Samstag, 8. Januar 2011

EIGENTUMSDIEBSTAHL?

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http://www.salon.com/news/opinion/glenn_greenwald/2011/01/07/twitter/subpoena.pdf

ICH VERDIENE GENUG...

...und zahle auch nicht zu viele Steuern!

Das musste mal gesagt werden. Obwohl ich in einem der reichsten Länder der Welt lebe und in einem beruflichen und wohnlichen Umfeld, in dem die meisten zur wohlversorgten Mittelschicht gehören, höre ich diese selbstverständlichen Sätze so gut wie nie. Ich habe einige freischaffende Freunde, deren Einkommen weit unterdurchschnittlich ist. Trotzdem höre ich dauerndes Klagen über zu niedrige Entlohnung und zuviel Abzüge fast nur von denen, die ähnlich oder mehr als ich verdienen. Ich kann mir das nur auf eine Weise erklären: Diese Leute empfinden ihre Arbeit als Qual und das Schmerzensgeld, das sie dafür erhalten, erscheint ihnen zu gering.

Denn alle anderen Argumente, die sie vorbringen, erweisen sich bei näherer Betrachtung als absurd. Sie kennen immer jemanden mit ebenso langer Ausbildungszeit oder Verantwortung oder Arbeitsintensität, der deutlich mehr Geld verdient. Wenn ich dann zum Vergleich jemanden heranziehe, der unter ähnlichen Voraussetzungen weniger verdient, suchen sie eifrig nach Argumenten, die den Gehaltsabstand zu ihren Gunsten rechtfertigen. Sie sitzen mit Fleiß der Leistungsideologie, die  das kapitalistische Wirtschaftssystem prägt, auf, die  jede/r mit etwas gesundem Menschenverstand leicht entlarven könnte: Weder Verantwortung (denken wir an Busfahrer:innen), noch Ausbildungsdauer (nehmen wir Philosophen:innen), noch Arbeitsintensität (nehmen wir Gebäudereiniger:innen) führen zwangsläufig zu höheren Gehältern. Nicht einmal der reine Marktmechanismus von Angebot und Nachfrage vermag die Gehaltstabellen schlüssig zu erklären (denken wir an Pflegekräfte). Es ist ein kruder Mix aus Marktmechanismen, historischen Entwicklungen (bis zurück zum Ständewesen), geschlechterorientierter Arbeitsteilung und Pseudo-Leistungsorientierung, der die Höhe der Löhne bestimmt. Hier „Gerechtigkeit“ einzufordern und empört die eigene Benachteiligung zu beklagen, ist einfach unterreflektiert. (Wohlgemerkt: Ich spreche nicht von denen, deren Arbeit so gering entlohnt wird, dass sie nicht existenzsichernd ist. Solche Löhne sind sittenwidrig, punktum, und sollten per Gesetz verboten werden.). Mir geht es um die „Gerechtigkeitsforderungen“ derer, die gut versorgt sind und sich lediglich benachteiligt sehen, weil sie ihre eigene „Leistung“ höher bewerten als Markt und gesellschaftliche Norm es tun. Die nerven mich. Zugleich empfinde ich Mitleid (was immer, wie man weiß, eine Form der Herablassung ist).

