Posts für Suchanfrage Mastermind werden nach Relevanz sortiert angezeigt. Nach Datum sortieren Alle Posts anzeigen
Posts für Suchanfrage Mastermind werden nach Relevanz sortiert angezeigt. Nach Datum sortieren Alle Posts anzeigen

Mittwoch, 1. Februar 2012

PC, PLEASE BITCHES !? (What a treasure of a kid)

Der Mastermind ist wieder da! Er ist ganz der Alte und trotzdem ein ganz anderer Typ. Nach wie vor steht der 1. FC Bayern München bei ihm ganz weit vorn (Was weiterhin und bis ans Ende ihrer Tage seiner Mutter ein Gefühl unverzeihlichen Versagens bereitet.). Sein Musikgeschmack hat sich erweitert. Nicht zum Besten, meint Morel. Denn der Mastermind steht jetzt auch auf Partymusik; er ist voll obercool und macht ziemlich sonderbare Gesten, bezeichnet sich aber weiterhin im Brustton der Überzeugung als „schüchtern“. Er strahlt über beide Ohren und verzieht böse das Gesicht; er lacht und jammert, schimpft und kuschelt, alles in einem; er ist sofort wieder ganz DA: Sweet home.

Der Mastermind hat auf seinem neuen Smartphone (Weihnachtssuperdupergemeinschaftsgeschenk von allen, die ihm was schenken wollten) einen Gesprächsfetzen gespeichert, den er als passenden Kommentar zu allerhand Ereignissen und Gegenständen abspielt: „GAAAAAY“, stöhnt eine männliche Stimme. Ganz schön viele Sachen sind „gay“: die neue Bettwäsche, der Vorschlag, wach zu bleiben, um den Jetlag auszutricksen, die Werbekarte vom Friseur, die eine „Pärchenrabatt“ anbietet, die Idee, den Koffer sofort auszupacken und und und... ich komme jetzt nicht mehr auf alles. Der Mastermind verwehrt sich aber gegen die Unterstellung, seine Performance sei „irgendwie“ schwulenfeindlich. Diese Behauptung selbst sei„GAAAY“.

Der Mastermind rappt, bevor er sich müde in die Federn schwingt, locker einen Songtext. Darin fällt das Wort „Nigga“. Sein liebender, älterer Bruder, der Amazing, findet das uncool und gar nicht „GAAAY“. „Alter“, sagt der Amazing. „Das geht jetzt echt nicht. Das N-Wort.“ „Ich zitiert das doch bloß.“, sagt der Mastermind. „So machen die sich selbst an. Kapierste  nicht?“ „Mann“, sagt der Amazing, „ du bist ein Weißer. Und ein Weißer sagt das N-Wort nicht. Weil´s dann rassistisch ist. Aber es is nicht rassistisch, wenn es ein Schwarzer sagt.“ „No, no, Alter“, sagt der Mastermind, „jetzt sei mal nicht so oberkorrekt. Es ist ein Rap. Da gehört das dazu.“ „Weiße machen kein Rap, das kommt nicht gut.“ „Du hörst doch selbst dauernd HipHop.“ „Genau“, sagt der Amazing. „Aber ich geb mich nicht als Schwarzer aus. Und benutze dann auch noch das N-Wort. Das gehtnicht. Mama, sag du´s ihm.“

Ich bin überfordert. Rap. Und so. Was geht, was geht nicht? Freiheit und ihre Grenzen. PC. Das N-Wort geht (irgendwie?) nicht. Von einem weißen Jungen. Privilegien-Pussys. Wir alle. (Und die Kerle streichen noch die patriachalische Dividende ein. Ganz unverfroren. GAAAAY geht eigentlich auch nicht, oder? Ich musste aber ein paar Mal lachen, als der Mastermind es abgespielt hat.) Beim Abendessen erfahre ich, dass der Song, den der Mastermind vorgetragen hat, von Eminem ist. „Weiße Jungs sind keine Rapper“, doziert der Amazing. „Das ist uncool  und wird meistens rassistisch. Außer bei Eminem. Der ist eben der Coolste.“ „Und weiß.“ Ich bin echt überfordert. 

Und glücklich. Der Mastermind ist wieder da. 

Freitag, 2. August 2013

Kanon-Bildung: ABSCHRECKEND

Morel freut sich: "Heute wird er seinen Spaß haben mit der FAZ, der Mastermind. Das muss er lesen. Frau Schmoll zitiert einen Didaktiker, der dringend von ´Faserland´ als Schullektüre abrät. Zustimmend." Ich bin noch verschlafen und verstehe erst eine Stunde später beim Erdbeeren-mit-Müsli-Löffeln, wovon die Rede war.

In den heutigen "Bildungswelten" der "Zeitung für Deutschland", die der Mastermind im Rahmen eines Schulprojektes für ein Jahr kostenlos erhält (und seine Eltern gnädig mitlesen lässt), wird ein "früherer Deutschlehrer und Didaktiker" in einem längeren Artikel zitiert, der eine niederschmetternde Textanalyse von Christian Krachts Roman "Faserland" vorgelegt hat: "Abschreckend" lautet die Überschrift. "Abwegig" und "fragwürdig" sei die Story, "ichbezogen", "völlig ungehemmt in seinen Antipathien" der Erzähler. "Besonders peinlich und für Jugendliche gerade zu abstoßend dürfte es sein, wie der Autor sich anbiedernd den Jugendjargon zu eigen macht und diese Sprechweise zu imitieren sucht." Anlass des Artikels ist die Aufnahme des Romans in den niedersächsischen Pflichtlektüre-Kanon für das Abitur. 

Heike Schmoll kämpft seit langem in der FAZ einen - immer aussichtsloseren Kampf - um den unveränderten Erhalt des noch der Ständeordnung zu verdankenden sogenannten  "humanistischen" Gymnasiums mit Altgriechisch und Latein als Pflichtfächern, dessen besondere Verdienste um die Bildung seiner Zöglinge in einer großen Zahl literarischer Werke, deren Aufnahme in den Kanon ihr sicher genehm wäre, hinreichend deutlich beschrieben worden ist. Auch am Fortbestand der Hauptschule für die mehr "praktisch Veranlagten" ist Heike Schmoll sehr gelegen. Beide Typen schulischer Angebote werden zu ihrem Leidwesen von immer weniger Menschen nachgefragt: die praktisch Veranlagten drängen in die höheren Bildungsanstalten, weil sich auch bis zu ihnen rumgesprochen hat, dass der "Schrauber" am Arbeitsmarkt nicht mehr gefragt ist, sondern man ein Manual lesen und analysieren können muss, wenn man praktisch in, sagen wir mal, der Automobilbranche tätig werden will. Ob sie aber, wie Morel heute morgen meinte, diesen Didaktiker tatsächlich zustimmend zitiert oder der "Abschreckend"-Artikel eher als Satire gemeint ist? Ich bin mir nicht ganz sicher. Aber doch: die Länge des Textes und die beinahe durchgehende Verwendung des Indikativs lassen darauf schließen, dass das im Ernst Schmolls eigene Meinung zu "Faserland" als Schullektüre ist. 

Gerne wüsste man, was Heike Schmoll stattdessen aus der Gegenwartsliteratur in den Kanon aufgenommen hätte: Vielleicht das in vielen Bundesländern so beliebte, aber/weil politisch und literarisch unsägliche "Der Vorleser" von Bernhard Schlink? Oder das vielfach unvermeidliche "Das Parfüm" von Patrick Süskind, erschienen 1986, das aber schon kaum mehr als Gegenwartsliteratur zu betrachten ist? 

Warum der Artikel in der FAZ so interessant für Mastermind, meinen in wenigen Wochen 18jährigen Sohn, ist? "Faserland" von Christian Kracht ist eines der Lieblingsbücher dieses jungen Mannes, neben "Tschick" von Wolfgang Herrndorf. Morel und er haben stundenlang über diesen Roman, die Haltung der Hauptfigur, die ironische Sprache, das tiefe Gefühl der Sinnlosigkeit, das der Roman vermittelt, gesprochen. "Es geht", schrieb Georg Diez, auch in der FAZ, "in Faserland um nichts weniger als die Möglichkeiten von Freiheit." 

Ja, mag sein, dass ein solcher Text in "Bildungswelten", wie sie Heike Schmoll vorschweben, nichts zu suchen hat. Es könnte ja einer oder eine durch diese Lektüre zum Denken gebracht werden, zum Widerspruch oder gar zum Lachen; statt "relevante gesellschaftliche Themen zu erörtern", nach vorgeschriebenen Aufsatz-Schemata. Wenn Lektüre "abschreckend" wirkt, hat sie immerhin eine Wirkung. Auf die meisten Werke, die Mastermind und Amazing gezwungenermaßen in der Schule lesen mussten, trifft nicht einmal das zu. Sie haben die Lektüre schlicht ertragen, obwohl zumindest Mastermind ein durchaus "literaturinteressierter Schüler" ist, dem allerdings die biographische Lesart von Kafka-Texten, die ihm der Unterricht nahelegen will, ziemlich "auf den Sack" (Original-Zitat) geht. 

