denen ein ´Ich´ davon berichtet oder erzählt, wie es "Frauen haben" oder eben nicht "haben" kann bzw. konnte, so oder andersrum (!), einfach nicht mehr interessiere, selbst wenn sie "gut geschrieben" (Anführungsstriche notwendig) sind. Für ´ne Menge Formulierungen und Ausdrücke und (selbst-)ironisches Gebläse reicht die Aufmerksamkeitsspanne einfach nicht mehr aus. ("Sie wird eben alt.") Weitergeklickt. 

Habe ich mich früher auch so schnell und so oft gelangweilt? 

Die Manöver: Ich nehme eigentlich immer weniger zur Kenntnis, mir zur Brust oder auf, was aus dieser Ecke (oder besser: Mitte, männlich, weiß) kommt: Wo zum Beispiel Männerfussball relevant ist oder Merkels "Führungsstil" zu zögerlich scheint oder weibliche Ärsche metaphernreich begutachtet und bewertet werden. Insbesondere dann nicht, wenn´s dergestalt mit intellektuellem Anstrich vorbeikommt: Und/oder angereichert mit den  Zitaten  altbekannter und altverdächtiger raunig-rauschiger Schmerbauchschieber im romantischen Sprachmodus (waldreich, wirkungsarm, wehr-mütig, aber immer mit Kapitalismus- und Konsumkritik gewürzt). Gähn! ("Wir empfehlen dringend: Einen Liquid-Sauna-Besuch.")

Manchmal fragt sie sich, wie es kam, das mittelalte Frauen, die gutes Geld verdienen, sich unter Druck setzen lassen, weil sie nicht ausführen können oder wollen, was in Billig-Pornos dargestellt und Flatrate-Bordellen von schlecht bezahlten Prostituierten angeboten wird? Oder wie es kam, dass der Porno-Look zum Leitbild für russische Oligarchen-Gattinnen wurde?

Ich bin stattdessen vollbeschäftigt. Mit Lektüren. Denkpausen. Kunstfiguren. Schreibakten. Einem Schreckenskabinett. Millimeterpapier. Planungsalternativen. Tauchgängen. Wanderführern. Neffenbespaßung. Einem Personalbogen.  Absackern. Und... 

Ein Jagdhaus steht am Grunde. ("Wie war das mit der wilden Jagd?" "Ich denke noch oft an Wildermuth.") Lesefehler im Wanderreich: Hasch-Quelle sprudelt sanft. Im Spessart war Siegfried aber gar nicht unterwegs. Märchen statt Sagen. Heißt: Hexenhäuschen statt Burgfriede. Wie mild die Bäche plätschern. Giftig ist die schöne Verwandte des Bärlauchs, das Maiglöckchen. ("Wir sahen´s nicht. Doch sein Geruch regt die Triebe an.") Und still liegt das Tal im Sonnenglanz. Totalitäre Idyllen, soweit das Auge schaut. 

Ostern 2014, Spessart

Unterdessen, aber: Quält mich noch immer die Frage, ob Maria blieb. Blieb die Mutter stehen unter dem Kreuz, an dem der gefolterte Sohn schrie und röchelte? Hob sie den Blick? Oder konnte sie es nicht ertragen? Und floh? (Wohin? Wohin kann eine Mutter fliehen, danach?) Es ist der Karfreitag, der das Ostergeheimnis birgt, nicht der Osterhasen-Sonntag, der so füllig leuchtet. ER ließ sich nicht mehr berühren, danach. Bedenkt das und hört auf mit dem Blendwerk und den beschwichtigenden Sprüchen! Wenn kein Oper mehr nötig ist, endet mit dem Tod auch das Leben. (Ich weiß gerade selbst nicht, was ich damit sagen will. Schreibe es dennoch hin.) Auch das Wort quält mich: Opfer. Ich will es beerdigen. Aber es steht immer wieder auf. 

Sonntag, 21. April 2013

DAS GUTE LEBEN IM APRIL (Oka, Kunst und Beute)

"That is Life. Just one long succession of misunderstanding and rash acts and what not.
 Absolutely!"

P.G. Wodehouse: A damsel in distress


"Wie du strahlst!", sagte die Kollegin, der ich am Freitagvormittag zufällig dreimal im Treppenhaus begegnete. Dafür, für mein Strahlen, gibt es, falls es stimmt, dass ich strahle, keinen bestimmten Grund. Außer dem einen, der alles entscheidet: Es ist endlich Frühling. Die Sonne bricht durch die Wolken. Der Himmel wird manchmal tatsächlich blau. Die Winterjacken und Stiefel können endlich in die hintersten Ecken des Schranks verbannt werden. Es ist trivial, meinetwegen, aber wahr: Eine geringfügige Temperaturerhöhung, ein wenig Sonne und ein paar Blüten schaffen es, meine Gemütsverfassung vollständig zu verwandeln. Was mich geärgert oder traurig gemacht hat, scheint mir plötzlich so belanglos und fern. Ein Winter, der sich auszudehnen schien in die Unendlichkeit (auf die ich eh keinen Wert lege, wo mich doch schon das endliche Leben genügend herausfordert) und der eine Dauererkältung mit sich brachte, die mich körperlich schlapp und geistig müde machte, hat doch schließlich weichen müssen. Missverständnisse und überstürzte Reaktion werden zweifellos fortgesetzt werden, auch im Sommer, aber alberne Auseinandersetzung mit Leuten, die halt Leute sind, glücklich vergessen. 