Der Begriff „Arbeit“ hatte seit je einen janusköpfigen Gehalt: als Strafe (für den Sündenfall, siehe z.B. die Etymologie von labour/travail) und als schöpferische Selbstverwirklichung des Menschen. In der Ideologie des Kapitalismus ist dieser Gehalt pervertiert: Die Strafe der entfremdeten Arbeit zu ertragen wird als freie Wahl dargestellt und Selbstverwirklichung über die Erreichung eines möglichst hohen Marktwertes der eigenen Arbeitskraft angestrebt. Das ist abscheulich. Was man freiwillig wollen soll, ist nämlich: Den größten Teil seiner wachen Lebenszeit mit Tätigkeiten verbringen, deren Sinn nicht einleuchtet und die keine Befriedigung verschaffen, um Befriedigung und  Sinnstiftung dann in der möglichst hohen Entlohnung zu erfahren. Mit anderen Worten: Man soll sich prostituieren wollen. Von der Ideologie und den historischen Verschleierungen entkleidet, dürfte es unter diesen Bedingungen eigentlich kein anderes Bezahlungsmodell geben, als das des „Schmerzengeldes“: Wer eine Arbeit verrichtet, die besonders öde, sinnlos oder unbefriedigend ist, müsste am meisten kriegen. Diese Idee stößt natürlich bei den Klagenden von oben auf wenig Gegenliebe. Denn wiewohl ihr Gefühl ungerecht behandelt zu werden und nicht genug zu bekommen, keiner anderen Logik als der des Schmerzengelds entspringt, mögen sie sich doch nicht in dieser Opferrolle wiedererkennen. Was sie eben noch als Last, für die Ausgleich zu schaffen sei, bestimmt haben – zum Beispiel ein langjähriges Studium – würde ja  dadurch entwertet. Sie müssten diese "Last" nicht auf sich nehmen, um besser entlohnt zu werden. (Studierten sie dennoch, so wäre es - was es für mich immer war - ein Privileg, für das sie dankbar sein könnten.) Im Gegenteil: Mehr Geld erhielte wahrscheinlich, wer Klos schrubbte. Ach, welch bittere Aussichten.

Eine kommunistische Utopie zielt nämlich nicht (wie ehemals die Praxis des „real existierenden Sozialismus´“) bloß auf eine Änderung der Eigentumsverhältnisse, sondern darauf entfremdete Arbeit, d.h. eine Reduktion der möglichen Tätigkeiten auf Berufe, grundsätzlich aufzuheben. Marx/Engels:  „Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muß es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will - während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“ Der Knackpunkt hierbei ist, wie unschwer zu erkennen, wie „die Gesellschaft“ die allgemeine Produktion regeln sollte. Doch im Horizont dieses Denkens wird es immerhin möglich, die Befreiung von der entfremdenden Arbeit durch Rationalisierung nicht als sozial depravierende Arbeitslosigkeit zu begreifen, sondern als emanzipatorische Chance. Diese jedoch als solche zu erkennen und um ihre Verwirklichung zu kämpfen, ist im Verblendungszusammenhang der Leistungsideologie gänzlich unmöglich.

Deshalb: Der Kampf um höhere Löhne nach Branchen und Berufsgruppen ohne eine gesamtgesellschaftliche Perspektive ist selbst Teil dieser Verblendung. Gewerkschaftliche  und parteiliche Politik, die sich darauf beschränkt, wirkt am Gewebe der Verschleierung mit.  

Freitag, 7. Januar 2011

Frau K. im Schneeblutrausch

Der kalte, schneereiche Winter machte Frau K. das Leben schwerer als anderen. Nie ließ sie das Bild los, wie schön das tiefe Rot einer Blutlache sich in dies weiche Weiß einzeichnen könnte. So weiß wie Schnee sein fahles Gesicht auf dem Eis, so rot wie  Lippenstift sein Blut vor dem Mund, so schwarz wie Gothic-Nagellack sein volles Haar um den eingeschlagenen Schädel. Ich muss mich von dieser Besessenheit befreien, dachte sie. Doch in der ganzen zweiten Hälfte des Dezembers verzauberte der Schnee die Stadtlandschaft ins Märchenhafte, glitzerten, wenn die Bahn sich durchs lärmdämpfende Gestöber kämpfte, die weißen Flocken vor den Fensterscheiben und sie konnte die schönen Bilder nicht aus ihrem Kopf verbannen. Ich bin eben  Ästhetin, dachte sie. Sie lehnte die Stirn gegen die Scheibe. Ach, wie kühl und gut sich das anfühlt, so ruhig, so friedvoll könnte mein Weihnachtsfest werden, fühlte sie, wenn, wenn nur ich endlich zur Tat schritte, statt bloß zu träumen. 