Ich bin keine so begeisterte Leserin von Christian Krachts Romanen wie Morel und Mastermind (dem allerdings "1979" weniger gut gefallen hat). Doch bin ich dankbar, in der beruflichen Bildung zu arbeiten, wo gelegentlich noch die Möglichkeit besteht, Lektüren für Lerngruppen jenseits eines Kanons auszuwählen, der Menschen wie Heike Schmoll und jenem von ihr zitierte Didaktiker vorschwebt. Mit meiner Lerngruppe werde ich im kommenden Jahr "Der Zwerg reinigt den Kittel" von Anita Augustin lesen. Ich freu´ mich drauf. 



***

Ein sehr lesenswerter und sicher auch Widerspruch provozierender Text über Bildung in postpatriarchalen Zeiten ist vor wenigen Tagen auf "beziehungsweise weiterdenken", dem Internet-Forum für Philosophie und Politik, erschienen, bei dem ich seit Kurzem als Redakteurin mitarbeite: Ulrike Pittner: Bildung neu denken - Visionen und Thesen für ein postpatriarchales Bildungswesen.

Und weil ich schon mal bei Link-Tipps bin: Auf femgeeks wirft Helga Hansen "Eine feministische Perspektive auf die Kämpfe im Internet und um das Internet"

Noch einer: Jennifer Egan hat einen Twitter-Roman(?) geschrieben."A visit from goon squad" war eine echte Entdeckung. Den neuen Roman "Black Box" muss ich unbedingt lesen. Sie auch? 

Außerdem gibt es auf kleiner drei.org einen guten Text, in dem ich mein Unbehagen gegen die "Lösung" des Troll- bzw. Sexismus-Problems mit Hilfe von Beschwerde-Buttons (z.B. bei Twitter) ganz gut wiederfinden kann: Gerechtigkeit auf Knopf-Druck? Über Sinn und Unsinn eine Twitter-Melde-Buttons (mit Links zu Texten, in denen die unsägliche Kampagne gegen Caroline Criado-Perez wegen der Ankündigung, dass künftig Jane Austens Konterfei die britische Zehn-Pfund-Note schmücken soll, noch einmal zusammengefasst wird). 

Ach ja - to whom it may concern: Ich schalte "anonyme" Kommentare, bei denen sich der Kommentator/die Kommentatorin nicht einmal die Mühe macht, sich unter einem Pseudonym eine "Internet-Identität" zuzulegen, grundsätzlich nicht mehr frei. 

Donnerstag, 11. November 2010

MÄNNER SIND DIE BESSEREN VÄTER

In der Schule, die Amazing und Mastermind* besuchen, vertritt der Lehrkörper die Ansicht, dass direkter Kontakt mit aufmüpfigen Jugendlichen tunlichst zu vermeiden sei. Daher wird alle Kommunikation verschriftlicht. In der Regel sind diese Schriftstücke an die Eltern der Jugendlichen adressiert. Anschließend ist das durch einen Erziehungsberechtigten unterzeichnete Formblatt bei der zuständigen Lehrkraft vorzulegen. Durch die Unterschrift bestätigen die Eltern, dass sie ihre Sprösslinge über die in Frage stehenden Gebote und Verbote informiert haben. Mein Rechtsbeistand versichert mir, dass diese Unterschriften völlig bedeutungslos sind, weswegen ich jedes Mal ohne zu zögern unterschreibe.

Kürzlich erreichte uns erneut ein solches Schreiben, diesmal vorgelegt durch Mastermind. Hierin wurde uns mitgeteilt, dass Schülerinnen und Schüler der Jahrgangstufen 8 und 9 immer wieder dabei ertappt würden, widerrechtlich in der Mittagsstunde das Schulgelände zu verlassen, um sich im nahegelegenen Supermarkt mit Getränken und Nahrung zu versorgen. Man forderte uns auf, unsere Kinder noch einmal mit Nachdruck auf das bestehende Verbot hinzuweisen. An diesem Tag war ich aus anderen Gründen schon ziemlich angenervt. Ich beschloss also, die Aufgabe an den Vater des Knaben zu delegieren. Weise nickte der Vater und nahm sich den Sohn zur Brust. Er las ihm den in Frage stehenden Paragraphen aus der Schulordnung vor. „Nehme also“, sagt er bedeutungsvoll, „zur Kennntis, mein Sohn, dass ich höchstpersönlich mir eine zusätzliche Strafe für dich überlegen werden, solltest du widerrechtlich das Schulgelände verlassen - und:  dich dabei erwischen lassen.“ Mastermind nickte. Ein Handschlag besiegelte die Vereinbarung.

Ich bin sehr zufrieden. Söhne brauchen  Väter, denke ich. Mir wäre es nicht gelungen, den Sachverhalt so knapp, korrekt und für Mastermind einsichtig darzustellen.

_____________________________________

* Die hier häufiger erwähnten Jungmänner wurden bisher mit „der Ältere“ und „der Jüngere“ bezeichnet, was bisweilen ein wenig mühsam war. Nach Rücksprache mit den realen Vorbildern werden sie in Zukunft als Amazing (der Ältere) und Mastermind (der Jüngere) in Erscheinung treten.


November 2010 (Haltungstipps)

Samstag, 25. August 2012

Ich muss mich dran gewöhnen...


„Was willst du? Er ist achtzehn.“, sagt der Mastermind. Vor einer halben Stunde hat es geklingelt und der Amazing ist von seinem Laptop aufgestanden und in den Flur gegangen. Vorher hat er noch schnell sein Mobile gegriffen. Mehr braucht er nicht. Wir stellen jetzt erst fest, dass er offenbar abgeholt wurde. Ich schimpfe: „Kann er nicht mal sagen, wenn er weg geht. Und ob er zum Essen kommt.“ Der Mastermind amüsiert sich: „In ein paar Wochen zieht er aus. Dann muss er´s dir auch nicht sagen.“ Das stimmt. (Der Amazing hat einen Studienplatz  In Gießen. Wenn Sie also ein Studentenzimmer oder eine 2-Zimmerwohnung  - gemeinsam mit einem Freund zu beziehen - dort wissen, dann melden Sie sich! Das wäre toll! melusinebarby@googlemail.com.)  Ich bin sauer. „Solange er mit uns wohnt, kann er auch mal Bescheid sagen, ob er mit uns isst oder nicht.“, sage ich. „Das ist doch kein Hotel.“ (Den Spruch klopfe ich dauernd!) Der Mastermind zuckt die Achseln. Ich rufe den Amazing auf seinem Mobile an: „Kannst du nicht mal....?“ Der Amazing vergisst zwar manchmal eine Ansage zu machen oder eine Aufgabe zu erledigen; im direkten Kontakt ist er aber immer ganz der Diplomat und nimmt mir den Wind aus den Segeln: „Ja. Tut mir leid. Mach ich nächstes Mal.“

Unsere Kinder sind keine Kinder mehr. Sie gehen aus. Nachts. Sie kommen mit einem blauen Auge von der Kirmes in der Provinz. („Wer war das? Ich ruf die Polizei.“ „Krieg dich ein, Mutter, halb so wild.“) Der Mastermind geht zum Bundesäppelwoifest und ändert dauernd die Ansagen: „Kannste mich so nach Mitternacht abholen?“ „Der M. kommt dann auch mit, der pennt hier. Geht das o.k.?“ „Bleibt der zum Frühstück?“ „Kann sein.“ Dann wird gechattet oder noch mal telefoniert. Planänderung. „Also ich fahr dann mal zu dem F. Vielleicht penn ich bei dem.“ „Und der M.?“ „Na, der auch, aber das geht dich doch nix an.“ Kurz vorm Abzug: „Leg mal dein Mobile neben dich. Könnt sein, dass sich noch was ändert. Damit du uns holen kannst. Nur für den Fall...“ Ich gehorche, maulend. Um halbelf kommt der Anruf: „Also wir übernachten beim T.“ „Wer ist der T.?“ „Kennste nicht. Das geht klar.“ „Bis morgen dann.“

Sie sind keine Kinder mehr. Ich mache mir Sorgen, manchmal. Besonders wenn sie in die Provinz fahren. Wie sich die Leute vom Land einbilden, dass man in der Stadt dauernd überfallen wird, so gehe ich davon aus, dass in der Provinz hinter jeder Ecke ein rechter Sack lauert und dauernd Besoffene Bierflaschen werfen. Manchmal klettere ich um drei Uhr nachts aus dem Bett und guck nach, ob sie sicher heimgekommen sind. „Was wolltest du denn heut Nacht“, fragt der Amazing dann am Morgen, „als du in mein Zimmer geguckt hast.?“„Dich sehen.“ Wie damals, als er grad geboren war und in seinem Kinderbettchen schnaufte. Er lächelt. Demnächst zieht er aus. Ich muss mich dran gewöhnen. 