Eine alte Reihe setze ich heute fort, die ganz zu Anfang dies Blog prägte: "Wege durch meine Stadt". Zugleich mit dem Start von "Gleisbauarbeiten", dem Zweitblog ("Melusine featuring Armgard" war zuerst und bleibt es auch), begann ich ausgedehnte Spaziergänge durch die Stadt/die Städte, in denen ich arbeite und lebe, zu unternehmen und mit meiner Kamera gelegentlich zu fotografieren (ganz ohne "künstlerischen Anspruch" allerdings), was mir auffiel. So entstand diese Reihe, in der ich die Fotos mit Texten, eigenen und fremden, kombinierte. Lange ist kein neuer Beitrag zu "Wege durch meine Stadt" erschienen. Aber heute. Wegen gestern, nämlich:

Beute: Fly Spring
Das Klischee über Frauen und Schuhe ist ein Klischee, aber wie manche Klischees wird es gelegentlich, also in meinem Fall, bestätigt. Ich finde nie, dass ich genug Schuhe habe. Wenn ich mir ein Kleid kaufe, kann ich mir immer vorstellen, dass es ein paar perfekte Schuhe dazu gibt, die ich nur lang genug suchen müsste, um das Leben oder das Outfit vollkommen zu machen. Dass ich weniger Schuhe habe als Imelda Marcos, hat nur einen Grund: In meinem Alter und mit meinem Hallux valgus kann ich mir nicht mehr jeden Schuh und schon längst keinen billigen mehr anziehen. Und also nicht so viele leisten, wie ich möchte. Trotzdem: Manchmal muss es einfach sein - ein neues Paar Schuhe. Weil Frühling ist. Weil bei Jekyll und Kleid noch in der düster-depressiven Langzeitwinterphase ein entzückendes gelbes Kleid bestellt wurde, zu dem zwar auch ein paar schwarzer Pumps passen könnten, durch die jedoch die herbeigesehnte Wirkungsästhetik des Kleides, die symbolische Ordnung der Sonnenkraft, gröblich verfehlt werden würde. Also brach ich am Samstagmorgen auf, um jenen Laden zu besuchen, dessen Eingangstür hier im Blog schon einmal abgebildet wurde und in dem, wenn das Glück mir hold ist, sich immer jenes eine Paar finden lässt, das ich begehre, ohne beim Betreten des Ladens schon zu wissen, auf was sich konkret mein Begehren richten wird. So war es auch diesmal. Liebe auf den ersten Blick. Gibt es. Ich machte Beute (Vgl. auch hier:) bei  "Auftritt".

Gegenwart. Kunst. Berger Str. 6
Meinen neuen Besitz in einer weißen Papiertüte fröhlich schwenkend überquerte ich den Main, um den BenHuRum (aka Thomas Hartmann) zu treffen, der mich in die Berger Straße bestellt hatte, um den Aufbau seiner Pappinstallation zu begutachten und ihm bei der Be- und Ausleuchtung des Durchgangs zu helfen, den er mit Busenwundern und Zwergen, BHs und Sonnenbrillen, Storage Ware und Dinosauriern bestückt hatte. Ich staunte und leuchtete. Das müssen Sie auch sehen! Am Donnerstag um 19.00 Uhr wird die Schau eröffnet: hier. Anschließend tranken wir im Café Maingold, nawas wohl?, einen Kaffee (das ist gelogen, der BenHuRum schlürfte Äppler) und schimpften, lachten, lobten und stritten über Ausstellungsmacher, Adorno, Frau Dr. Imgrunde, White Cubes, Künstlerleut´ und Rembrandt (so weit ich mich noch erinnern kann).  

Dann musste ich aufbrechen, denn um 15.30 begann pünktlich das Spiel der Eintracht gegen Schalke, zu dessen Beginn ich es mir, wie immer, nicht nehmen lassen wollte, die Hymne des Polizeichors Frankfurt mit anzustimmen ("Im Herzen von Europa"), unsere Mannschaftsaufstellung mitzubrüllen und "Mit dem Jürgen" zu kreischen. Meine holden Neffen wie auch mein Bruder blieben an diesem Nachmittag aus mir unbekannten Gründen dem Spiel fern. Nach einer missratenen Rückrunde, deren Höhepunkt im üblen Spiel gegen Augsburg letzten Samstag erreicht war, bot die Eintracht gestern ein packendes Spiel. Wie gewöhnlich war der Schiedsrichter gegen uns (der Heribert, der anständige Kerl, hat halt wahrscheinlich kein Konto in der Schweiz, um von da aus unauffällig die Gelder an die Herren in Schwarz zu überweisen) und gab einen total unberechtigten Elfmeter. "Unfassbar! Unfassbar! Schuss gegen die Mauer. Das nennt der Handspiel! Unfassbar! Hat man so was schon erlebt." Man konnte sich kaum beruhigen um uns rum, auch 15 Minuten später noch nicht, als unser Liebling Oka Nikolov den längst gehalten hatten, den unberechtigten Elfer. "OKA NIKOLOV" taten die Fans ihre Verehrung kund, "OKA NIKOLOV" hallte es durch das Stadionrund. 
Oka, Adler und die anderen 1:0 gegen Schalke

Klingt wie eine Zeile aus "Lurchi", dieser abschließende Reim, womit ich die Kurve gekriegt und abschließend wieder bei den Schuhen gelandet bin, mit denen diese Beitrag zum guten Leben im wechselhaften April mit Recht und ganz richtig begann.


Schönen Sonntag, allerseits!