Sie trainierte ihren Bizeps, indem sie täglich ihren eigenen Körper auf die Arme stemmte. Vor dem Spiegel begutachtete sie die Fortschritte: Wenn sie die nackten Oberarme anspannte, zeichneten sich die Muskelstränge schon deutlich ab. Rohe Gewalt, hatte Frau K. entschieden, könnte ihre Sehnsüchte befriedigen. Die Verwendung einer Pumpgun hatte sie verworfen, da die Beschaffung nur zu Bedingungen zu bewerkstelligen war, auf die Frau K. sich  nicht einlassen wollte, neue Abhängigkeiten und Verpflichtungen schaffend, die sie zu vermeiden wünschte. Ihre Befürchtungen mit einem Messer nicht ans Ziel zu gelangen, blieben jedoch bestehen. Doch als sie im Hofeingang neben dem Fahrradständer eine Schaufel lehnen sah, war ihr die neue Idee gekommen. Mit der Schaufel ließ sich der Abstand zum Opfer groß genug halten, um dessen Abwehr zu verhindern. 

Abwehr wusste Frau K., ist jedoch grundsätzlich zu vermeiden. Es spricht nichts dagegen, versicherte sie sich,  ihn von hinten zu erschlagen. Ich habe keinerlei Bedürfnis ihm noch einmal in die Augen zu sehen.  Vor allem will ich in kein Gefecht verwickelt werden. Ein Schlag, daher, muss genügen. Das ist zu trainieren. Frau K. blieb den ganzen Dezember über eifrig bei der Sache. Sie hatte beschlossen, schrittweise vorzugehen und nichts zu überstürzen. Zunächst waren Muskeln zu bilden, dann die rechte Hebelwirkung des Schlagwerkzeugs zu erproben und eine Routine zu entwickeln. Sie gedachte Kürbisse zu verwenden, wiewohl das ihren Schönheitssinn verletzte. Sein oval-klassischer Kopf, den sie so bewunderte hatte, innen wie außen, Hirn und Stirn, glich dem runden Gartengewächs keineswegs, doch mühte sie sich dies aus ihrem Denken zu verbannen. Noch war es nicht so weit, noch galt es bloß die Muskelkraft zu erhöhen. Ihre Fortschritte machten sie stolz. Dennoch quälte sie täglich, wenn sie in der Bahn saß, der Blick aus dem Fenster ins Wunder-Winter-Weiß. Sie war nie ein geduldiger Mensch gewesen und das herrliche Bild, das vor ihren Augen erschien, drängte so heftig nach Realisation. 

Sie stieg aus, überquerte die Fahrbahn und betrat den Parkplatz des OBI-Marktes.


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Donnerstag, 6. Januar 2011

DIE ANDERE MARIA (3): VERKÜNDIGUNG UND BEFLECKTES EMPFANGEN

William Hogarth: A Harlot´s Progress (Blatt 3)

Wir sahen, wie sie heimgesucht wurde von Mother Needham und Francis Carteris, der Puffmutter und dem notorischen Vergewaltiger. Alles ist möglich, erfuhr die nachgeborene Dorf-Maria, in der großen Stadt London. Du hast keine Chance, das stimmt, nutze sie! Was sie tat: Suchte sich einen, der zahlen konnte und bereit war, sich ihre Gunst etwas kosten zu lassen. Spielte die große Dame. Und wollte noch mehr: Lust und Liebe. Einen jugendlichen Liebhaber hielt sie sich, ganz wie die adligen Frauen in ihren Palästen. Das war zuviel verlangt. Oder unsere Schauspielerin, das Bauernmädchen Mary, zu unbedarft für diese Rolle. So kann´s kommen, wenn man unvorsichtig ist und zu hoch hinaus will.