Donnerstag, 25. August 2011

THE AMAZING MASTERMIND (Der ultimative Superheld)

Seine ungeheuren Geisteskräfte werden nur durch seinen überwältigenden Charme getoppt. Wenn dieser Superheld um die Ecke biegt, erledigt er mit einem Augenzwinkern und einem schiefen Grinsen das Böse im Nu. Er ist groß, schön, klug und charmant. Keiner der bekannten Super-Helden ist ihm gewachsen.

Superman zum Beispiel, wie jede weiß, ist ein mieser Liebhaber. Nur sein Gegner Lex Lutor kann ihn an Langweile noch überbieten. Da hat Spider Man schon mehr zu bieten. Er ist zumindest witzig, gelegentlich, sein Erzrivale Green Goblin bietet eine interessante Studie in Schizophrenie. In Batman schließlich findet das Verlangen nach düsterer Romantik Befriedigung. Er ist verstört, reich, außen hart und innen weich, kurz Every-girls/womans-Liebling, Brooding Mr. Darcy lässt grüßen. Seine moderne Version als Bruce Wayne ist ein wenig kaputter, trauriger und dunkler.

Ich lerne dazu: Spider Man gehört zum Marvel-Imperium, während Batman und Superman aus dem DC-Stall stammen. The Amazing Mastermind weiß alles. Er entwickelt faszinierende Thesen über die gesellschaftliche Funktion der Superhelden-Mythen und ihre notwendige Weiterentwicklung nach dem Ende des Kalten Krieges. Es gibt Erste-, Zweite und Dritte Klasse-Superhelden. WonderWoman, erfahre ich zu meiner Freude, gehört auf jeden Fall zur ersten Klasse. Viele der Superheld:inn:en lassen sich unmittelbar mit der NASA und ihrem Fundraising verbinden. Die phantastischen Vier (nicht die Band!) verdanken ihre Existenz kosmischer Strahlung. Sie sind eine kleine Familie: Mr. Phantastic, seine Frau Die Unsichtbare, deren Bruder Die menschliche Flamme und der unvermeidliche häßliche, aber nette Freund Das Ding. „Immerhin hat der ´ne Freundin.“ „Schon, aber die ist blind.“ „Echt?“ Das Ding ist ein Ziegelstein-Klotz, das alles umeinander hauen kann (oder so ähnlich?). „Kein Mensch will wissen wie...Aber Das Ding hat Kinder.“ Man verzieht angeekelt das Gesicht. Ich zucke die Achseln. Ich kann mir Das Ding nicht vorstellen und seine Fortpflanzungstechniken erst recht nicht.

Amazing Mastermind ist geteilter Meinung über Captain America (Marvel). „Schon ganz gut, wie sie das hingekriegt haben, schließlich war der ja nach dem 2. Weltkrieg als Nazi-Jäger out.“ „Als Typ ist er nur bedingt interessant; es fehlt ihm ein Doppelleben.“ „Ja, Doppelleben ist wichtig.“ „Sie haben ihm einen zeitgemäßen Nazi-Gegner gebastelt, find´ ich ok.“  „Und er ist weniger nationalistisch als bisher. Gut so.“  Die handwerkliche Arbeit am neuen Captain America wird respektiert, Begeisterung weckt er nicht. Vergleiche zu Iron Man kommen in Spiel. Von Iron Mans Initiation ins Superhelden-Dasein wird ausführlich erzählt: ein Waffenhändler in den Händen von fundamentalistischen Terrorbanden, die Schuld am Opfertod eines Freundes, eine technische Super-Rüstung, fertig ist der Kerl. „Iron Man ist eigentlich so ein ganz normaler ´Warum denn nicht´-Typ.“ Aha.

„Ich bin der mit dem Blitz“, sage ich, damit ich auch endlich mal was zur Unterhaltung beitragen kann. „Was?“ „Bei dem Facebook-Fragespiel: Welcher Superheld bist du?“ „Ach so. Mit dem Blitz?“ „Das muss The Flash sein.“ „Ja, stimmt.“, rufe ich, „Der war´s“. Ich erfahre, dass The Flash schnell ist, aber sonst nix. Ich bin eine drittklassige Superheldin. War ja klar. Ich hatte auch nichts anderes erwartet. „Die meisten Superhelden-Comics haben keine richtige story line. Im Grunde wird so was erst bei ´Watchmen´ entwickelt.“ „Ja, das befriedigt dann aber ganz andere Bedürfnisse...“ The Amazing Mastermind fachsimpelt. Ich kann nur bedingt folgen. Auch weil meine Beine so kurz sind und  ich meine Superkräfte als The Flash hier in aller Öffentlichkeit nicht  zeigen will. Ich führe nämlich ein Doppelleben.


Montag, 10. Dezember 2012

Wenn einem soviel Gutes widerfährt,....(Glücksmomente)

"Ich freu mich so", erzählte ich am Arbeitsplatz, "mein Sohn ist gestern Abend heimgekommen?" "War der im Krieg?", entfuhr es einem. Nein, er war nur zwei Wochen nicht mehr daheim. Zuerst hatte Amazing sich für Freitag angesagt, am Donnerstagmittag kam dann die SMS: "Komme doch schon heute Abend nach der AG." Er hat jetzt seit gut zwei Monaten sein eigenes Zimmer in einer WG. Noch kommt er ziemlich häufig nach Hause. Ich weiß, dass sich das ändern wird, je mehr der Studienort zu seinem Lebensmittelpunkt wird. Wir chatten ab und an über Facebook. Wir bilden neue Rituale aus. Sonntagmittag bringe ich ihn zum Zug, wenn er über das Wochenende hier war. Wir laufen zusammen die 20 Minuten zum Bahnhof und unterhalten uns dabei über dies und das. Es ist noch kein ganz festes Ritual, noch fragt er nach dem Mittagessen am Sonntag: "Bringste mich wieder zum Zug?" Das freut mich. Denn ich vermisse im Alltag sehr die Gespräche mit meinem "Großen".

Der Mastermind freut sich auch, wenn sein Bruder kommt. Sofort wird es laut und sie lachen zusammen und rufen sich Sachen zu, die wahrscheinlich mit Basketball und der NBA oder so zu tun haben, mit Spielern, Vereinen und Transfers, von denen ich nichts weiß. Aber ich freue mich, wenn ich sie so zusammen sehe und höre. Der Mastermind ist momentan tief in die Wirtschaftstheorie eingestiegen und analysiert angebots- und nachfrageorientierte Strategien zur Euro-Rettung. "Ich bin ja mehr so der Keynsianer", sagt er, "aber damit vertrete ich in meinem Kurs eine Minderheitenposition." Er lächelt dabei zuversichtlich. Diese Situation scheint ihm zu behagen. Er stellt sich eine Zukunft als Nate Silver des Fußballs vor und plant eine bahnbrechende Arbeit über die Meisterschaftschancen der europäischen Vereine und der Nationalmannschaften, die das komplette historische Datenmaterial berücksichtigt. 

Im Gegensatz zu seinem Bruder (der aber zu diesem Autor seine beste Deutsch-Arbeit ever schrieb) findet er Kafka "ganz gut", dagegen ist der "Prinz von Homburg einfach nur grausam". "Aber wir ham ´ne tolle Vorstellung gegeben bei der szenischen Interpretation, so als Reiter mit Super-Hufgeklapper und ich war ein Spitzen-Homburg. Der Lehrer hat gesagt, dass ich die Verwirrung prima rüber gebracht habe." "Warte nur", sagte der Amazing, "das Schlimmste kommt noch: ´In seiner frühen Kindheit ein Garten´. Das war dermaßen öde." Der Mastermind triumphierte: "Das haben ´se von der Liste gestrichen bei uns. Wir haben ´Das Parfüm´. " Der Amazing zuckte die Achseln. "Kenn ich nicht." 

Im ´richtigen´ Leben, wo man sich über das ganze Falsche, wegen dem es eigentlich auch kein ´richtiges´ Leben gibt (und so weiter), echauffiert und es analysiert (und so weiter) und reflektiert (und so weiter), kann ich Vorträge halten über diese Lektüreliste zur Zentralabiturprüfung in Hessen, die einen kleinsten gemeinsamen Nenner der Kanon-Vorstellungen von leseunlustigen Gymnasiallehrer_innen darstellt. Alles bedeutsam, alles männliche Autoren (ehrlich!), das meiste langweilig und alles beliebig. (Die ganze Idee des Kanons halte ich für falsch, wie auch das Geschwätz über ´Relevanz´, das noch nie was anderes war als Inszenierung von Macht.) 

Aber weil das hier mein einziges richtiges Leben ist und es mir gefällt, lausche ich glücklich dem Geplänkel meiner Söhne und freue mich an ihren unverfälschten und unehrerbietigen Eindrücken von der großen und bedeutsamen Kanon-Literatur: "Der ´Faust´", sagte der Mastermind, "ist nicht schlecht. Außer dem ganzen Scheiß mit der Religion natürlich." "War das nicht zentral da drin?", fragte der Amazing. "Egal", er winkte ab. "Kommen wir mal zu was Wichtigerem. Wird´s dieses Jahr ein Bratwurstessen vor Weihnachten bei Oma und Opa geben?" "Warum nicht?", fragte ich. "Na, weil se doch umgezogen sind. Und die guten Bratwürste, war´n die nicht immer von diesem Hobby-Metzger aus A.?" "Schon bestellt.", sagte ich. "Das Bratwurstessen findet statt, auch in der neuen Wohnung." Sie seufzten erleichtert. 

