von Morel
Nach Lektüre der Südharzreise den abstrakten Tourismus in London fortgesetzt. In der Abbey Road japanischen Familien dabei zugeschaut, wie sie sich beim Überqueren der Straße gegenseitig fotografieren. Stoische Engländer im Stau vor dem berühmtesten Zebrastreifen der Welt bewundert. Von den zahlreichen in der Summer-Fiction-Sonderausgabe des New Yorker vorabgedruckten Autoren dann doch nur Rivka Galchen gelesen. Atmospheric disturbances, very strange, indeed, aber ein wenig mehr Komik dürfte es dann schon noch sein. Oder die Komik sollte nicht so staubtrocken sein, dass man immer husten muss. Apropos Huste, wieder ein Dylan-Jahr: Mono-Recordings, Witmark-Demos, unzählige Konzertmitschnitte auf You-Tube. Die Dylan-Platte des Jahres kam aber erst zum Schluss: Christiane Rösinger, Songs of L. and Hate. Der Titel von Leonard Cohen, das Cover eine popfeministische Nachstellung von Dylans Bringing it all back home, im Vordergrund zu erkennen die großartige John-Cale-Platte Paris 1919 , der achte Song These Days ist logischerweise eine Übersetzung von These Days von Jackson Browne in der Version von Nico. Und dann legt man die CD ein und alle Zitate platzen wie Spekulationsblasen an der Börse. Schlechte-Laune-Chansons aus der Hauptstadt des deutschen Winters, Berlin, beste deutschsprachige Platte seit langem. Wiederentdeckt: George Orwell, Shirley Jackson und James Joyce. Wiederkehr der Vernunft, unzuverlässige Erinnerungen und das Ende der unter Konventionen begrabenen Vergangenheit. Das war auch Thema von Michaela Melians Memory Loops, dem am längsten nachwirkenden Kunstwerk dieses Jahres. Wiedergesehen: Bonnie and Clyde und Breakfast at Tiffany’s. Unvergessen: Eric Rohmer, Meine Nacht bei Maud und der Winter in Clermont-Ferrand. Marcel Proust des Jahres: Andreas Maier. So produktiv wie Fassbinder: Guido Rohm, der einzige Autor, von dem ich in diesem Jahr gleich zwei Werke gelesen habe. Fernsehserie des Jahres, Mad Men, wo Dylan weiter den Takt angibt. Peggy, die Texterin und der schwule Kreative gehen im Herbst der Kubakrise auf eines seiner Konzerte. Jetzt warten wir auf die Ankunft der Beatles.
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