Die Szene ist ein Spiegelbild der vorangegangen. Aber jetzt ist, was vordem Glanz und Pracht war, nur noch Tand und Dreck. Da sitzt sie nun auf ihrer neuen Arbeitsstätte, kein Rokoko-Stühlchen mehr, sondern eine schlamperte Matratze, kein zierliches Teetischchen steht vor ihr, sondern ein krummer Schemel, kein rausgeputzer Mohr bedient, bloß eine ausgepreiste Vorgängerin mit von Syphilis zerfressener Nase. An der Wand hängen mit einer Ausnahme (dazu später mehr) keine biblischen Historienbilder, sondern Porträts ihrer neuen, zeitgenössischen Helden: statt des rechtschaffenen Jona und des siegreichen David Captain McHeath, der Schuft aus „Beggar´s Opera“ und Dr. Sacheveral, ein berüchtigter Quaksalber und Hochstapler. Es ist eben alles spiegelverkehrt hier, erinnern Sie sich: Jona, ein selbstgerechter Priester und David, der mit Gewalt zur Macht kam und an der Macht zum Vergewaltiger wurde. Ihren Körper verkauft sie, an jeden offenbar, der zahlen kann, auch ausgefallene Wünsche werden befriedigt, die Werkzeuge dazu hängen an der Wand oder liegen bereit. Ganz oben auf dem Betthimmel sieht man eine Perückenschachtel, die den Namenszug ihres derzeitigen Liebhabers trägt: John Dalton, ein berühmter Straßenräuber, dessen Taten die Gazetten füllen.

Gegen alle Hoffnung (oder Glaubensgewissheit) der frommen Moralisten zeigt uns Hogarth die gefallene Maria (Magdalena) jedoch nicht als Zerknirschte und um Rettung Flehende. Es ist zwar hier alles ein wenig dürftig, doch sie weiß sich auch in dieser Umgebung zu bewegen. Sie lebt und liebt, sie arbeitet und verdient; sie nimmt, was sie kriegen kann und gönnt sich, was zu haben ist. Doch, warte nur, Maria, der Engel des Herrn naht, dir das Gesetz zu verkünden: Da steht er schon in der Türe, der mächtige G., Bote der All-Macht, dich in deine Schranken zu verweisen.

El Greco: Verkündigung

Hogarth hat auch auf diesem Blatt die Dirne Mary in ein christlich-ikonographisches Schema der Marien-Erzählung eingebettet: Maria Verkündigung. Der erschrockenen Maria erscheint Gottes Bote, der Erzengel Gabriel, um ihr die unbefleckte Empfängnis des Gottes-Sohns anzukündigen.

Unserer von Hogarth vorgestellten Straßenschönheit kann offensichtlich keine fleckenfreie Empfängnis verkündet werden. Sie hat sich befleckt und sich besudeln lassen, weiß das Gesetz: Du sollst nicht... Zwar greift für die Vergehen der Mary wörtlich keines der Zehn Gebote, doch die Herrschaft hat immer schon verstanden, das Gesetz des Herrn passend anzuwenden auf die je gegebenen Lebenswege der Sünderinnen. Von Mary noch unbemerkt steht der Vollstrecker des herrlichen Willens bereits im Türrahmen: Ihr Engel, der ihr den rechten Weg weisen wird, erscheint in der Gestalt des unermüdlichen und unerbittlichen Richters Gonson, der mit seinen Schergen gekommen ist, die Unzüchtige zu verhaften.

Wiederum mutet Hogarth seinem Publikum Ungeheures zu: Denn über die Porträts von Marias gegenwärtigen Leitbildern hat er eine billige Zeichnung gehängt, die eine verstörende alttestamentarische Szene zeigt: die Opferung Isaaks durch Abraham. Er konfrontiert durch das Bild im Bild den Gott des Alten Testaments, der von Abraham so viel Vertrauen fordert, dass er verlangt, den eigenen Sohn zu opfern, mit dem Gott des Neuen Testaments, der so viel Vertrauen und Vergebung schenkt, dass er seinen Sohn opfert. In der Szene jedoch, in welcher der HERR der Frau, die in ihrem Leib den Gottessohn austragen soll, das Opfer ankündigt, hat bei Hogarth die Rolle der Jungfrau Maria die Hure Mary übernommen und der Erzengel ist ein mitleidloser Strafrichter, der Vergebung nicht kennt. In einem christlichen Umfeld kann man gesellschaftliche Zustände kaum schärfer kritisieren.

Die HERRschaft und die Moral, die Gonson und die seinen vertreten und die sie an Mary vollstrecken, werden als bigotte kenntlich. Sie opfern nichts Eigenes, weil sie keinem vertrauen; sie opfern Mary, deren Leib sie missbraucht haben, wie der HERR den Leib Marias, der Jungfrau, die unter Schmerzen in einem Stall gebären und nie Lust empfinden sollte, um unbefleckt zum Himmel zu fahren.