Glück ist Luxus. Ich habe viel Glück gehabt. Es wäre schäbig, unter diesen Bedingungen nicht glücklich zu sein. (Außer natürlich wegen dem grundsätzlich ´Falschen´, na klar!) Wer, wenn nicht wir? Ich beschäftige mich mit Aristoteles, dem alten Sklaventreiber und Frauenverächter (ganz falsches Leben!) in letzter Zeit. Was bedeutet Tugend? Was braucht ein Mensch, um glücklich zu sein? Und wie viel davon liegt in seiner eigenen Verantwortung? Ich lese vor allem  Martha Nussbaum (wieder; dazu vielleicht später einmal mehr.). ("Liberalismus ist eh Scheiße.", las ich dagegen kürzlich  in einem radikalfeministischen Blog. Das habe ich nicht verstanden, scheint aber in diesen Kreisen Konsens zu sein.) 

Was ist Glück? Als ich Samstagnachmittag vor dem Eintracht-Spiel meine Eltern besuchte, saßen sie zusammen beim Kartenspiel. Meine Mutter machte mir auf und winkte mich hastig rein: "Schnell, ich muss zurück an den Tisch. Ich hab nur noch eine Karte. Ich gewinne. Dein Vater legt mich sonst rein." Mein Vater grinste schelmisch, als er das hörte. Vielleicht hatte er die Zeit wirklich genutzt, um einen Joker zu stibitzen. Er klopfte auf das Weihnachtsplätzchenpaket, das meine Mutter verschnürt hatte. "Kannste von Glück sagen, dass de noch rechtzeitig kommst. Sonst hätt´ ich die gegessen." "Nix da", ich drücke das Paket fest vor meine Brust. "Meine." So machen wir es jedes Jahr. Rituale. Wir haben welche. Sie verändern sich. Ein wenig. Dieses Jahr wird das große Bratwurstessen in der neuen Wohnung meiner Eltern in Frankfurt stattfinden.

Was ist Glück? Der Morel und ich sind begeistert vom letzten Spiel unserer Eintracht vor der Winterpause gewesen. "Sensationell", rief der Morel ins Stadionrund. Und wir sangen: "Nur die SGE! Nur die SGE!"  Was täte ich, wenn ich einen Partner hätte, der kein Eintracht-Fan ist? Es wäre möglich, aber es fühlt sich spontan wie ein Unglück an. 

Was ist Glück? Der Morel kochte zur Feier des ersten Advents Hasenkeulen in einer fantasmagorischen Soße für uns vier, die klassische Kleinfamilie mal wieder am Tisch vereint. Sie war reichlich bemessen, so dass wir zu viert, nachdem die Kartoffeln als Soßenträger alle aufgebraucht waren, rasch noch in der Küche geschnittene Brotscheiben in den Bräter tunken. 

Wer Glück hat, sollte sich bemühen, auch glücklich zu sein. Alles andere wär´ dumm.

Sonntag, 23. September 2012

SCHULDIG (oder: Das Verbotsverlangen)

"Schuld seid nur ihr."


Meistens bin ich schuld. Die Mutter ist immer schuld, wie jeder weiß. Aber manchmal sind  es auch beide Eltern. So wie heute.

Dabei waren wir überzeugt, dass wir uns verständnisvoll und wohlwollend gezeigt hatten. Genau das war aber der Fehler. Darin liegt unsere Schuld.

Um das Zimmer vom Mastermind haben wir heute Morgen auf Zehenspitzen einen großen Bogen getanzt. Erst gegen 12.00 Uhr Mittags wagte ich ganz leise einmal den Kopf durch einen Türspalt zustecken. Es roch nach Jungmann und Schnaps. Der Mastermind ist erst gegen 6.00 Uhr morgens nach Hause gekommen, denn er hatte was zu feiern. Sachte zog ich die Tür wieder zu. Später hörten wir Flüche aus dem Zimmer und noch später torkelte jemand schimpfend auf Toilette. Wir verhielten uns still und warteten ab. Gegen 16.00 Uhr betrat der Mastermind das Wohnzimmer. Wir gaben uns beschäftigt und desinteressiert. Er hielt sich den Kopf. Bloß keine Tipps gegen Kater geben; das hatten wir schon vorher verabredet. Der Mastermind schaute uns vorwurfsvoll an und schüttelte den Kopf.

"Schuld seid nur ihr. Das hättet ihr mir verbieten müssen. Ganz klar. Statt zu sagen: Feier schön nach dem Auftritt."

Er ging ab. Wir sahen uns an. Wir sind einfach Versager. Als Eltern. Und so. Immer schuld. Keine Ahnung. 

Donnerstag, 12. Juli 2012

VENEDIG: Das Mädchen und der hohe Priester


Noch einmal also Venedig...

Die Touristen auf Murano
Als wir zum ersten Mal da waren, war es ein Desaster. Nicht nur, aber auch wegen der Dosen. Es fing aber schon mit dem Reisebus an und der Suche nach Plätzen in diesem. Wir haben nur dieses eine Mal eine Busreise gemacht, einen Tagesausflug vom Gardasee nach Venedig. (Dabei wird es auch bleiben, wenn es nach mir geht, bei dieser einen und einzigen Busreise mit Reiseleitung.) Wir brachen alle Regeln, gleich am Anfang, weil wir nicht ahnten und es auch bis zum Ende des Tages nicht begriffen, von welch großer Bedeutung die Belegung und Behauptung bestimmter Sitzplätze und –reihen für erfahrene Busreisende ist. Mit unseren minderjährigen Söhnen (damals etwa 11 und 12 Jahre alt) im Schlepptau baten wir unverschämt einzeln Sitzende darum, vielleicht eine Reihe weiter vor oder zurück zu rücken, damit wir zu zweit nebeneinander sitzen könnten, jeweils ein Elternteil neben einem Kind. Man sah uns an, als hätten wir gefragt, ob es genehm sei, auf den freien Sitz zu pinkeln. Wir fanden uns ab; die Kinder setzten sich neben ihnen unbekannte Erwachsene. Der Mastermind, der besonders schüchtern war und ist, schloss die Augen und tat als schliefe er. „Der Mann“, sagte er als wir ausstiegen, „hat mich immer so unheimlich angestarrt.“ Dem Amazing war es „im Prinzip“ egal, wie er verkündete, auch wenn er fand, die Frau neben ihm nehme leider etwas mehr als ihren eigenen Platz ein mit ihrer Körperfülle, weswegen er in den Gang ausgewichen sei. „Zur Rückfahrt“, sagte der Mastermind, „kommen wir einfach ein bisschen früher zum Bus, dann können wir uns die Plätze noch aussuchen.“ Da nickten wir gleichfalls völlig unerfahrenen Eltern dazu und folgten seinem Vorschlag. Das aber brachte das Fass zum Überlaufen, nachdem wir uns schon auf der Hinfahrt so gründlich daneben benommen hatten. Bei einer Busreise, so erfuhren wir, ist es so: der einmal besetzte Platz ist für die ganze Reise garantiert. Es geht gar nicht, dass jemand anders sich auf einen so belegten Platz setzt: „Wo kämen wir denn da hin...“

Die Sache mit den Plätzen war aber nicht das Schlimmste. Das Schlimmste waren die Dosen. Auf der Hinreise nämlich sprach die dänische Reiseleiterin ununterbrochen von denen. Die Dosen haben das gemacht und jenes, die Dosen wollten, die Dosen konnten, die Dosen fuhren, die Dosen herrschten, die Dosen sammelten....Der Mastermind, der trotz geschlossener Augen gut aufpasste, dachte, es ginge um das Dosenpfand, das just zu jener Zeit viel diskutiert wurde. Beim Ausstieg wollte er wissen, „ob der Trittin jetzt auch in Italien regiert“. (Selbstverständlich, das will ich hier einfügen, machte der Mastermind an dieser Stelle einen Scherz, denn auch im zarten Alter von 11 war ihm durchaus bereits bekannt, auf welches Territorium sich die Exekutivgewalt der Bundesregierung erstreckt.) Der Palast der Dosen immerhin, den wir, nachdem der Bus uns ausgespuckt und wir uns durch ein geschicktes Manöver auf dem Busparkplatz vor der Reisegruppe versteckt und schließlich von dieser entfernt hatten, als erstes Ziel aufsuchten, beeindruckte nicht nur die Eltern, sondern auch die jungen Herrschaften. Mir haben es damals vor allem die riesigen Landkarten angetan. „Die konnten sich was leisten, die Dosen, mit ihren lustigen Hütchen.“


