Eigenartig, dass die Blog-Wartung (d.h. die Reorganisation dieses Text-Sammelsuriums) ausgerechnet heute, einen Tag, nachdem Phyllis Kiehl schrieb, sie fände auf Gleisbauarbeiten eine Mischung „zwischen intim und unpersönlich“, dem Label „Auto.Logik.Lüge.Libido“ gilt. Es enthält den Keim dieses Blogs, ein Text, der vielfach verändert und umbenannt, jetzt „All die Jahre“ heißt, eine Ergänzung zu meinem Roman-Projekt „MelusinefeaturingArmgard“, die im Februar 2010 nötig wurde.
Die Texte, die unter diesem Label versammelt sind, so behaupte ich im „Wegweiser über die Gleise“, könnten autobiografischen Charakter haben, doch werde „gelogen, was das Zeug hält“. So ist es. Während ich sie wieder lese, einen nach dem anderen, überraschen mich selbst einige Facetten, die mir nicht bewusst waren. Ich begreife, wie sehr auch diese Texte – ähnlich wie der Blog-Roman – gleichermaßen fasziniert und abgestoßen auf den Zwang zur Chronologie durch die Schrift reagieren. Alles geschieht schriftlich hintereinander, ein Wort folgt dem nächsten. Das entspricht nicht der Wahrnehmung der Autorin. Der Blog dreht diese Chronologie Eintrag für Eintrag um, in dem er den jüngsten vorweg stellt, auf diese Weise das Vergangene „verdrängt“. Das gefällt mir und (ver-)stört mich. Die Idee, den Texten unter dem Label „Auto.Logik.Lüge.Libido“ (das auf den Titel eines lesenswerten Buches von Christina von Braun zurückgeht) eine Jahreszahl beizufügen, um das Chronische wie den Widerstand dagegen hervorzuheben, habe ich wieder aufgegriffen. Einige Texte wurden überarbeitet, am stärksten „Der Freund meiner Freundin ist ein Filou“ und „Trabis getankt wir kommen“. In letzterem fiel mir auf, wie sehr das Geschehen von 1989 die Verwendung des „Ich“ in Frage gestellt hatte. Es war dort von einer Anne die Rede. Das habe ich abgeschwächt, doch den Bruch durch Wechsel zur 3. Person weiter markiert.
Interessant ist für mich, wie in den Texten die 80er Jahre dominieren (Monaden, Astrid: Lesen lernen, Der dänische Steinmetz, Über den Holzweg, Unversöhnlich, Trabis getankt, All die Jahre). Coming of age. Eine junge Frau, die erwachsen wird, ihre Sexualität entdeckt, schwankt, ob sie sich zu Männern oder Frauen hingezogen fühlt, erste Verluste, der Beginn lebenslanger Freundschaften, Liebesbindungen für die Ewigkeit. Einige wenige Texte erzählen von der Kindheit (Der Feind ist in der Burg, Namenlos, Gottesbeweis). Die 90er Jahre und das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts klaffen als Lücke (ausgerechnet jene 20 Jahre, denen meine Romanerzählung gilt...) Erst in der Gegenwart geht es weiter: Fußball-Fieber, DIE- Im Trommelwirbel und Kein Steg und keine Brücke. Ein wenig wird die Lücke durch die Texte unter dem Label „Zugverkehr“ geschlossen, das ich daher ebenfalls in diese Blog-Wartung einbezogen habe. Was in „Auto.Logik.Lüge.Libido“ noch gelingt: Die Behauptung eines „Ichs“ (an die Grenze getrieben offenbar, als die Trabis starteten), löst sich hier auf. Ein Körper wird fremdbesetzt. Die Selbstüberschreitung ist keine Fiktion und keine Gewalttat, sondern im Wunder der Geburt präsent. Es geht nicht alles gut. Dass eine nicht nur sie selbst ist, verletzt sie bleibend. Darüber soll kein Mutter-Mythos und kein Liebes-Pathos hinweg täuschen. Dennoch wurde nie mehr geliebt als in den Jahren des Schweigens. Auch das ist eine Wahrheit, die weh tut.
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