William Hogarth, der männliche Maler, scheut sich nicht, in seiner Erzählung die ikonographischen Muster immer wieder queer  zu  nutzen: Seine weibliche Hauptdarstellerin kann die Rolle des Herkules ebenso annehmen, wie die der Mutter Maria oder Maria Magdalenas. Ihr vorgeführter Lebensweg wird kommentiert durch die Taten männlicher biblischer (Anti-)Helden: Abraham, Jona, David. Wir werden noch sehen, wie sehr Hogarth sich und seine Kunst mit der Frau, die selbst mitspielen will, aber am Spiel der Macht scheitert, identifiziert.

Und die Moral von der Geschicht´: Beschmutz Euch getrost, es wird euch nichts vergeben!

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Mittwoch, 5. Januar 2011

ELBISCH





schoener jungeling, mich lustet din

Mechthild von Magdeburg

Jahr um Jahr war hingegangen und sie hatte geliebt. Als das Dach einstürzte im Feuer und sie gestählt davon ritt in die Nacht, streiften die Äste der Linde ihre Arme und streichelten die Blätter ihr Haupt. Sie mied die Städte und blieb dunkel im Waldgestöber. Den Sohn leugnete sie nicht, wohl aber Vater und Mutter. Unbereut den einen gefreit und mit jenem sich wilden Muts im Laub gewälzt. Mann, den ich rief, Wildermuth. Liegt erlegt jetzt zu meinen Füßen. Wie kalt und weiß die tödlichen Hände des Jägers auf ebenem Holz. Das Blut so purpurn aus deiner Kehle rinnt. Was trankst du dem rothen Löwen zu, der seine Zähne in meiner Schwester Kehle grub. Arg sprechen meine Elben von dir. Und doch jammerst du mich, mein Unglücksmann. Noch nach deiner Leiche gelüstet es mich. So sinke ich hin, dein Blut zu trinken feurigen Sinns.

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Dienstag, 4. Januar 2011

DIE MARTENEHEN - Überarbeitung

Die Meeresküste von Böhmen - gäbe es sie, müsste die Melusine sich nicht verbergen. Welche Rolle spielt die meine unter den Wasserwesen? Wenn ich das wüsste...Melusine von Lusignan jedenfalls wurde die Stammmutter eines stolzen Geschlechts. Doch in der Sage wird auch sie verraten und muss ihre Söhne verlassen.

Die Ehen zwischen den Menschen und den Unmenschlichen bringen die sonderbarsten Geschöpfe hervor. Alle tragen sie ein gruseliges Mal davon, weil diese Ehen zum Scheitern verurteilt sind.(Wie heutzutage in den großen  Städten jede zweite Ehe, ach, wir Unmenschen, lassen unsere Kinder im Stich...) In den vergangenen Wochen, ohne dass es Eingang in die "Gleisbauarbeiten" gefunden hätte (allenfalls indirekt) haben mich die Martenehen beschäftigt. Rusalka, die böhmische Undine, auch, die keinen Fischschwanz hat, wie meine Melusine, sondern nur kaltes Blut und Schwimmhäute. Sie, lese ich, "könnte heute noch leben, wenn sie im großen weiten Meer gelebt hätte." Auch meine Melusine hat es an Land verschlagen. Ob ich sie leben lasse (oder sie mich?), weiß ich noch nicht. Eins aber wurde mir klar: Heilmann, der Vertraute, der das Zölibat brach, er ist eben so wenig ein Mensch. Doch auch kein Wasserwesen. Seine Gattung und Art - noch ist sie unfassbar für mich. Allerdings begreife ich endlich, dass es Edith war, nur Edith sein konnte, mit der er das Kind zeugte und der er verfiel. Daher musste alles noch einmal umgearbeitet werden. 