In diesem Jahr machten wir um den Dogenpalast einen großen Bogen und fuhren stattdessen vom Bahnhof aus mit der Linie 4.2 rund um die Lagunenstadt, wobei wir immer wieder einen Stop einlegten. So bildete das ruhigere Viertel Cannaregio diesmal einen Schwerpunkt unseres Venedig-Besuches. Während sich rund um das Ghetto Nuovo   Reisegruppen tummeln, die sich die Synagogen zeigen lassen oder in dem einzigem vom „chief rabbi“(?) Venedigs zertifizierten kosheren Restaurant speisen, und eine breite Einkaufsstraße, die Lista di Spagna/Strada Nova mit allerlei Krimskrams und Fressalien lockt, wird es weiter nördlich ganz still. Wir stiegen an der Station Madonna dell´Orto aus, von wo aus man durch einige verschlungene Gassen zur gleichnamigen gotischen Kirche findet. Aus den Fenstern hingen die gestreiften Shirts der Gondolieri an den Wäscheleinen, von denen der eine oder andere wohl hier fern all der Touristen wohnt. In der Backsteinkirche Madonna dell ´Orto liegt Jacopo Robusti genannt Tintoretto begraben und mit ihm seine Tochter Marietta, die vergessene Meisterin, und sein Sohn Domenico. Tintoretto hatte in dieser Gegend seine Werkstatt, in der auch Marietta arbeitete, und in der gotischen Kirche hängen einige seiner bedeutendsten Werke. Zu beiden Seiten des Altars finden sich die „Anbetung des goldenen Kalbs“ und „Das jüngste Gericht“. Noch mehr als diese beiden dynamischen Bilder forderte mich das ungewöhnliche großformatige Gemälde rechts neben der Grabkapelle heraus: Der Tempelgang Marias.  Die kleine Maria ist aus großer Distanz gezeigt, weit entfernt vom Betrachter, der unten an einer riesigen Freitreppe steht, die zum Tempel hinaufführt, vor ihm eine Schöne mit ihrem Kind an der Hand, die auf das kleine Mädchen mit dem Heiligenschein hinweist, das unbeirrt auf den hohen Priester in seinem Ornat zuschreitet. Die Darstellung des Priesters hat durchaus karikaturistische Züge. Das zentrale Thema dieses Bildes aber ist die Verweisstruktur: Wie die eine Frau die andere, die jüngere, hinweist auf jene Dritte, die ihren Weg geht. So führen die  Frauenfiguren die Betrachterin ins Bild und hin zu jenem Mädchen, das noch nichts von seiner Bestimmung weiß, dem noch nicht die furchtbare Heimsuchung zuteil wurde und das gerade deshalb – noch nicht eingesetzt als Medium zwischen Gottvater und Sohn, sondern noch sein gelassen -  dem mächtigen Hüter des Heiligtums unerschrocken entgegen treten kann. Was gezeigt werden kann als und im Bild, ist eben nicht der GOTT, den der schriftgelehrte Mann vertreten will und bloß lächerlich macht, sondern das Kind, indem das GÖTTLICHE wortlos wirkt. Es enthüllt sich auch nicht, wie der logische Verstand, der auf Entblößung aus ist, sich vormachtl, sondern leuchtet - schon immer. Eckart Peterich, dessen antiquarischem 3bändigen "Italien" Morel sich auch auf dieser Reise anvertraut, vergleicht das Gemälde mit Tizians Darstellung in der Akademie, die er „herrlich“ findet. Das ist sie in der Tat: HERRlich empfängt der Priester mit ausgebreiteten Armen das dem Betrachter im Profil ausgelieferte Kind bei Tizian. Bei Tintoretto indes wird eine Kette der Frauen gebildet, die zeigt. (Soll frau es für einen Zufall halten, dass der kunstsinnige Herr Peterich erwähnt: „in der Kapelle rechts vom Hochalter ist Jacopo Tintoretto begraben, mit ihm sein Sohn Domenico und sein Schwager“, aber kein Wort verliert über die Frau Faustina und die Tochter Marietta, die gleichfalls hier beigesetzt sind, wie die Inschrift zweifelsfrei ausweist? Die Geschichte der Auslöschung; sie wurde und wird fort- und fort geschrieben und als zickig und verbohrt erscheint eine jede, die es wieder und wieder empört.)


Als wir zu Anlegestelle des Vaporetto zurückgingen, trat sie aus dem Haus, eine Frau in Blau, gestützt auf einen Stock, nicht jene Flotte, die wir in Vicenza so viele Male gesehen hatten, sondern eine um viele Jahre gealterte und gebeugte mit ihrer Einkauftasche über dem Arm, trotzig und beharrlich gegen den Verfallsprozess anstampfend, den eigenen und den Stadt, in der sie lebt. Wir setzten, vorbei an der Friedhofsinsel San Michele nach Murano über, wo sie wieder waren, die vielen Touristen, zu denen auch wir gehörten, auf der Suche nach einem Präsent oder einem Souvenir. Vor Jahren, als wir vom Gardasee aus nach Venedig mit dem Bus fuhren, kauften sich der Amazing und der Mastermind von ihrem Taschengeld gläserne Füllfederhalter, deren Farbenspiel sie faszinierte. Vielleicht liegen die noch irgendwo eingetrocknet herum, wahrscheinlicher ist, dass sie längst verloren gingen, wie auch jene grüne Glasfigur, ein Tier, vielleicht ein Reh, an die sich vage Morel erinnerte, die er im Alter von vier Jahren in Venedig bekommen habe, wo ihm ansonsten sehr schlecht gewesen sei, im Hotel auf dem Lido.

Sonntag, 31. Dezember 2017

Jahresrückblick 2017 (random)

Reisen
Das Jahr begannen wir in Paris, kalt und schön. Liefen uns die Hacken ab im Nebel entlang der Seine, stritten uns in La Vilette, als ein Schiff nicht kam, schauten wieder einmal "An American in Paris" ("I got music..."), aßen üppig (Kartoffelbrei mit Käse!) in der "Ambassade d´Auvergne").

Im April fuhren wir nach BrüsselMorel fotografierte begeistert brutalistische Bauten und Comic Graffitis. Wir entdeckten das schönste Museum des Jahres, das mim (Museum für Musikinstrumente). Mir tat es die Hardangerfiedel an, ein mittelalterliches norwegisches Musikinstrument, das einer Geige ähnelt. Die alten Musikinstrumente werden im mim nicht nur ausgestellt, sondern man kann sie auch hören, an jedem Ausstellungskasten befinden sich Kopfhörer. Und außerdem natürlich: Rubens, Rubens, Rubens - der einfach der Geilste ist. Punkt. Dass Magritte so ein komischer + glücklicher Mensch gewesen ist, kann man im nach ihm benannten Museum erleben, besonders die Kurzfilme waren für mich neu und sehenswert. Wir tranken Himbeerbier (brr...), aßen Pommes (hmmm...) und fabelhafte Hausmannskost im "Les Brigittines". Bemerkenswertes Dessert: Karamellisierte Auberginen. 

Verregnet war der Sommer an der Ostsee, diesmal in Lübeck-Travemünde. (Morel meint: "Mit einem Rollator hätten wir besser ins Bild gepasst.") Sehenswert: Das Hansemuseum in Lübeck - wenig "echte" Ausstellungstücke, aber abwechslungs- und lehrreich präsentierte Handelsgeschichte. Ebenso spannend: Das Willy-Brandt-Haus, wo der Werdegang dieses mutigen, visionären, irrenden und schwierigen Menschen eindrucksvoll und mit vielen originalen Dokumenten (auch Ton und bewegtes Bild) nachvollzogen wird. (Von den Wahlkampagnen Willy Brandts könnte sich die SPD heutzutage auch strategisch und ästhetisch was abschauen.) In der Villa Mare aßen wir nicht, sondern speisten: U.a. Gänseleber 50 Grad mit Brioche. Großartig!

Ende des Jahres waren wir zu Besuch bei Mastermind, der in Berlin ein Praktikum absolviert. Wir sahen "Bella Figura", ein Stück von Yasmina Reza, geschrieben für die Schaubühne.  Brillante Schauspieler (u.a. Nina Hoss und Mark Waschke). Morel gefielen die existentialistischen Wortwechsel, Mastermind und ich konnten uns für die Figurenkonstellationen nicht erwärmen. Die Ausstellung "China und Ägypten. Wiegen der Welt" offenbarte mir vor allem meine Wissenslücken. Wir aßen zum Abschluss am Gendarmenmarkt im "Lutter und Wegner", Schnitzel halt. Normal, überteuert.

(Verkehrsmittel: Bahn.)


Lektüren 2017
(unerwähnt bleibt alles, was einen Verriss wert wäre, wenn ich Verrisse schriebe)

Ewald Frie: Die Geschichte der Welt
Asne Stierstadt: Zwei Schwestern
fortgesetzt: Emile Zola: Die Rougon-Marquart (z.Zt.: Ein Blatt Liebe)
Robert Forster: Grant and I
Edith Wharton: The Gods Arrive
Ronald Paulson: Sin and evil
Pierre Bourdieu: Die verborgenen Mechanismen der Macht
G.R.R.Martin: A song of Ice and Fire
J.D. Vance: Hillbilly Elegy
Massum Faryar: Buskashi oder Der Teppich meiner Mutter
Fatma Aydemir: Ellbogen
Paul Collier: Exodus. Warum wir Einwanderung neu regeln müssen.
Didier Eribon: Rückkehr nach Reims
Sabine Scholl: Die Füchsin spricht
Lyndal Roper: Luther
Edith Wharton: Das Haus am Hudson River
Edith Wharton: Der Prüfstein
Jasna Zajcek: Kaltland. Unter Syrern und Deutschen
Elena Ferrante: Die Geschichte der getrennten Wege
Georgette Heyer: My Lord John
Hedwig Dohm: Schicksal einer Seele
Susanne Schröter: Gott näher als der eigenen Halsschlagader
Nora Bossong: Rotlicht
Cora Stephan: Ab heute heiße ich Margo
Alec Ash: Die Einzelkinder
Jami Attenberg: The Middlesteins
Elena Ferrante: Die Geschichte eines neuen Namens
Elena Ferrante: Meine geniale Freundin
Irene Nemirovsky: Pariser Symphonie
Samuel Schirmbeck: Der islamische Kreuzzug und der ratlose Westen
Shumona Sinha: Erschlagt die Armen!
Barbara Beuys: Helene Scherjbeck. Malerin aus Finnland
Whit Stillman: Love and Friendship
Hubert Fichte: Ich beiße dich zum Abschied ganz zart
Christof Türcke: Lehrerdämmerung
Bruno Preisendörfer: Als unser Deutsch erfunden wurde
Francoise Frenkel: Nichts, um sein Haupt zu betten
Karen Krüger: Eine Reise durch das islamische Deutschland
Celeste Ng: Everything I never told you
Emmanuel Carrere: Das Reich Gottes
Nancy Jo Sales: American Girls. Social media and the secret lives of teenagers
Christian Rudder: Inside Big Data
Bettina Stangneth: Böses Denken
Hillary Mantel: The Assassination of Margret Thatcher
Thomas Metzinger: Der Ego-Tunnel
Eva Ladipo: Wende
Hedwig Dohm: Die Mütter
Silvia Bovenschen: Sarahs Gesetz
Flannery O´Connor: The complete stories


Sonst so
Die Chiffre "Gott" hat für mich ausgedient. Die Mitgliedschaft in der Kirche wurde beendet. Es war der Abschluss eines Prozesses, der insgesamt ein Jahrzehnt umfasste, mit berufsbegleitenden theologischen Studien, einer vertieften Auseinandersetzung mit den abrahamitischen Religionen, Reflexionen zu meiner protestantischen Erziehung und Prägung, was letztlich - nach einem kurzen Aufflackern des alten "SchuldundSühne-Komplexes" - zu einer wachsenden Resignation gegenüber theologischen Fragestellungen und religiös begründeten Moralvorstellungen führte. Hinzu kam gelegentlich der Ärger über die geistige und geistliche Dürftigkeit des Denkens beim Führungspersonals "meiner" Kirche, z.B. Bedford-Strohm und Käßmann. Ich bleibe - selbstverständlich - "Kulturchristin". 


Ein Jahr beruflicher und gesundheitlicher Krisen war das auch, die einander mindestens beeinflussten, wahrscheinlich verstärkten. Der älter werdende Körper reagiert heftiger auf Infektionen und Entzündungen, alles heilt langsamer und weniger nachhaltig. 

Ich habe hier wenig geschrieben, vor allem, weil es von meiner Seite wenig zu sagen gab, mehr nachzudenken, abzuwägen, in Frage zu stellen. Denn die politischen Krisen der Zeit betrachte ich auch als die meinen, des Denkens und des Versagens jener Gruppierungen, denen ich mich - wie immer lose - zugehörig fühle, des von seinen Gegnern sogenannten "rotgrün-versifften Milieus". Der Aufstieg rechtsnationaler bzw. -radikaler Parteien und Personen, die schwierige und häufig auch scheiternde Integration von Migrantinnen und Migranten, der Umgang mit islamistischen Bestrebungen und islamistischem Terror haben in mir Zweifel an eigenen Überzeugungen und Strategien ausgelöst, anders als ich es in meinem Umfeld beobachte, wo ich einen rechthaberischen Trotz wahrnehme, eine moralisch übersteuerte Dauerempörung, kombiniert mit der Unlust Analysen und Überlegungen auch nur zu lesen, die das eigene Weltbild nicht bestätigen. Ich habe keine Antworten gegenwärtig, nur "random"-Fragen (zusammenhanglos, willkürlich, unausgegoren):
- Wie die theoretische Fokussierung der Gesellschaftsanalyse auf Diskursanalyse mit der Konjunktur des Postfaktischen zusammenhängt?
- Ob es eine neue Balance der Analyse von Symbolik und Materie braucht, eine Anstrengung von Natur- und Geisteswissenschaft, sich gegenseitig wieder stärker wahrzunehmen und auszutauschen? 
- Wie sehr "Intersektionalität" als Analyse- und Kampagneninstrument zu einer gefährlichen, Individuen und Individualität gefährdenden, "Identitätspolitik" beiträgt?
- Wieso Teile der feministischen Bewegung Politik für und von Frauen als Teil von Minderheitenpolitiken ansehen und in diese integrieren bzw. diesen unterordnen wollen? (Was teilweise m.E. zu unerträglichen Allianzen mit Israelfeindinnen oder zur unreflektierten Befürwortung der Einwanderung überwiegend junger Männer oder zur Begeisterung für "Modest Fashion" etc.pp. führt) und: Wie dagegen zu argumentieren und zu handeln ist, d.h. auch: welche Allianzen noch möglich sind, welche gebrochen werden müssen?
- Inwiefern eine Kritik des Subjektivismus Verantwortungslosigkeit befördert hat?

Das ist alles - selbst in Frageform - noch sehr vage formuliert. 

Am Ende dieses Jahres fühle ich mich so unsicher in meinen Überzeugungen und Haltungen wie zu Beginn. Aber sicherer darin, diese Verunsicherung fruchtbar machen zu können, langfristig. 

Amazing und Mastermind, unsere Söhne, deren Erwachsenwerden in diesem Blog auch begleitet wurde, haben am Ende dieses Jahres ein 1. Staatsexamen in Jura bzw. einen Bachelor-Abschluss in Psychologie erfolgreich bestanden. Das macht mich froh und stolz. Mastermind wird seine Studien fortsetzen, Amazing ist in unsere Nachbarschaft gezogen  (und damit auch zurück in seine Geburtsstadt) und wird sein Referendariat aufnehmen.

Ich schreibe wieder, bald vielleicht auch hier. Keine politischen Essays wahrscheinlich, sondern literarische Experimente. Ich schließe nichts ab und nichts aus. Ich lerne.

Offenbach, Alter Friedhof, Herbst 2017

Montag, 10. September 2012

DUMME HIRNE: "Geht wandern!"

Im Land der Dichter und Denker breitet sich wieder mal die GERMAN ANGST aus. Diesmal ist es das böse Internet. "Eltern, nehmt den Kindern die Handys, Konsolen und Laptops weg. Lasst sie mit der Feder schreiben. Lehrt Kalligraphie. Glaubt an meine schönen Bilder vom Gehirn in bunten Farben und schrillen Tönen. Seht wie´s hier leuchtet und blinkt, wenn´s klickt und klackt. Ich aber sage Euch: Wer sich mit Bildern bildet, wird verblöden. Lest weiter nur Gedrucktes, ihr lieben Kinderlein. Wer zuckt, kriegt einen Tennis-Daumen. Besser färbt ihn mit Druckerschwärze ein. Die klügsten Köpfe verstecken sich ungesehen hinter ganz dicken Büchern." So und ähnlich tönt es aus den Talkshows, wo ein verkniffen und aufgeregt wirkender Herr spitz und spitzer die Eltern warnt und missionarisch drängt, die lieben Kleinen vorm neuen Teufelszeug zu schützen. Das bildungsbürgerliche Milieu, seit je von nichts mehr überzeugt, als dass der Bildungs- und Lebensweg sich durch gezielte Stimulationen, Motivationen und zur Not Dressur (Mozart-Beschallung für den geschwollenen Mutter-Leib, frühkindliches Chinesisch, Ballett für kleine Mädchen, Rugby für kleine Jungs, Nachhilfe spätestens ab Klasse 5) bestens planen lässt, hört begeistert zu und verschafft dem spitzzüngigen Herrn einen Bestseller-Erfolg. 