So sieht es jetzt aus. Ein Zwischenstand: "Ich küsse mein Leben in dich..Die Martenehen

A ROSE IS A ROSE

Ein Beitrag von BenHuRum





A rose is a rose

regungslos verschlingt sie licht
öffnet sich schamlos rot
ist die abscheuliche vollkommenheit
des vergänglichen
verseucht die dichtung
mit ihrem archaischen duft

Blanca Varela

Montag, 3. Januar 2011

FOOD-FOTOGRAPHIE IN DER SELL-KÜCHE

Den Verzehr der Ginkgo-Samen habe ich überlebt, der Rest der Familie auch. Amazing haben sie besonders gut gemundet. Ich finde, sie schmecken ein wenig wie Maronen. Eigentlich sollte es ein Silvester-Snack werden: Ginkgo-Samen, geröstet und gesalzen, um das neue Jahr kulinarisch einzuleiten. Als es soweit war, war keiner mehr in der Verfassung oder gewillt, sich an den Herd zu stellen. Wir hatten auch ohne dies ein Festmahl: Mit Ricotta gefüllte Muschelnudeln auf gelber Paprikasoße, Perlhuhnbrust und Linsenrisotto, selbstgemachtes Pistazieneis mit einer Sauce aus Quitten und Madeira. Das würden Sie gerne sehen? Bei Syra Stein habe ich schon darüber nachgedacht, eine Koch-Rubrik einzuführen. Aber: Ich scheitere an der Food-Fotografie. Bei unserem Silvester-Menü zum Beispiel vergaß ich die Batterien des Fotoapparates aufzuladen. Auch die Schritt-für-Schritt-Fotos, die ich von der Ginkgo-Samen-Zubereitung gemacht habe, entbehren der professionellen Inszenierung, die einem bei der Lektüre von Kochbüchern das Wasser im Mund zusammen laufen lässt. (Ich verwende meine wesentlich häufiger, um diesen Effekt zu erzeugen, als um die Rezepte nachzukochen.)

1. Die Ginkgo-Samen auspacken


2. Die Samen mit dem Nussknacker öffnen




3. Anrösten der Samen in der leicht geölten Pfanne




4. Salzen - Fertig!


Im Hintergrund können Sie in einem Ausschnitt die museale Sell-Einbauküche erkennen. Es handelt sich hierbei um die erste Einbauküche, die auf dem deutschen Markt angeboten wurde. Sie ist unkaputtbar aus Stahl und es ist mir unbegreiflich, wie jemand dieses Teil gegen eine aktuelle Einbauküche aus Pressholz austauschen kann. 


Die Firma Sell hat sich später auf den Bau von Einbauküchen für Flugzeuge spezialisiert, inzwischen, glaube ich, existiert sie nicht mehr. Sell Air Industries - Küchen wie diese werden tatsächlich in Museen ausgestellt: hier.

Sonntag, 2. Januar 2011

DIE ANDERE MARIA (2): GELD UND LUST

William Hogarth: A Harlot´s Progress (Blatt 2)

Ob sie wohl die Beine breit machen musste, für den schmuddeligen Charteris, der schon geil im Türrahmen wartete, auf dem ersten Blatt, unsere kräftige Maria vom Lande? Sehr wahrscheinlich. Auch, dass ihr besonderer Wert für die Kupplerin Needham in der angenommenen Unschuld der Landpomeranze lag, ist anzunehmen. Die Jungfräulichkeit der Maria macht ihre Preis-Würdigkeit aus. Hier – wie für die Kirchen-„Väter“.  Der Geburtskanal der Frau unberührt vom anderen Mann, die Freude am Schock des überraschten und verstörten Mädchens, womöglich auch die Lust als Erster Schmerz zu verursachen und Blut fließen zu sehen, vor allem aber die Kontrolle über das sexuelle Begehren und die Reproduktionsfähigkeit der Frau – da kommen einige männliche Wahnvorstellungen zusammen, wie sie die biblischen Geschichten (und andere Ur-Mythen selbstverständlich) prägen.