Der Amazing sagt beim Abendessen zum Mastermind: "Haste gesehen, wie geil die kleinen Cousins auf die Smartphone-Spiele sind?" "Richtig süchtig." Der Mastermind schüttelt weise sein Haupt. "Also, später mal, wenn ich welche habe, dann gehe ich mit denen wandern." Der Amazing ist erschüttert. "Nee. Das ist Folter." "Das ist Tradition", sagt der Mastermind. "Wir mussten das doch auch." "Und als wir so alt waren wie der E. und G., weißte noch, da durften wir nur eine Stunde am Tag Fernsehen gucken." "Und von wegen: Computer-Spiele. Das durften wir gar nicht." "Die Konsole durftest du dir erst mit 16 holen." Der Amazing schaut vorwurfsvoll zu den Eltern rüber, die ihre Köpfe tief über die Teller beugen. Wir haben versagt. Auf der ganzen Linie. Vielleicht. Wir glauben nicht daran, dass wir wissen, was kommt und was "man" können muss. Wir glauben auch nicht, dass wir unsere Kinder "machen". Wir sind gespannt, was kommt. Vielleicht hilft Wandern. Vielleicht nicht. "Heute Abend kommen der S. und der T. zum zocken in den Keller.", informiert uns der Amazing. "Wird spät."

Dienstag, 19. Juli 2011

Reisejournal Rom (11): MORBID. MONDÄN. MODISCH. MUNDEND.

Keine Kirchen heute. Genug von den Seligen und Heiligen, den leuchtenden Kränzen, den gefalteten Händen, den verzückten Gliedern im Martyrium für den Höchsten. Davon also, stelle ich fest, kann ich genug kriegen. Marmor, ein Stein den ich liebe, mehr noch seit wir vor mehr als zwanzig Jahren mit einem halsbrecherischen Busfahrer hinauf in die Steinbrüche von Carrara fuhren und sahen, wie die Blöcke geschlagen werden, - ich mag ihn gerade nicht mehr sehen. Überall hat der barocke Katholizismus sich rein- und aufgedrängt, selbst die phantastische Architektur des Pantheons verleidete er mir durch die stets ähnliche (oder scheint mir das nur so?) Ausgestaltung zur christlichen Weihestätte.

Nur eine Kirche sahen wir trotzdem auch heute, von der (Santa Maria – was sonst? - della Concezione) aber nur die Gruft und diese wiederum nur für drei Minuten. Dann war Toresschluss zur Mittagspause. Das reichte auch. Am Eingang zur Kapuzinergruft am Ende der Via Veneto wartete die Touristenschlange. Drinnen gibt’s Heavy Metal: echte menschliche Knochen und Schädel von viertausend Kapuzinern, zu phantastischen Formen gestaltet, schmücken die Wände und Böden von fünf Kapellen: Ranken, Blüten, mancher Knochenhaufen ist auch wieder zur menschlichen Gestalt  zusammengebaut, mt einem bräunlichen Sack überworfen und liegt da mahnend: „Wir sind, was ihr sein werdet. Ihr seid, was wir waren.“ Oder so. Oder umgekehrt. Zum allerersten Mal bin ich mit Freund Peterich, dessen skurrilen Elogen auf den Barock, Bernini, die Päpste und die Heiligkeit im Reiseführer über Italien. Bd. 2 Morel einiges abgewinnt, einig: „eine grausige Sehenswürdigkeit, auf die man verzichten sollte.“ Rasch wieder draußen gingen wir weiter die Via Veneto hinauf, die – wie ein Straßenschild verkündete – Fellini in ein Theater des Films verwandelte. Ein wenig, ein ganz klein wenig, kann man sich das noch vorstellen: wie Sophia Loren in einem unglaublich schicken und unwahrscheinlich unbequemen Kostüm hier entlang trippelte, wie Anita Ekberg an einem Campari nippte oder Ingrid Bergmann ihre Pelzjacke überstreifte. Aber man braucht viel Imaginationskraft dazu. Allzu viel für mich heute. Ich werfe lieber einen Blick vorbei an dem Wachmann ins Innere des Ministeriums für wirtschaftliche Entwicklung (Ministero dello sviluppo economico), das Außen klassizistisch ist und innen einem Kirchenraum gleicht mit bunten Glasbilderfenster, die – doch er ließ mich nur kurz schauen – Heilige abzubilden scheinen. Die Rückkehr der Maria Juno Moneta???

Später betrachteten wir im Palazzo Massimo alle Terme  direkt am Bahnhof antike Skulpturen und stellten fest, dass für mindestens zwei der Büsten Amazing und Mastermind Model gestanden hatten. Außerdem überraschte, dass auch Oktavian schon die Hoodie-Mode kannte und schätzte. Stand ihm gut, jedenfalls. Das war angenehm ruhig und kühl da drinnen. Wir stellten wieder einmal fest, dass das Christentum völlig zu Unrecht für sich reklamiert, es habe das Individuum entdeckt. Wir sahen jedenfalls hinreichend viele ganz einzigartige Männer und Frauen in Stein porträtiert, von denen man sich bei einigen unmittelbar vorstellen konnte, wie sie in Fleisch und Blut schmallippig oder breitmäulig zu schwatzen beginnen würden, säße man bei einem Bier mit ihnen zusammen oder träfe sie auf dem Wochenmarkt.

Am Nachmittag ging ich mit Amazing ein wenig Shoppen beziehungsweise Schaufenster-Cruisen, eine Unterhaltungsweise, der Morel und Mastermind eher nichts abgewinnen können. Für Amazing erstanden wir in einem Secondhand-Laden ein elegantes Armani-Shirt für 20 €. Das Kleid von Missoni, das mir gefiel, kostete aber trotz 50%-Abschlag vom Originalpreis immer noch 350 € und war damit unerschwinglich. Dafür entschädigte das Eis im Palazzo Freddo. Hier trifft sich im Verkaufssaal der ältesten Eisfabrik Roms (seit 1880) die Nachbarschaft, Eis-Gourmets und Touristen, um das leckere Eis zu verschlingen. Ich ernähre mich in Italien ja grundsätzlich wesentlich von Speiseeis. Während ich Mittags in der Hitze die fruchtigen Sorten bevorzuge (Zitrone, Melone, Erdbeer, Kirsch), dürfen es am frühen oder späteren Abend auch mal Zuppa inglese, Schokolade, Stracciatella oder Caramel sein. Riesenportionen – mit und ohne Sahne. Amazing hatte Aranca rosso (Blutorange). Hmmm. Das probiere ich auch noch. 

Montag, 2. Mai 2011

OBAMA KILLED OSAMA. - NA UND?

„Obama killed Osama“, schreit Mastermind und reißt die Tür auf. So werde ich am 2. Mai um 6:30 Uhr geweckt. Verpiss dich, denke ich, aber das sagt eine Mutter natürlich nicht zu ihrem Sohn. („Lügnerin“, ruft Amazing, „genau so redest du mit uns, mach den Leuten nix vor.“ Alles frei erfunden, selbstverständlich, denn Familie ist privat und wir sind verdammt bürgerlich und deshalb trennen wir strikt zwischen Privatleben und Öffentlichkeit.)

„Freust du dich?“, will er wissen. Ich dreh mich weg. Was geht mich das an? „Mir doch egal.“ Bei näherem Nachdenken ist es mir nicht egal. Es stimmt mich verdrießlich. (Heute verstimmt mich alles. Ich bin einfach mies drauf.) Wenn Osama bin Laden gesagt und getan hat, was behauptet wird, dass er gesagt und getan hat (So sicher bin ich mir da nicht), dann hat er bekommen, was er wollte. Uncle Sam als Wunscherfüllungsmaschine: Wir anerkennen dich als Feldherrn einer bedrohlichen Gegenmacht. Wir suchen dich nicht als Kriminiellen, sondern führen Krieg gegen dich. Wir machen dich zum Märtyrer. Mr. Bin Laden wurde eine ganz große Nummer: Mit Stock und Sandalen weißgewandet durchs afghanische Hochland ziehend, mit sanfter Stimme den heiligen Krieg verkündend, mit tiefem Blick das Reich Allahs (inklusive hinreichend vieler Jungfrauen) versprechend. Der verwöhnte Sohn eines arabischen Ölmillionärs mit ein paar verqueren Ideen im Kopf und erheblichem Geltungsdrang war plötzlich Herausforderer der größten militärischen Macht der Welt. (Das war auch ökonomisch bedeutsam, denn nach dem Ende des Kalten Kriegs hätte der militärisch-industrielle Komplex ganz schön in die Röhre geguckt ohne diese neue Herausforderung). Rumsfeld orderte, Cheney intrigierte und verteilte die Gelder an seine Spezis, Bush junior erklärte die Kriege.

Ich bin nicht froh, dass Osama bin Laden erschossen wurde. Lieber hätte ich ihn vor einem ordentlichen Gericht gesehen. Wie die oben erwähnten drei Herren auch. Es wäre schwer geworden, das ist mir klar, ihnen ihre Verbrechen nachzuweisen. Bei allen vieren wäre es dem Staatsanwalt sicher am leichtesten gefallen, Belege für Steuerhinterziehung, Geldwäsche, Korruption, Betrug beizubringen. Schwieriger wäre es gewesen, die vier für die Morde, die sie mutmaßlich beauftragt haben, zur Rechenschaft zu ziehen. Da keiner der vier direkt am Abzug gesessen hat, wäre es für Richter stets darum gegangen, ihren Tatanteil zu bestimmen. Mühsam das. Aber es wäre der Mühe Wert gewesen. Es hätte mich erfreut. 

Die gemeinsame Unterbringung der vier in einem Gefängnis hätte meinen Frohsinn noch steigern können. Unter dieser Bedingung wäre ich auch bereit gewesen – entgegen meiner sonstigen Überzeugung – eine etwas überlange Untersuchungshaft aufgrund der schwierigen Beweislage in Kauf zu nehmen. Vielleicht so lange, wie einige Unschuldige in Guantanamo gesessen haben?

„Ach Mensch, nie freust du dich.“, seufzt Mastermind. „BAYERN!“ (Ein Scheißtag eben – an dem ich schon in der Früh dran erinnert werde, dass ich einem Bayern-Fan Kost und Logis gewähre. Und die Eintracht steigt am Ende ab...) Ein wirklich missglückter Start in den Tag heute. „Obama killed Osama.“ Na und? Mir doch egal.

Samstag, 29. März 2014

WECHSELHAFT. Zwischenmeldung

Nicht krank. Nicht in Urlaub. 

Trotzdem keine Texte. Schreiben ist zur Zeit nicht drin. Nicht für das Blog zumindest. Keine Zeit? Auch keine Zeit. Wichtiger aber: Der Kopf ist zu leer und zu voll zugleich. 

Alles ist in Bewegung und ungewiss: eine neue Wohnung und eine neue berufliche Aufgabe; der Amazing wird eventuell für ein Studiensemester nach Valencia gehen und wohin es den Mastermind nach dem Abitur verschlagen wird, ist noch völlig offen. 

Blicke durch die Räume, all die angesammelten Erinnerungen, Bücher- und Zeitschriftenberge, wacklige Regale und schrottreife Schränkchen: Was wird bleiben, von was wird sich getrennt werden? 

Schön war es, die letzten vier Wochen noch einmal zu viert zu leben, weil der Amazing ein Praktikum in Frankfurt absolvierte und für diese Zeit wieder in sein altes Zimmer zog. Die lauten Gespräche der Brüder über Basketball und Computerspiele und Fernsehserien, von denen ich kaum was verstehe (weil sie von Abkürzungen und Namen wimmeln, die ich nicht kenne oder nie gehört habe). Gemeinsame Abendessen. Streitereien um den Fernseher. Und viele Gespräche. Der Amazing belehrt die Laien im Juristen-Deutsch: Vertragsrecht. Sachenrecht. Schuldrecht. Eine Hausarbeit im Strafrecht (unglaubliche Fallkonstruktion). "Es kann nie schaden, einen Juristen in der Familie zu haben." (Mit meinem Bruder wären´s dann schon zwei.) Der Mastermind traut sich noch nicht Pläne zu schmieden, vertritt aber an diesem Wochenende die Vereinigten Staaten von Amerika bei eine UN-Planspiel in Kiel und organisiert die Terrorismusbekämpfung. "Mannomann, alle werden mich hassen. Und ich hab´ ja auch einiges auf dem Kerbholz." "Ich sag nur: Guantanamo." 

Ich werde das vermissen. Fürchterlich. Das Familien-Leben zu viert, das nun endgültig ausklingt. Wir bleiben eine Familie. Aber wir werden nicht mehr zusammen leben. Oder nur noch gelegentlich. So wie in den letzten vier Wochen. Es ist ein Aufbruch. Momentan kommt es mir mehr wie ein Abschied vor.

Keine Zeit zu schreiben. Ablenkung. (Krimis?) Wie geht´s weiter? Eine Sonder-Edition von PUNK PYGMALION ist in Planung. Dazu später mehr. Ein lange vergessenes Roman-Projekt und eine Figur (Dizzie) sind aus der Versenkung aufgetaucht (nicht ohne - unwissentliche - Inspiration durch den angehenden Juristen) und haben sich zwischen die Sabinen gedrängt. Oder werden mit diesen und ihren Erzählungen verknüpft? (Doch ein Krimi?) Ich hätte nichts dagegen. Aber weiß es noch nicht. Am Anfang steht nie der Plot. Am Anfang stehen die Bruchstücke. Situationen. Figuren. Dialoge. Disparate Geschichten mit losen Verbindungen. Jetzt scheint sich der Plot zu formieren. Ganz anders als erwartet. Aber nichts Schriftliches. Lange Spaziergänge. Alte Suchtverhalten neu entdecken. In Gedanken die noch fiktive neue Wohnung einrichten. Hängeleuchten. Tiefe Schränke. Hohe Regale. Ein Gründerzeittisch?

Ach was. An die Arbeit! 

Samstag, 21. Juni 2014

MUTTERSTOLZ, MÜDIGKEIT, MATERIAL (irrelevanter Tagebucheintrag mit Link-Tipps)

Es gibt nichts zu berichten. Fast nichts. Die bleischwere Müdigkeit, die krank macht, fesselt mich weiter, nicht immer ans Bett. Und doch: BenHuRums Collagen werden ab kommenden Dienstag wieder regelmäßig erscheinen. Technische Probleme (Licht. Licht: zuviel, zuwenig.) konnten behoben werden. Weder zu Frank Schirrmachers Tod noch zur Fifa-Männer-WM fällt mir dagegen was ein. Beides Themen und Ereignisse, die einmal mehr die Existenz von beinahe verbindungslos nebeneinander existierenden Paralleluniversen aufzeigen. Was in der einen Welt Erschütterungen auslöst und eine fast unübersichtliche Flut von mehr oder minder peinlichen "Frank-und-ich"-Artikeln bzw. Experteninterviews, ist anderswo (z.B. hier) ziemlich irrelevant. 

Ich lese viel. Zuletzt: "Pust ihn um Joe"-Wegwerf-Krimis, außerdem: Anne Tyler: Dinner at the Homesick Restaurant,   Edith Wharton: The Old Maid,  Barbara Beuys: Die neuen Frauen. Revolution im Kaiserreich, Karim El-Gawhary: Frauenpower auf Arabisch, Martha Nussbaum: Die Grenzen der Gerechtigkeit. Und schreibe eifrig (auch über das eine oder andere Gelesene). Nichts, was ich (schon) hier einstellen möchte oder kann. (Noch kann ich mich auch nicht entscheiden, welches "Projekt" ich weiter folge: den Dizzy-Krimi, den Sabinen-Heimat-Roman oder den ScienceFiction um das sonderbare Geschwisterpaar Sternchen und Schnuppe. "Du musst dich konzentrieren und fokussieren", sagt das Über-Ich. "Zerstreu dich", trällert das Es. "Hör auf mit dem Freudschen Bullshit und mach endlich was.", sagt das große ICH. "Gönn dir mal ´ne Pause und schlaf dich aus.", flüstert das kleine ich.) An Auftragsarbeiten sitze ich auch: Über Menstruation in unserer und anderen Kulturen, über Geschäfte mit "Reinheit vs. Unreinheit" und ein Produkt, das ich gerne schon 35 Jahre früher gekannt hätte: die Menstruationstasse

Bin außerdem stolz wie Bolle als Mutter (der Mastermind hat ein mastermindiges Abi hingelegt) und zugleich vom Abschiedsschmerz geplagt: das Nest wird leerer. Gestern Nacht ist das kluge Kind zum Ballermann aufgebrochen, obligatorische Abschlussfahrt mit voraussichtlich grenzwertigen Verhaltensauffälligkeiten. Das kluge Nichtmehr-Kind fühlt sich in dieser Umgebung "uninteressant", was eher für es spricht. Der Amazing geht im Herbst für ein Semester nach Valencia, europäisches Recht studieren. Wohin es den Mastermind verschlagen wird, ist weiter offen. Komplizierte Bewerbungen für Psychologie-Studiengänge über ein sogenanntes "Dialogorientiertes Verfahren" sind zu verfassen. Das geht nicht ohne Flüche. Das alternde Elternpaar entrümpelt derweil das zu verkaufende Haus weiter und hofft, den Umzug in die neue Wohnung noch in diesem Jahr über die Bühne zu bringen. (Die künftige Einrichtung wird um dieses Kunstwerk von Charlotte Malcolm-Smith herum geplant.)

Ein paar lesenswerte Texte habe ich in der vergangenen Woche im Netz gefunden:
- einen schon am letzten Wochenende erschienenen schönen Artikel über das dumme Geschwätz von der Macht der feministischen Horrortussi in der SZ
und natürlich 
- den Text von Chelsea Manning in der NYT über "The Fog Machine of War"
und - last but not least -
- eine feine Kampagne des hiesigen Fußballvereins gegen Homophobie (Ich benutze das Wort mal, wenn auch mit Bauchschmerzen, denn, wie mir nicht nur der Amazing immer wieder sagt: die Gemeinten leiden nicht unter einer krankhaften Angst vor Homosexuellen)

Mit diesen Link-Tipps verabschiede ich mich ins Wochenende! Wünsche Ihnen ein schönes, ganz egal ob die Männer-Fußball-WM und/oder der Tod des FAZ-Herausgebers und/oder die Menstruationstasse für Sie relevant sind.