Ich mag mir vorstellen, dass der Preis gezahlt wurde, aber der Geldgeber gleich von Anfang betrogen ward. (Wie auch die Kirchenväter sich betrogen über Maria, die Mutter, von der ER nie behauptete, sie sei Jungfrau gewesen). So wie sie da stand, verlegen wohl, aber nicht gebückt, sich ihres Körpers und seiner Kraft und Ausstrahlung bewusst – warum sollte sie sich nicht beglückt mit einem jungen Burschen im Heu gewälzt haben, dort wo sie herkam? Als wir sie wiedersehen jedenfalls, hat sie gelernt: Man kann – ja, Frau muss ihren Körper gegen Geld verkaufen. Da lohnt es sich darauf zu achten, den Preis möglichst hoch zu treiben. Das hat sie verstanden. Doch sie geht Risiko. Denn der Körper, den sie für den höchsten Preis zur Verfügung stellt, lässt sich nicht mit seidigen Roben, porzellanem Geschirr, exquisiten Früchten, zierlichen Rokoko-Tischchen und güldenen Geschmeiden befriedigen. Sie will mehr. Sie will Lust. Das Geld hat der eine Mann, die Fähigkeit sie zu belustigen der andere.

Hogarth zeigt uns Mary auf diesem zweiten Blatt bereits auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Sie hat es geschafft, sich als Mätresse eines reichen Mannes zu etablieren, der sie in einem luxuriös ausgestatteten Apartment untergebracht hat. Sie imitiert den Lebensstil der Aristokratin  und hält sich selbst einen Geliebten. Um von dessen Anwesenheit abzulenken, stößt sie ein Teetischchen um, damit der sich hinter dem alten Freier hinaus schleichen kann. Das ist ein Spiel, für das sie bezahlen wird, wie wir sehen werden. Die "Moral" der Zeit lässt nichts anderes zu: Eine Frau, die sich nimmt, was sie will und nicht nur, wodurch sie bezahlt wird; eine Frau, für die Sex nicht nur ein Geschäft ist, sondern die daran Spaß hat, verdient die Höchststrafe. Im Prinzip spielt es dabei keine Rolle, ob sie sich als Hure oder als Ehefrau prostituiert. Wenn sie mehr und anderes will als Status und Geld, ist sie verloren.

Hogarth setzt den Werdegang Marias wiederum zu biblischer Ikonographie in Bezug. Im Hintergrund an der Wand sehen wir ein Gemälde, das Jona zeigt, der mit Gott hadert  und ein anderes, auf dem David vor der Bundeslade tanzt. Diese Gemälde kommentieren  das Geschehen im Vordergrund.  


Rembrandt: Jona vor den Mauern von Ninive



Jona hadert mit Gott, weil dieser das lüsterne Leben der Menschen in Ninive nicht hart genug bestraft und David schwingt sich durch die  Überführung der Bundeslade nach Jerusalem zum religiösen und weltlichen Herrscher auf, jedoch nicht, indem er vom Thron herabschauend sich vom Volke feiern lässt, sondern indem er sich selbstvergessen dem Tanz hingibt. Die Kritik  Hogarth´ gilt gerade nicht der Lust, sondern der Lustfeindlichkeit, der Mäßigung und Selbstdisziplinierung  durch bürgerliche Ideologie.

Die Maria „Hackabout“, die Hogarth uns vorführt, ist kein reines Opfer. Sie scheitert auch nicht daran, dass es ihr an Moral mangelt. Sie scheitert – wie der Maler, der sie erfand - an und in einer Welt, in der Lust und Geld, Arbeit und Vergnügen streng von einander getrennt sind. Die einen, die Adligen, frönen der Lust und leben parasitär, die anderen, die Bürger, arbeiten und verkneifen sich ihr Begehren (zumindest wird das als Ideal propagiert). Die lustvolle Frau, die arbeitet, - Hogarth setzt sie auf diesem Bild nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal als Mittlerin zwischen beidem Welten ein. Er zeigt: Wohlleben und Lust, sich versorgen und sich gehen lassen, lassen sich in der bestehenden Ordnung nicht unkorrumpiert vereinen. Ein Stück weit verkauft man sich, gibt sich hin, wer mitspielen will, unterwirft sich den Spielregeln. Sie verdient kein Mitleid. Denn Mitleid ist immer Herablassung. Stattdessen - Mitscham: Dafür, dass Lust nur um den Preis der Verarmung oder Marginalisierung zu haben ist, dass wir teilhaben an einer Welt, die so eingerichtet ist.

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